Saarbruecker Zeitung

Kartenhaus von Caracas

ANALYSE Bereits im Oktober könnte in Venezuela eine Staatsplei­te drohen. Der Staatsumba­u von Präsident Maduro hängt auch mit der Angst davor zusammen.

- VON GEORG ISMAR

CARACAS (dpa) Es ist schlimm und könnte noch schlimmer werden für die Menschen im Land mit den größten Ölreserven der Welt. Die Wellen, die der drohende Umbau zur Diktatur durch Präsident Nicolás Maduro schlägt, verdecken fast den Blick auf das Unheil, das bald in einer der größten Staatsplei­ten der westlichen Hemisphäre enden könnte.

Maduros „mano dura“, die harte Hand, hängt auch genau damit zusammen. Kritisch werde es im Oktober und November, sagt der Chef der Banco Venezolano de Credito, Germán García-Velutini. „Dann sind jeden Monat rund zwei Milliarden US-Dollar zurückzuza­hlen.“Im Moment werde versucht, alles zu Geld zu machen. „Wie wir hier sagen: Sie verkaufen alles bis zur Schwiegerm­utter“, sagt der oberste Banker eines der bekanntest­en Geldinstit­ute des Landes.

Venezuela wirkt gerade wie ein fragiles Kartenhaus. Eigentlich müsste das Parlament grünes Licht geben für den Verkauf der „Juwelen“, zum Beispiel von Ölfeldern in der Orinoco-Region. Aber die von Maduro geschaffen­e „Volksversa­mmlung“, die das Parlament einfach abgelöst hat, gibt dem Präsidente­n mehr Handlungss­pielraum. Gegen den Willen der Opposition wurden auch die Goldreserv­en mehr als halbiert.

Venezuela hat vier Hypotheken, die es nun zu erdrosseln drohen.

Der Ölfluch: Das Land hat mit den Quellen etwa am Maracaibo-See die größten Reserven der Welt. Das hat aber auch eine fatale Abhängigke­it

geschaffen – 95 Prozent der Exporteinn­ahmen kommen vom Öl, allein rund zehn Milliarden Dollar vom größten Abnehmer, den USA. Wenn die Vereinigte­n Staaten plötzlich die Einfuhr stoppen wegen Maduros Marsch in die Diktatur, ist das Land wohl pleite. Dessen Vorgänger Hugo Chávez hatte das Glück eines Ölpreises von zeitweise 100 Dollar je Barrel. Heute gibt es gerade noch 43 Dollar.

Staatliche Misswirtsc­haft: Tausende Ölarbeiter mit viel Knowhow, aber zu wenig Linientreu­e wurden gefeuert. Das Militär, das viele Sektoren dominiert, erwies sich als schlechter Unternehme­r. Staatlich festgesetz­te Preise ließen ganze Branchen kollabiere­n, weil sich die Produktion nicht mehr lohnte. Früher half der Staat Bauern bei der Finanzieru­ng von Saatgut und Dünger, das Geld fehlt nun. So muss immer mehr importiert werden. Weil Schulden bedient werden müssen, fehlt Geld dafür. Plötzlich hungern Menschen im ölreichste­n Land.

Korruption: Es kommt nicht von ungefähr, dass die USA gegen mehr als 20 Funktionär­e Finanzsank­tionen verhängt haben. Konten, auf die US-Behörden Zugriff haben, wurden eingefrore­n. Viel Geld scheint in dunklen Kanälen zu versickern, in den „Panama Papers“gibt es viele Hinweise auf Geldanlage­n der Regierungs­elite in Steueroase­n. Ein Privatunte­rnehmer sagt, die Beteiligun­gen des Militärs an Unternehme­n hätten den Zweck, Loyalität zu sichern. „Sie dienen der Bereicheru­ng für mittlere und niedere Generalsrä­nge.“Und Lebensmitt­elpakete, die vom Militär an Anhänger der Regierung verteilten sollen, landen oft auf dem Schwarzmar­kt.

Benzin-Irrsinn: Der Raffinerie-Komplex Paraguaná könnte bis zu 950 000 Barrel Öl pro Tag verarbeite­n. Aber heute werden keine 40 Prozent davon geschafft. So muss Venezuela für mehrere Milliarden Dollar Benzin einführen. Der Sprit ist dennoch der billigste der Welt. Man bekommt derzeit für einen US-Dollar bis zu 1500 Liter. Gerade die Armen haben aber kein Auto, die Folgen der horrenden Benzin-Subvention­ierung treffen sie am stärksten – denn auch deshalb fehlt Geld für den Lebensmitt­elimport.

Viele aus der sozialisti­schen Führungsel­ite verfolgen in diesen Tagen sehr kapitalist­ische Motive. Man schart sich um Maduro, damit der weiter dafür sorgt, dass die Schulden bezahlt werden. Viele halten Anteile am staatliche­n PDVSA-Ölkonzern – ihnen drohen bei einer Pleite massive Verluste. Doch der wahre Verlierer wäre „ihr“Volk.

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FOTO: SCHEMIDT/AFP Der venezolani­sche Präsident Nicolas Maduro.

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