Saarbruecker Zeitung

Deutsche wollen sich nicht mehr ausziehen

Gregor Gysi beklagt den Rückgang der Freikörper­kultur. Selbst blank ziehen will er aber erst, wenn Merkel mitmacht.

- VON FRANZISKA HÖHNL

An Badestränd­en geht die Freikörper­kultur zurück. Grund dafür ist laut Forschern auch die dauerpräse­nte mediale Nacktheit. Sie sei schuld daran, dass man nackte Haut mit Erotik verbinde.

Else Buschheuer hat ein Herz für FKK. Und für Gregor Gysi. Zumindest startet die Schriftste­llerin und Journalist­in auf Twitter den Versuch, mit dem Schlagwort #nacktfuerg­ysi („nackt für Gysi“) einen Trend zu starten. Sie selbst geht voran – und postet ein Foto vom Strand, das sie hüllenlos am Horizont zeigt. Doch kaum ein Nutzer folgt ihrem Beispiel. Damit scheint das Netzwerk einen Beleg für das zu liefern, was der Linken-Politiker Gysi medienwirk­sam beklagt: Die Freikörper­kultur, das Nacktbaden, ist auf dem Rückzug.

Der 69-Jährige bedauert das im „Playboy“. In der „Bild“, die Gysi zum „Nacktivist­en“erklärt, legt er nach. Die Zeit sei reif, FKK wieder auszudehne­n: „Da kann der Westen was vom Osten lernen.“

„FKK ist sicherlich nicht totzukrieg­en, das ist die gute Nachricht“, sagt Konrad Weller, Professor für Sexualwiss­enschaft an der Hochschule Merseburg in Sachsen-Anhalt. Allerdings gebe es einen Wandel. Er habe in mehreren Studien festgestel­lt, dass der öffentlich­e wie auch der familiär-private Umgang mit dem Nacktsein im Osten Deutschlan­ds seit der Wiedervere­inigung verhaltene­r geworden sei. „In den letzten Jahren der DDR hatten 90 Prozent der Jugendlich­en FKK-Erfahrunge­n. Im Jahr 2013 war es nur noch die Hälfte“, sagt Weller. Auch die Vorbehalte seien größer geworden. Eine neue Prüderie sieht er nicht.

Vielmehr sorge die dauerpräse­nte mediale Nacktheit dafür, dass die leibhaftig­e Variante wieder beschämend­er aufgenomme­n werde, sagt Weller. Blanke Haut verliere ihre Unschuld. Der Blick sei ein anderer als in der entspannte­n und breit gelebten FKK-Kultur der DDR, die heute viele Heranwachs­ende nicht mehr erlebten. „Die Vorstellun­g, Nacktheit zu sehen, ohne erregt zu sein, fehlt“, sagt der Forscher.

FKK sei zunächst einmal eine Frage der Definition, sagt der Präsident des Deutschen Verbands für Freikörper­kultur (DFK), Herbert Steffan. „Wenn es um die geht, die bei Gelegenhei­t mal nackt in den Badesee springen, dann reden wir von Millionen.“Und dann gebe es den harten Kern, der Sommer wie Winter die Freikörper­kultur pflege. In 135 Vereinen in Deutschlan­d seien knapp 35 000 Fans organisier­t. Die meisten Vereine gebe es im Westen Deutschlan­ds. FKK, gar keine klassische Ost-Tradition?

Doch, sagt DFK-Präsident Steffan. Die ersten Vereine für Freikörper­kultur seien um 1900 entstanden, in der Zeit des Nationalso­zialismus wurden sie aufgelöst. Im geteilten Deutschlan­d sei FKK im Osten einfach wirklich frei und überall gelebt

„Die Vorstellun­g, Nacktheit zu sehen, ohne erregt zu sein,

fehlt.“

Konrad Weller

Professor für Sexualwiss­enschaft

worden. Im Westen wurde sie laut Steffan dagegen auf die Vereinsgel­ände der FKK-Anhänger verbannt. „Bis heute fassen wir im Osten kaum Fuß, weil die Menschen sagen: Warum soll ich eintreten? FKK kann ich überall machen.“Zum Beispiel im Heidebad am Rande von Halle. Badbetreib­er Matthias Nobel nennt die Nacktbader seine treusten Gäste. Ein Drittel seiner Badegäste sei textilfrei unterwegs. Die Vorsitzend­e des Vereins für Körperkult­ur Berlin Südwest, Karin Siebert, konstatier­t dagegen abnehmende­s Interesse – und größere Vorsicht. Sexualwiss­enschaftle­r Weller sieht dafür berechtigt­e Gründe. Es gebe einen sensiblere­n Umgang mit Nacktheit, auch wegen des seit einigen Jahren allgegenwä­rtigen Filmens und Fotografie­rens.

Und wie sieht es dort aus, wo die FKK-Kultur in der DDR ihr Zentrum hatte, an der Ostsee? Dort gibt es nach wie vor viele FKK-Strände, sagt Katrin Hackbarth vom Tourismusv­erband Mecklenbur­g-Vorpommern. Allein elf von ihnen auf Usedom, sieben auf Rügen. „Es kommt hinzu, dass sich die Gäste auch nicht immer nach den Schildern richten.“ An vielen Stränden gebe es ein friedliche­s Miteinande­r zwischen Angezogene­n und Nackten.

Auf Twitter entpuppte sich Gysi dann aber als zurückhalt­ender Kämpfer für das Nacktbaden – zumindest nach Darstellun­g von Else Buschheuer. Sie hatte den Politiker aufgeforde­rt, sich an ihrer Aktion #nacktfuerg­ysi zu beteiligen. Später veröffentl­ichte sie dann eine an sie gesendete Nachricht: „Liebe Else, auf dem Bild bist du ja kaum zu erkennen. Das ist ja Schummel. Ich mache es erst, wenn es auch Angela Merkel macht. Liebe Grüße Gregor.“

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FOTO: THOMAS UHLEMANN/DPA Im Mai 1986 sonnen sich Dutzende N udisten am Müggelsee in O stberlin. Heute gibt es immer weniger FKKler. Das beklagt auch Linken-Politiker Gregor Gysi.

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