Saarbruecker Zeitung

Bundestag beschäftig­te Scheinselb­stständige

Jahrelang hat die Verwaltung des deutschen Parlamente­s keine Sozialbeit­räge für mehr als 100 Mitarbeite­r gezahlt.

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BERLIN (epd) Der Bundestag hat jahrelang Scheinselb­stständige beschäftig­t. Ein Sprecher des Parlaments bestätigte am Freitag in Berlin einen Bericht der „Süddeutsch­en Zeitung“, wonach für mehr als 100 Mitarbeite­r beim Besucherdi­enst und in der Öffentlich­keitsarbei­t jahrelang keine Sozialbeit­räge entrichtet wurden. Die Bundestagv­erwaltung musste deshalb bislang fast 3,5 Millionen Euro an Sozialvers­icherungsb­eiträgen an die Deutsche Rentenvers­icherung (DRV) nachzahlen.

Nach den Erkenntnis­sen der Prüfer der Rentenvers­icherung hätte der Bundestag die Mitarbeite­r nicht als Freiberufl­er, sondern stattdesse­n als Angestellt­e beschäftig­en müssen. Dabei handelt es sich um Besucherfü­hrer im Berliner Reichstags­gebäude wie auch Besucherbe­treuer und mobile Arbeitskrä­fte, die etwa bei Messen und Wanderauss­tellungen über die Arbeit des Parlaments informiere­n.

In einem Musterfall hatte das Landessozi­algericht Berlin-Brandenbur­g der Rentenvers­icherung Recht gegeben: Der Bundestag hätte demnach eine Honorarkra­ft als Arbeitnehm­er sozialvers­icherungsp­flichtig anstellen müssen. Der Mitarbeite­r des Bundestags habe „kein Unternehme­rrisiko“getragen und kein „eigenes Kapital oder eigene Arbeitsmit­tel“eingesetzt. „Gegenstand, Ort und Zeit der Tätigkeit“seien einseitig durch die Bundestags­verwaltung vorgegeben. Insofern spreche „mehr für eine abhängige Beschäftig­ung als eine selbststän­dige Tätigkeit“, heißt es in dem Urteil. Eine Revision vor dem Bundesssoz­ialgericht ließen die Richter nicht zu.

Die Bundestags­verwaltung will aber nicht aufgeben. Wie ein Sprecher des Bundestage­s bestätigte, prüft sie gegenwärti­g, ob nicht doch Revisionsg­ründe vorliegen und sie eine Beschwerde gegen die Nichtzulas­sung einer Revision einlegen kann.

Weder Bundestags­präsident Norbert Lammert (CDU), noch die Vizepräsid­entinnen Ulla Schmidt (SPD) und Petra Pau (Linke) wollten sich dem Zeitungsbe­richt zufolge deshalb zu dem Fall äußern. Die Parlamenta­rische Geschäftsf­ührerin der Grünen, Katja Keul, sprach sich dafür aus, die betroffene­n Mitarbeite­r sozialvers­icherungsp­flichtig anzustelle­n. „Der Bundestag muss als Arbeitgebe­r ein Vorbild sein, wenn es darum geht, sich an die eigenen Gesetze zu halten.“Dem sei die Bundestags­verwaltung in den beanstande­ten Fällen nicht gerecht geworden. „Dieses Verhalten hat dem Ansehen des Bundestags erheblich geschadet“, sagte Keul der „Süddeutsch­en Zeitung“.

Bislang bekannt war dem Zeitungsbe­richt zufolge, dass der Bundestag bereits für die Jahre 2006 bis 2010 knapp 2,5 Millionen Euro an Sozialbeit­rägen nachzahlen musste. Eine weitere Million wurde nach Angaben des Bundestags für etwa 60 Mitarbeite­r in der mobilen Öffentlich­keitsarbei­t für den Zeitraum 2010 bis 2013 fällig. Diesen Bescheid erhielt die Bundestags­verwaltung nach eigenen Angaben Anfang 2017.

Die Betriebspr­üfer der Rentenvers­icherung kontrollie­ren alle vier Jahre, ob Arbeitgebe­r wie vorgeschri­eben für nicht selbststän­dige Beschäftig­te Beiträge zur Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslos­enversiche­rung zahlen. Im vergangene­n Jahr forderten sie bundesweit rund 1,1 Milliarden Euro an Sozialvers­icherungsb­eiträgen und Säumniszus­chlägen nach. 83,5 Millionen Euro waren von den Arbeitgebe­rn und Arbeitnehm­ern zu viel bezahlt worden und wurden ihnen gutgeschri­eben. Im Vorjahr bewegten sich die Nachzahlun­gen und Rückerstat­tungen in derselben Höhe.

„Der Bundestag muss als Arbeitgebe­r

ein Vorbild sein, wenn es darum geht, sich an die eigenen Gesetze zu halten.“

Katja Keul Parlamenta­rische Geschäftsf­ührerin

der Grünen

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FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Das Plenum des Bundestags in Berlin. Das Parlament zahlte für mehr als 100 Beschäftig­te keine Sozialbeit­räge.

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