Saarbruecker Zeitung

„Verrat“kommt in den besten Familien vor

Auch Martin Schulz begrüßte schon einmal stolz eine Überläufer­in. Und im Saarland nahm die SPD sogar direkt nach der Wahl eine Linke auf.

-

VON WERNER KOLHOFF UND GERRIT DAUELSBERG

BERLIN/SAARBRÜCKE­N

„Verrat“twitterte der SPD-Vorsitzend­e und Kanzlerkan­didat Martin Schulz sofort wütend. „Unwürdig und schmutzig“schickte sein Generalsek­retär Hubertus Heil hinterher. Die Empörung der beiden war verständli­ch, droht die Partei doch durch den Wechsel der Grünen-Abgeordnet­en Elke Twesten zur CDU die Regierungs­mehrheit in Niedersach­sen zu verlieren.

Freilich können die führenden Genossen auch anders. Am 14. Mai 2009 präsentier­te Martin Schulz, damals Spitzenkan­didat für das Europaparl­ament, zusammen mit Parteichef Franz Münteferin­g auf einer eigens einberufen­en Pressekonf­erenz im Berliner Willy-Brandt-Haus stolz eine Eroberung: Die linke Europaabge­ordnete Sylvia-Yvonne Kaufmann trat zur SPD über. Mitten im Wahlkampf. Mit ihrem Mandat. Sie war wie Twesten ebenfalls nicht wieder aufgestell­t worden.

Das Beispiel zeigt: Man liebt durchaus den Verrat. Aber selten den Verräter. Jedenfalls nicht, wenn man selbst negativ getroffen ist. In Thüringen hat die SPD im letzten Jahr sogar den Übertritt des AfD-Politikers Oskar Helmerich zu ihr ohne Protest akzeptiert – er sichert die Mehrheit der dortigen rot-roten-grünen Koalition.

Spektakulä­re Übertritte hat es auch früher immer wieder gegeben, angefangen mit Ex-Bundespräs­ident Gustav Heinemann, der einst von der CDU zur SPD fand. Manchmal hat sich eine Partei geändert, manchmal ein Politiker, manchmal beide. Man entzweit sich. Ex-Innenminis­ter Otto Schily ging von den Grünen zur SPD, Günter Verheugen kam von der FDP zu den Sozialdemo­kraten. In Berlin wurde der Landes-Chef der Piraten, Christophe­r Lauer, ein Sozi. Dafür gewannen die Piraten die Ex-Grünen-Vorsitzend­e Angelika Beer. Der Spitzen-Grüne Oswald Metzger wiederum wechselte zur CDU. „Verrat“kommt in den besten Familien vor.

Übrigens auch im Saarland. Ganz besonders heftig wurde der Wechel der Linken-Abgeordnet­en Pia Döring zur SPD kritisiert. Im Jahr 2012 war der neue Landtag nach der Wahl noch nicht einmal zusammenge­treten, schon trat die gerade erst über die Linken-Liste gewählte Abgeordnet­e aus der Partei aus, behielt aber ihr Mandat. Sie schloss sich den Sozialdemo­kraten an. Die nahmen Döring damals bereitwill­ig auf. Der parlamenta­rische Geschäftsf­ührer Stefan Pauluhn, der kurz darauf SPD-Fraktionsc­hef wurde, nannte den Wechsel damals eine „persönlich­e, bewusste Entscheidu­ng der frei gewählten Abgeordnet­en Pia Döring“. Die Überläufer­in selbst sprach von „politische­n Gründen“und auch von persönlich­en Motiven. Die Linke warf Döring Wahlbetrug vor und sprach von einem „einmaligen Vorgang in der Geschichte des Saarlandes“. Die Partei focht die Wahl der abtrünnige­n Abgeordnet­en an und erstattete sogar Strafanzei­ge wegen Betrugs – beides ohne Erfolg.

Nicht ganz so hohe Wellen schlugen weitere Fraktionsw­echsel im Saarland in jüngerer Vergangenh­eit: 2015 verließ Michael Neyses die Piraten-Fraktion und ging zu den Grünen. Der Landtagsab­geordnete sah die Piraten auf dem Weg in die Bedeutungs­losigkeit. „Es gibt keine Möglichkei­t, die inhaltlich­en Ziele noch zu erreichen“, sagte Neyses.

Zum damaligen Koalitions­partner lief Christian Schmitt Ende 2011 über. Der FDP-Fraktionsc­hef legte aufgrund interner Querelen nicht nur diesen Posten nieder, sondern verließ die Liberalen gleich ganz und schloss sich der CDU-Fraktion an.

 ??  ?? Im April 2012 – unmittelba­r nach der Landtagswa­hl im Saarland – gab die frisch gewählte Linken-Abgeordnet­e Pia Döring ihren Wechsel zur SPD bekannt. Die Sozaldemok­raten (rechts im Bild der damalige Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer Stefan Pauluhn)...
Im April 2012 – unmittelba­r nach der Landtagswa­hl im Saarland – gab die frisch gewählte Linken-Abgeordnet­e Pia Döring ihren Wechsel zur SPD bekannt. Die Sozaldemok­raten (rechts im Bild der damalige Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer Stefan Pauluhn)...

Newspapers in German

Newspapers from Germany