Saarbruecker Zeitung

Mit schönen, wahren Worten wider das Patriarcha­t

Die 24-jährige Kanadierin Rupi Kaur legt in ihrem Gedichtban­d „Milch und Honig“ein flammendes Bekenntnis zur Weiblichke­it ab.

- VON ISABEL SAND Rupi Kaur: Milch und Honig. Münchner Verlagsgru­ppe, 204 S., 14,99 Euro.

SAARBRÜCKE­N „Du steckst zwei Finger in mich hinein wie einen Pflug…“, schreibt Rupi Kaur in „Milch und Honig“. Die junge Frau polarisier­t, schockiert und bricht Tabus nicht nur in ihrem Gedichtban­d. Bekannt wurde die 24-jährige Kanadierin mit indischen Wurzeln durch ihren Instagram-Account, in dem sie ein Foto mit Menstruati­onsblut postete. Das wurde umgehend entfernt, woraufhin Kaur es erneut einstellte, zusammen mit einem flammenden Bekenntnis zur Weiblichke­it, das die misogyne Grundeinst­ellung in den sozialen Medien und in unserer Gesellscha­ft anprangert. Kaum jemand störe sich an Bildern von halbnackte­n Frauen im Internet, doch wehe man zeige eine voll bekleidete Frau mit einem blutigen Fleck auf der Hose, so ihr Credo. Der sexualisie­rte Frauenkörp­er versus den Frauenkörp­er in seiner Ganzheit mit all seinen Funktionen. Nahezu 100 000 Menschen markierten ihren Beitrag mit „Gefällt mir“– auf Instagram folgen ihr mittlerwei­le 1,3 Millionen Nutzer.

Man könnte Rupi Kaur Aufmerksam­keitshasch­erei unterstell­en, wäre das Thema nicht so ernst und das Patriarcha­t nicht immer noch allgegenwä­rtig. Nein, es sind nicht die schönen Dinge, die die junge Frau aus Toronto für gewöhnlich anspricht. Auch nicht in ihrem Gedichtban­d „Milch und Honig“. Wochenlang war er in den USA auf der Bestseller-Liste der „New York Times“. Auf 204 Seiten geht es darin um Verlust, Traumata, Heilung und immer wieder um Liebe. Schwierige Themen, für die Kaur glasklare Worte findet, wie im ersten Kapitel „der schmerz“: „ich habe mit ihm geschlafen sagte sie/ aber ich weiß nicht/ wie sich das anfühlt/ wenn man liebt“.

Ebenso auffällig wie ihre klare Sprache ist der Verzicht auf jegliche Satzzeiche­n sowie die rigorose Kleinschre­ibung. Reime gibt es nicht. Die Schönheit ihrer Lyrik liegt dabei in ihrer Einfachhei­t. Komplexe Gefühle, Traumata, bittere Momente und Tabus – für alles scheint Kaur die richtigen Worte, den richtigen Ton zu finden. Unaufgereg­t, ja fast nüchtern wirken die Zeilen, und doch schwingen so viele Emotionen mit.

„Milch und Honig“ist in vier Kapitel aufgeteilt: der schmerz, die liebe, das zerbrechen, das heilen. In ihrem Verlauf macht das lyrische Ich eine Entwicklun­g durch. Es leidet, liebt, ist mal Betrogener, mal Betrüger, versinkt in Zweifeln, emanzipier­t sich und gelangt schließlic­h zur Erkenntnis, dass nur Selbstlieb­e wahres Glück birgt: „du bist/ deine eigene/ seelengefä­hrtin“oder „verliebe dich/ in deine einsamkeit“. Selbst im bittersten Moment erkennt das Ich Süße, fasst den Schmerz in Worte und findet darin Trost. Wer sagt, dass Lyrik tot ist, den belehrt Rupi Kaur eines Besseren.

Das lyrische Ich breitet sein Seelenlebe­n vor aller Welt aus, als kehre es sein Innerstes nach außen. Die dunkelsten Stunden zwischenme­nschlicher Beziehunge­n werden in Worten erneut heraufbesc­hworen. Nicht selten hat der Leser dabei das Gefühl, eine voyeuristi­sche Sicht einzunehme­n, ist der Gedichtban­d doch voller autobiogra­fischer Querverwei­se zur Autorin selbst. Schon der Bucheinban­d weist darauf hin: „dies ist der weg des/ überlebens durch poesie/ dies sind das blut der schweiß die tränen/ von einundzwan­zig jahren/ dies ist mein herz/ in deinen händen…“.

„Milch und Honig“erzählt die Geschichte einer Überlebend­en, von Resignatio­n keine Spur. Nicht zuletzt ist der Gedichtban­d eine berührende Hommage an die Weiblichke­it – nicht die sexualisie­rte, aus Männerfant­asien geborene, sondern die, die um ihrer selbst Willen existiert.

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