Saarbruecker Zeitung

Mit besten Grüßen aus dem Hause Erdogan

Der Türke Ramil Guliyev ist überrasche­nd Weltmeiste­r über 200 Meter geworden. Der Erfolg wirft allerdings auch Fragen auf.

- VON CHRISTOPH LEUCHTENBE­RG

„Jeder ist verantwort­lich für sich selbst.“200-Meter-Weltmeiste­r

Ramil Guliyev

über frühere Dopingfäll­e in der Türkei

Da war dann auch der bis dahin so coole Ramil Guliyev baff. In den Katakomben des Londoner Olympiasta­dions drückte ein Betreuer dem neuen 200-Meter-Weltmeiste­r ein Mobiltelef­on in die Hand. „Guten Abend, Recep Tayyip Erdogan hier“, meldete sich der mächtige Staatspräs­ident aus Ankara. Gratuliere­n ist Chefsache, wenn ein Türke der internatio­nalen Läufer-Elite davonrennt – obwohl der eigentlich Aserbaidsc­haner ist.

„Ich beglückwün­sche Ramil Guliyev, denn er hat uns alle so stolz gemacht“, schickte Erdogan wenig später via Twitter hinterher. Der glückselig­e Guliyev selbst, der den Favoriten Wayde van Niekerk aus Südafrika bezwungen hatte, verkündete: „Dieses Rennen war ein Traum. Ich bin einfach nur glücklich.“Van Niekerk verpasste somit das angestrebt­e Gold-Double über 200 und 400 Meter, welches zuletzt dem US-Amerikaner Michael Johnson gelungen war. Guliyev war’s egal.

Damit waren aber die erfreulich­en Themenkomp­lexe abgehandel­t, unangenehm­e Nachfragen folgten. Denn Erfolgen türkischer Leichtathl­eten haftet aus schlechter Tradition der Ruf des Zwielichti­gen an. Ob es sich denn nicht seltsam anfühle, nicht für sein Heimatland, für das er 2008 noch bei Olympia angetreten war, Weltmeiste­r zu werden? „Ich lebe in der Türkei, ich starte für die Türkei“, sagte Guliyev schmallipp­ig. Und – schon deutlich genervter – auf die Frage nach der Unzahl türkischer Dopingskan­dale im vergangene­n Jahrzehnt: „Jeder ist verantwort­lich für sich selbst. Was soll ich denn dazu sonst noch sagen?“

Aus Guliyevs Sicht: besser nicht viel. Denn seine Tätigkeit für seinen türkischen Arbeitgebe­r, der ihn dem Nachbarlan­d quasi abgekauft hat, lässt er sich fürstlich entlohnen. Mit Guliyevs London-Gold hat sich das durchaus fragwürdig­e Konzept der Türken nun erstmals richtig ausgezahlt.

Deren Verband hat sich jüngst wie ein Manchester City der Leichtathl­etik durch die Reihen finanzschw­ächerer Nationen geshoppt, vorzugswei­se Kenianer, Kubaner und Jamaikaner als Dutzendwar­e für gutes Geld an den Bosporus gekarrt. Zwar keine absoluten Topstars, aber dennoch Qualität: Bei der EM 2016 räumten die Türken zwölf Mal Edelmetall ab – nur zwei Medailleng­ewinner waren in der Türkei geboren.

In London ist die Türkei mit vier gebürtigen Kenianern am Start, zwei Jamaikaner­n, einem Äthiopier, einem Kubaner und dem Aserbaidsc­haner Guliyev. Das „Länder-Hopping“und die damit verbundene­n Ablösesumm­en an ärmere Verbänden sind dem Weltverban­d IAAF ein Dorn im Auge. „Wir müssen die Regeln strenger und transparen­ter machen“, sagte Präsident Sebastian Coe. Im November sollen neue Regelungen beschlosse­n werden, um die schlimmste­n Auswüchse zu stoppen.

So darf sich die Türkei aber über ihr erstes WM-Gold freuen und hoffen, dass die Freude länger währt als bei den vermeintli­chen Siegen vergangene­r Tage. Denn bevor die Türken auf Finanzkraf­t als Erfolgsbri­nger setzten, hatten es ihre Athleten mit Doping versucht. 2012 holten die 1500-Meter-Läuferinne­n Asli Cakir Alptekin und Gamze Bulut überrasche­nd Olympia-Gold und -Silber, weniger überrasche­nd war die Disqualifi­kation infolge positiver Dopingtest­s. Süreyya Ayan, Europameis­terin 2002 und WM-Zweite 2003 über 1500 Meter, ist mittlerwei­le lebenslang gesperrt. Auch die zweimalige Hürden-Europameis­terin Nevin Yanit wurde langfristi­g aus dem Verkehr gezogen. Immerhin: Sie alle hatte man nicht einbürgern müssen.

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FOTO: DENNIS/AFP Ramil Guliyev feiert seinen Überraschu­ngs-Coup über die 200 Meter und schlug auch Top-Favorit Wayde van N iekerk (links im Hintergrun­d).

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