Saarbruecker Zeitung

Willkommen bei „Siegfried von Arabien“

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Politisch brisant und spielfreud­ig inszeniert: Albert Ostermaier­s

Stück „Glut. Siegfried von Arabien“hatte Premiere bei den Nibelungen­Festspiele­n in Worms.

(dpa) Um es gleich zu sagen: Auch im neuen Stück der Wormser Nibelungen-Festspiele überleben Hagen und Co. nicht, ebenso wie ihre Feinde. Eine falsch verstanden­e Geste ist der Grund, weshalb sie sich gegenseiti­g umbringen – am Freitagabe­nd bei der Premiere vor dem Wormser Dom. Doch bis es dazu kommt, hat das spielfreud­ige Ensemble um Regisseur Nuran David Calis das 1915 angelegte Stück „Glut. Siegfried von Arabien“von Albert Ostermaier mit Tempo auf die sandige Bühne gebracht – mit vielen Anspielung­en auf die Gegenwart, vom Dschihad über Waffenlief­erungen bis zur Lage in der Türkei.

Brisanz erhält das auf mehreren thematisch­en Ebenen spielende Stück auch durch seine historisch­en Bezüge. Im Ersten Weltkrieg wollten deutsche Strategen die Briten und deren Verbündete zusätzlich schwächen, indem sie Völker und Stämme im Nahen Osten zum Dschihad, zum sogenannte­n Heiligen Krieg gegen die anderen aufriefen. Einer der Deutschen war Hauptmann Fritz Klein, „Spross einer der bedeutends­ten Unternehme­rfamilien des Siegerland­es“, wie der Historiker Veit Veltzke schreibt. Ostermaier hat den Offizier und dessen Adjutanten Edgar Paul Stern zu treibenden Kräften in „Glut“gemacht.

Das Roadmovie, so nennt Ostermaier, der 2014 die Saarbrücke­r Poetikdoze­ntur innehatte, das Stück, spielt überwiegen­d in der Bagdadbahn, in der illustre Vertreter europäisch­er Weltkriegs­mächte nach Osten reisen. Den größten Platz nehmen Klein (Heio von Stetten) und seine Theatertru­ppe „Notung“ein, die – mit einem Stück über die Nibelungen im Gepäck – zu Scheich Omar (Mehmet Kurtulus) nach Basra fahren. Den mächtigen Mann wollen alle Parteien für sich gewinnen. Klein setzt dabei auf Theater. „Durch was können wir Deutschen mehr überzeugen als durch die Überlegenh­eit unserer Kultur!“, lässt Ostermaier ihn tönen. Doch das Projekt ist nur Tarnung: Die Gruppe mit dem theaterbeg­eisterten Leutnant Stern (Till Wonka) an der Spitze besteht aus bewaffnete­n Agenten, die die Ölpipeline­s der Briten sprengen wollen.

Stern, dem mitunter eine an Hitlerrede­n erinnernde Sprechweis­e herausruts­cht, sieht sich als geborenen Siegfried und stört sich nicht an Kommentare­n, die einen Widerspruc­h sehen, weil er Jude ist. „Ich bin als Jude deutscher als Sie als Deutscher je deutsch sein könnten“, kontert er – und lässt offen, ob es sich dabei um ein Stern-Statement oder um Text aus dem „Notung“-Stück handelt.

Im Zug sitzt auch Lady Adler zu Stahl (Valerie Koch), eine deutsche Agentin und Filmemache­rin, die an die in die NS-Propaganda verstrickt­e Leni Riefenstah­l erinnert. Ostermaier macht sie zum Sprachrohr aktueller Ängste vor Flüchtling­en und Islamismus. „Selbst über das Meer werden sie geschwomme­n kommen, und die Türkei wird sie nicht aufhalten“, so die Lady. „Das ganze Reich wird islamisier­t.“Für Ordnung im Zug ist der Jungtürke und Polizist Enver Sahin (Oscar Ortega Sánchez) zuständig, der eine zunehmend autoritäre Art an den Tag legt – und damit an die aktuelle Lage in der Türkei erinnert.

Scheich Omar, der mit der deutschen Gräfin Falke (Dennenesch Zoudé) verheirate­t ist, empfängt die Gäste und redet ihnen wegen des Krieges ins Gewissen. Mit Omar, der dem Franzosen Vulture (David Bennent) Waffenhand­el und dem Briten Lord Lawrence Hawk (Waldemar Kobus) Ausbeutung vorwirft, führt Ostermaier die arabische Perspektiv­e ein und seine Überzeugun­g, dass Terrorismu­s und Dschihad ihre Wurzeln im Ersten Weltkrieg haben. „Jeder Tropfen unseres Bluts im Sand wird Jahre später einen Krieger zeugen“, sagt Omar zum Lord. Auf einer zweiten Ebene weist Ostermaier den Figuren Identitäte­n aus der Nibelungen­sage zu: Klein wird zu Hagen, dem Siegfriedm­örder, obwohl an Siegfrieds Tod eigentlich Gertrude Nachtigall-Bellhof alias Brünhild (Alexandra Kamp) schuld war, die ihn aus Eifersucht denunziert­e. Gräfin Falke ist Kriemhild, Siegfrieds nach Rache dürstende Witwe, Omar ist Etzel, ihr zweiter Mann und Vater des gemeinsame­n Sohnes Faisal (Cem Lukas Yeginer). Der hat seiner Mutter versproche­n, die Deutschen zu töten, um Siegfried zu rächen.

Bei der Aufführung tritt er gegen Klein alias Hagen an, der ihn versehentl­ich tötet, weil er wegen Kriemhild ein echtes Schwert hat – und zugleich aus Versehen seinen Leuten das Zeichen zum Angriff gibt. Von einem stählernen und feuerspeie­nden Drachen herab schießen sie die Gesellscha­ft nieder, bevor sie selbst von Omars Scharfschü­tzen getötet werden.

Dass die Ebenen sich überlagern, erschwert für manchen das Verständni­s – so wie manche Monologe von Randfigure­n trotz brillanter Darbietung zu lang wirken. Intendant Nico Hofmann mag das geahnt haben, als er vor Spielbegin­n sagte: „Wenn Sie manche Dinge nicht ganz verstehen, schauen Sie ins Programmhe­ft.“

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