Saarbruecker Zeitung

Höchststra­fe für Zschäpe? Die Entscheidu­ng ist offen

ANALYSE

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VON CHRISTOPH LEMMER

München

(dpa) Bisher hat zwar noch nicht einmal die Anklage ihr Plädoyer im NSU-Prozess beendet. Dennoch gibt es schon jetzt klare Erwartunge­n an ein Urteil für die mutmaßlich­e Rechtsterr­oristin Beate Zschäpe. Die Regierungs­beauftragt­e für die NSU-Opfer, Barbara John, sagt beispielsw­eise, die Hinterblie­benen der Opfer erwarteten die Höchststra­fe. Das Münchner Oberlandes­gericht (OLG) müsse sogar die „besondere Schwere der Schuld“feststelle­n. Schließlic­h hätten die Opfer allein deshalb sterben müssen, weil sie Ausländer waren.

Ob das Gericht so urteilen wird, ist völlig offen. Die Bundesanwa­ltschaft spricht zwar von voller Mittätersc­haft Zschäpes an den zehn Morden, zwei Bombenansc­hlägen und den Raubüberfä­llen des „Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­s“. „Mittäterin“würde bedeuten, dass Zschäpe dieselbe Verantwort­ung an den Verbrechen trägt wie die unmittelba­ren Täter Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, obwohl sie an keinem der Tatorte dabei gewesen sein soll. Die Frage ist: Folgt das OLG dieser Argumentat­ion – oder bestraft es Zschäpe „nur“wegen Beihilfe?

Verurteilu­ngen wegen Mittätersc­haft hat der Bundesgeri­chtshof (BGH) immer wieder aufgehoben – auch der 3. BGH-Strafsenat, bei dem eine mögliche Revision des NSU-Prozesses landen dürfte. Einige Beispiele:

Fall 1: Das Landgerich­t Koblenz verurteilt eine Frau wegen Mittätersc­haft an sechs bewaffnete­n Raubüberfä­llen. Gemeinsam spähen sie und ihr Partner Tankstelle­n aus. Die Frau mietet für fünf der Überfälle ein Auto. In drei Fällen chauffiert sie es selber, in den anderen ist sie Beifahreri­n. Am Ziel steigt ihr Partner aus und dann mit Geldbeute wieder ein. Beide leben gemeinsam von der Beute. Der BGH kassiert das Urteil im Dezember 2015 mit der Begründung: Die Beteiligun­g der Frau lasse „weder auf eine Tatherrsch­aft noch auf einen Willen hierzu schließen“(Aktenzeich­en: 3 StR 439/15).

Fall 2: Auch hier geht es um Überfälle auf Tankstelle­n und ein Täter-Pärchen. Auch hier mietet die Frau Autos. Gemeinsam fahren beide zu den Tatorten, wo die Frau jeweils im Auto wartet. Das Landgerich­t Verden verurteilt die Frau wegen Mittätersc­haft. Zu Unrecht, meint im Juli 2016 der BGH (Aktenzeich­en: 3 StR 129/16).

Fall 3: Ein Mann beteiligt sich daran, Einbrüche und Raubüberfä­lle zu planen. Er stellt seine Pistole als Tatwaffe zur Verfügung. Mehrere Einbrüche und Überfälle sind erfolgreic­h. Der Angeklagte ist bei den

KARIKATUR: HARM BENGEN

Im NSU-Prozess gibt es bereits deutliche Erwartunge­n an ein Urteil. Taten nicht dabei. Mal bekommt er einen Teil der Beute ab, mal nicht. Das Landgerich­t Saarbrücke­n verurteilt ihn im Dezember 2015 wegen Beihilfe – also nicht als Mittäter. Die Anklage legt Revision ein und will ein härteres Urteil wegen Mittätersc­haft. Der BGH, diesmal der 5. Strafsenat, lehnt das ab (Aktenzeich­en: 5 StR 255/16).

Die Begründung­en der BGH-Richter lesen sich in allen Fällen ähnlich, teils wortgleich. Der 5. Senat stellte beispielsw­eise fest: „Nach der ständigen Rechtsprec­hung des Bundesgeri­chtshofs ist Mittäter, wer nicht nur fremdes Tun fördert, sondern einen eigenen Tatbeitrag derart in eine gemeinscha­ftliche Tat einfügt, dass sein Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheint.“

Die Münchner Richter im NSU-Prozess dürften die Entscheidu­ngen des BGH genau kennen, genauso wie Zschäpes drei Pflichtver­teidiger Wolfgang Stahl, Wolfgang Heer und Anja Sturm.

Natürlich wird auch die Bundesanwa­ltschaft die BGH-Rechtsprec­hung kennen. In ihrem Plädoyer leitet sie Zschäpes Mittätersc­haft aus der gemeinsame­n nazistisch­en Ideologie ab und nennt sie die „Tarnkappe des NSU“– unverzicht­bar für Legenden, Tarn-Identitäte­n, einen sicheren Rückzugsra­um, die Verwaltung der Beute aus den Überfällen oder sogar bei der Beschaffun­g von Waffen.

Verurteilu­ngen wegen Mittätersc­haft hat der Bundesgeri­chtshof immer wieder aufgehoben.

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