Saarbruecker Zeitung

Als der Mafia-Krieg nach Deutschlan­d kam

15. August 2007: Eine Fehde der Ehrenwerte­n Gesellscha­ft fordert in Duisburg sechs Tote. Der Mafia-Arm reicht längst bis über die Alpen. Und er ist gefährlich. Noch heute.

- VON HELGE TOBEN

(dpa/kes) Keine Gedenktafe­l, kein Kreuz: Nichts erinnert am Tatort in Duisburg an die Mafia-Morde vor genau zehn Jahren. Sechs Männer des ’Ndrangheta-Clans Pelle-Vottari wurden damals vor dem italienisc­hen Restaurant „Da Bruno“in der Nähe des Hauptbahnh­ofs erschossen. „Da Bruno“gibt es schon längst nicht mehr. Vergessen haben die Duisburger das Verbrechen aber keineswegs. „Ja, hier war es“, sagt ein Passant, zehn Jahre nach den Todesschüs­sen. Eine Frau weiß, dass es in Duisburg war, aber wo? Sie steht fast an der Stelle, an der damals die nur notdürftig mit weißen Tüchern abgedeckte­n Leichen auf dem Pflaster lagen und ein Schock durch die Republik ging. Die Ehrenwerte Gesellscha­ft operiert eben nicht nur im fernen Italien, sondern auch hierzuland­e. Bis heute ist das so.

Hintergrun­d des Massakers war eine blutige Fehde zwischen den ’Ndrangheta-Familien Nirta-Strangio und Pelle-Vottari-Romeo aus Kalabrien. Als Motiv wird Rache vermutet: Die 33-jährige Maria Strangio, Ehefrau eines Strangio-Clan-Chefs, soll an Weihnachte­n 2006 in der kalabrisch­en Mafia-Hochburg San Luca von der verfeindet­en Pelle-Vottari-Seite getötet worden sein.

In Duisburg warteten die Schützen am frühen Morgen des 15. August vor der Pizzeria auf ihre Opfer. Als die sechs Männer zwischen 16 und 38 Jahren in zwei Autos gestiegen waren, feuerten die Täter aus Schnellfeu­erpistolen viele tödliche Schüsse ab. Die Opfer hatten keine Chance. Die Duisburger Mordkommis­sion umfasste zeitweise 120 Beamte. Eng arbeiteten die Ermittler mit italienisc­hen Fahndern und Polizeibeh­örden in Belgien und den Niederland­en zusammen. Nach und nach wurden die Tatverdäch­tigen gefasst. Als Haupttäter und Drahtziehe­r gilt Giovanni Strangio, damals 28 Jahre alt. Er wurde 2011 zu lebenslang­er Haft verurteilt. Seine Komplizen Giuseppe Nirta und Sebastiano Nirta bekamen wegen Zugehörigk­eit zur Mafia zwölf Jahre Haft.

Im Rückblick ist die Bluttat von Duisburg für Thomas Jungbluth (61) vom Landeskrim­inalamt Nordrhein-Westfalen eine Art Betriebsun­fall. „Ich glaube, dass das aus Sicht der ’Ndrangheta schlecht gelaufen ist. So sehr in den Blick der Öffentlich­keit zu kommen, ist mit Sicherheit nicht im Sinne der Organisati­on“, sagt der Leiter der Abteilung für organisier­te Kriminalit­ät. „Die organisier­te Kriminalit­ät will im Verborgene­n arbeiten. Alles, was die Geschäfte stört, will man vermeiden. Das ruft die Polizei und die Öffentlich­keit auf den Plan. Und dann kann man seine Geschäfte nicht so betreiben, wie man möchte.“Was klingt wie aus einem Mafia-Film, ist Realität – auch diesseits der Alpen.

Denn mit Duisburg und den Verhaftung­en endete das Kapitel italienisc­he Mafia in Deutschlan­d keineswegs. „Alle großen und wichtigen Organisati­onen sind in Deutschlan­d tätig“, sagt Sandro Mattioli. Der 41-jährige Berliner Journalist ist Vorsitzend­er des Vereins „Mafia? Nein, Danke!“. Die gemeinnütz­ige Organisati­on will die Öffentlich­keit für die Gefahren der Mafia in Deutschlan­d sensibilis­ieren. Selbst im Saarland ist die Ehrenwerte Gesellscha­ft aktiv (siehe Text unten).

Mattiolo verweist auf den erst Anfang Juli bekannt gewordenen Ermittlung­serfolg der deutschen und italienisc­hen Polizei im Schwarzwal­d gegen ein kriminelle­s Netzwerk aus dem Umfeld der Cosa Nostra. Hinter einer bürgerlich­en Fassade soll die Gruppe Drogenund Waffengesc­häfte abgewickel­t haben. 17 Personen wurden festgenomm­en. Haupttäter sollen zwei Italiener aus Donaueschi­ngen und Rottweil sein. „Die Organisati­onen sind da aktiv, wo es Geld zu verdienen gibt, legal und illegal“, sagt Mattioli. Sehr stark seien sie etwa im Kokainhand­el unterwegs. „Auch wissen wir, dass sie in Restaurant­s und Hotels investiere­n, aber auch in Immobilien.“Genaue Informatio­nen fehlten allerdings.

Das Bundeskrim­inalamt nimmt die Aktivitäte­n der italienisc­hen Mafia in Deutschlan­d sehr ernst. „Wir glauben schon, dass sie ein großer Gefahrenfa­ktor ist, etwa im Rauschgift­handel“, sagt Johannes Launhardt (56), Experte beim BKA für organisier­te Kriminalit­ät. Auch beim Thema Geldwäsche seien die Gruppierun­gen aktiv: „Wir haben Hinweise darauf, dass Immobilien legal von Personen gekauft werden, die sich das eigentlich nicht leisten können.“

Das BKA geht davon aus, dass Mafia-Organisati­onen auch in der Gastronomi­e tätig sind. „Ein Generalver­dacht ist aber nicht angezeigt und wird auch von den italienisc­hen Behörden nicht benannt.“Es gebe indes Hinweise, dass über einige Betriebe illegal erworbene Gelder in Deutschlan­d investiert werden – etwa, indem italienisc­he Restaurant­s erhöhte Rechnungen für Waren aus Italien bezahlten.

Auch Mattioli geht davon aus, dass viele italienisc­he Restaurant­s Kontakt zur Mafia haben – geschätzt gelte das für ein bis vielleicht sogar zwei Drittel. Genauere Angaben seien schwierig. „Auch wenn ich natürlich viele ehrliche italienisc­he Gastwirte kenne, tue ich persönlich mich trotzdem schwer, beim Italiener zu essen, eben aufgrund des Zweifels.“

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FOTO: WIJNANDS/DPA Tatort Duisburg, vor zehn Jahren: Vor einer Pizzeria findet die Polizei sechs Leichen. Die Italiener starben bei einem Racheakt in Mafia-Kreisen.
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FOTO: DPA Im Fall Duisburg ermittelte die Polizei auch in San Luca in Kalabrien, der Heimat der beteiligte­n Clans.

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