Alles und am liebsten jetzt
Die Kanadier orientieren sich auf ihrem Album „Everything Now“musikalisch in eine neue Richtung
Anfang Juli gastierte die kanadische Band Arcade Fire in der Escher Rockhal, was einer kleinen Sensation gleichkam. Denn die Anfang der Nullerjahre in Montreal gegründete Formation hat mittlerweile eine Größe erreicht, dass sie eigentlich in wesentlich geräumigeren Hallen auftreten kann. Wenige Tage zuvor gastierte sie in Berlin, was den „Musikexpress“dazu bewegte, von einem „routinierten Spektakel (...) zwischen Schlagerpop und Checkertum“zu sprechen.
Genau das war auch die 360-Grad-Show in der Rockhal, bei der die Bühne inmitten der Halle positioniert war. An jenem Abend stellte die Band vier Songs ihres neuen Albums „Everything Now” (Columbia/Sony Music) vor: „Everything Now”, „Chemistry”, „Signs Of Life“und „Creature Comfort“.
Das neue Album von Portugal. The Man ist erneut alles andere als vorherseh- und durchschaubar Bei kaum einer anderen Band ist es so ungewiss, was man mit dem nächsten Album vorgesetzt bekommt. Mitunter scheinen auch Portugal. The Man nicht zu wissen, wohin die musikalische Reise geht. So hatten sie mit Mike D an dem Album „Gloomin + Doomin“gearbeitet, das jedoch nach drei Jahren Arbeit ins Archiv verbannt. Stattdessen erschien gerade „Woodstock“(Atlantic/Warner), benannt nach Das Titelstück kommt einem Mix aus dem typischen Arcade Fire-Sound, dezenter weltmusikalischer Elemente und Abba gleich. Richtig gelesen: Abba. Die schwedischen Popstars standen unüberhörbar Pate – festzumachen an der Melodie im Allgemeinen und am Keyboardspiel und an den Chorgesängen im Speziellen. In „Chemistry“kreuzen sie Reggae mit Disco und Glamrock – und es funktioniert. „Signs Of Life“steht mit seinen Funk- und Disco-Einflüssen ganz im Zeichen der Siebziger.
„Creature Comfort“ist ein weiteres Indiz dafür, dass Arcade Fire mit diesem Album den Indierock hinter sich gelassen haben und im Pop ankommen sind. Rhythmik und Instrumentierung dem legendären Festival. Immerhin ein Song aus der Zusammenarbeit mit Mike D ist gerettet worden: „Noise Pollution“, ein wirres Electro-PsychedelicPop-Stück. Beim Rest der Songs standen der Band aus Alaska die Popproduzenten Stint (Santigold) und John Hill (Santigold, Birdy) sowie des Songs erinnern an die Musik der Neue Deutsche Welle/EBM-Band Deutsch Amerikanische Freundschaft (DAF). Abba und DAF, die Achtziger scheinen es Win Butler & Co. angetan zu haben.
So ganz ihren Rockwurzeln abgeschworen haben Arcade Fire noch nicht. Das zeigt das punkigkrachige „Infinite Content“, das kurz nach der Hälfte des Albums etwas Abwechslung in den Pop-Potpourri bringt. Danach wird abrupt die Handbremse gezogen: „Infinite_Content“, der ungleiche Schwestersong, ist eine Easy-Listening-Reminiszenz. Produziert wurde „Everything Now“von der Band, ihrem Stammproduzenten Markus Dravs sowie Thomas Bangalter von Daft Punk, ExPulp-Bassist Brian Burton alias Danger Mouse zur Seite. Die Verwandlung von einer Rockband in eine Popband scheint nun vollendet. Die Rock-Anleihen sind minimal und dringen nur noch als Glamoder Psychedelic Rock-Einflüsse an die Oberfläche. Ansonsten wird der Sound bestimmt von Steve Mackey und Geoff Barrow von Portishead. Eine abenteuerliche Zusammenstellung. Und genau so klingt diese Platte. Die Fans der ersten Stunde werden daran zu knabbern haben und der Musik der ersten beiden Alben hinterhertrauern. Wer jedoch bereit ist, sich auf die neue musikalische Ausrichtung von Win Butler, Will Butler, Régine Chassagne, Jeremy Gara, Tim Kingsbury und Richard Reed Parry einzulassen, der wird nahezu durchweg seinen Spaß haben. „Everything Now“ist als CD, Kassette und Vinyl erhältlich. Es gibt zudem verschiedene Varianten des Artworks mit dem Albumtitel in einer von zwanzig Sprachen – hierzulande steht „Alles jetzt“auf dem Cover. Sammlern sei die exklusive „Night“-Version des Albums empfohlen. Hier ist das Coverbild bei Nacht zu sehen und das Vinyl ist farbig. Pop, Electro und Soul. Die Singleauskopplung „Feel It Still“, in dessen Produktion Danger Mouse nicht involviert war, klingt kurioserweise wie dessen Projekt Gnarls Barkley. Womit „Woodstock“einige Fragen aufwirft: Wo bleibt die Identität der Band bei steter Veränderung? Für welche Musik steht sie überhaupt? Denn die Gefahr, beliebig und austauschbar zu klingen, ist spätestens seit „Woodstock“präsent. kfb
The Kills „Echo Home – Non-Electric“(Domino/GoodToGo) The Kills haben eine neue EP aufgenommen, die in digitaler Form und als 10-Inch-Vinyl erhältlich ist. Anlass ist das 15-jährige Jubiläum der ersten Veröffentlichung des Duos um Alison Mosshart und Jamie Hince. Im Mai 2002 debütierten sie mit der LoFi-Indierock EP „Black Rooster“. In diesem Jahr überraschen sie mit der Akustik-EP „Echo Home – Non-Electric“. Die enthält neben der elektrifizierten Variante des an The xx erinnernden Songs „Echo Home“Akustikversionen von „That Love“, „Echo Home“und „Wait“. Das eigentliche Schmankerl ist das Cover „Desperado“, im Original von Rihanna. Da sieht man mal wieder, dass gewisse Songs in einem anderen Genre und mit anderer Stimme ganz anders wirken können: Der Popballade haben The Kills jegliche Energie genommen. kfb