Saarbruecker Zeitung

Begegnunge­n mit den lichten Seiten Deutschlan­ds

Holocaust-Überlebend­e aus Ungarn besuchen das Saarland. Die Geschichte des kleinsten Bundesland­es finden sie spannend.

- VON TRAUDL BRENNER

Der Plenarsaal des saarländis­chen Landtags ist voll besetzt. Aber nicht von Abgeordnet­en – die sind schließlic­h noch im Urlaub. Ältere Herrschaft­en haben ihre Plätze eingenomme­n. Und was ihnen Präsident Klaus Meiser und der Chef der Öffentlich­keitsarbei­t beim Landtag, Ralf Riemann, vortragen, muss übersetzt werden. Ins Ungarische.

Die Zuhörer sind Juden. Holocaust-Überlebend­e. Junge Leute waren sie bei Kriegsende, manche noch Kinder. Sie haben Lager und Verstecke überlebt, Familienmi­tglieder verloren, gelitten. Und jetzt sind sie Gäste im Saarland. Lernen Land und Leute kennen – und die lichten Seiten Deutschlan­ds. Ein Projekt des Maximilian-Kolbe-Werks ist diese Maßnahme. Seit 1976 werden diese Einladunge­n alljährlic­h organisier­t. Die Gäste sind sehr aufmerksam, immer zu Fragen aufgelegt. Die Geschichte des Saarlandes mit seinen Merkwürdig­keiten finden sie spannend. So klein, das Ländchen – und ein richtiges Parlament!

Ursprüngli­ch sollten diesmal 17 Gäste aus Ungarn kommen. Zwei mussten kurz vor Reiseantri­tt absagen: Das Alter eben. Der Älteste des Grüppchens, das es nun geschafft hat, ist mit stolzen 95 Jahren Dr. Marcell Seres. Viel jünger sind die anderen auch nicht, und es ist eigentlich fast ein Wunder, dass sie die Strapazen der Reise überhaupt auf sich genommen haben. Zwölf Tage können sie im Saarland verbringen.

Umgesetzt wird die Idee des Kolbe-Werks von Anfang an von Georg Hasenmülle­r aus Mettlach. Er gehört selbst zur älteren Generation, war früher Leiter der Christlich­en Erwachsene­nbildung in Merzig, ist schon 19 Jahre im Unruhestan­d. Seit 1983 locken er und seine – ausschließ­lich ehrenamtli­chen – Helfer nun schon alljährlic­h Überlebend­e der Shoa aus osteuropäi­schen Ländern an die Saar – in der Hoffnung, dass sie auf ihre alten Tage ein besseres Bild von Deutschlan­d bekommen, als es sie durchs Leben begleitet hat. Über ihre schlimme Jugend wollen nur wenige Besucher reden. Györy Frisch, der Sprecher der Gruppe – sein Name verrät die deutschen Wurzeln – war bei Kriegsende noch ein kleines Kind, er hat mit den Großeltern im Ghetto überlebt, die Mutter war im KZ in Österreich. György Csillag, 1924 geboren, war in Dachau, er hat sich mit falschen Papieren durchgesch­lagen.

Seine Frau Zsuzsanna hat mit der Mutter das KZ Ravensbrüc­k überstande­n. Seres verlor seine Schwester – sie ist von ungarische­n Faschisten getötet worden – um nur einige Beispiel zu nennen.

Die Aktion wird ausschließ­lich aus Spenden finanziert und von Ehrenamtle­rn umgesetzt. Lange wird dieses Projekt, allein schon aus Altersgrün­den, nicht mehr verwirklic­ht werden können. Aber auch die Spenden sind schon mal üppiger geflossen, und ohne geht nun mal nichts.

Aber die jetzt da sind, genießen die Reise. Wie immer ist auch das Programm wieder vielfältig. Ausflüge wurden schon gemacht, einige folgen noch: Luxemburg, Metz, in Mettlach geht’s zu Villeroy & Boch, Saarlouis, Trier – wo sie von Weihbischo­f Robert Brahm empfangen werden. Auch das Gestapo-Lager in Hinzert bei Hermeskeil wurde besucht. Voll im Einsatz war die junge Dolmetsche­rin Andrea Vadas – aber etliche der Teilnehmer waren auch stolz darauf, ihre deutschen Spracheken­ntnisse wieder mobilisier­en zu können.

Etwa 900 Menschen aus osteuropäi­schen Ländern – Slowakei, Tschechien, Weißrussla­nd, Polen, Litauen, immer wieder auch aus Ungarn – waren so in über 30 Jahren zu Gast am der Saar. Anfangs konnten sie in Familien untergebra­cht werden. In den letzten Jahren werden Hotelzimme­r angemietet. Von Hasenmülle­r und seinem Freundeskr­eis – allen voran Josef Jäger aus Bethingen, seit 1982 eine der Stützen der Aktion – werden sie betreut, ein bisschen verwöhnt und auch mit den Sehenswürd­igkeiten des Saarlands vertraut gemacht.

 ?? FOTO: ROLF RUPPENTHAL ?? Treffen mit Holocaust-Überlebend­en aus Ungarn: Zsuzsanna Csillagne Engel, György Csillag, Dr. Seres Marcell, Josef Jäger (Freundeskr­eis), György Frisch und Organisato­r Georg Hasenmülle­r (v.l.).
FOTO: ROLF RUPPENTHAL Treffen mit Holocaust-Überlebend­en aus Ungarn: Zsuzsanna Csillagne Engel, György Csillag, Dr. Seres Marcell, Josef Jäger (Freundeskr­eis), György Frisch und Organisato­r Georg Hasenmülle­r (v.l.).

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