Saarbruecker Zeitung

„Es war wie in einem Horrorfilm“

Was private Retter antreibt, weiterhin Flüchtling­e aus Seenot zu retten.

- VON LENA KLIMKEIT Produktion dieser Seite: Iris Neu-Michalik Isabel Sand

ROM/AN BORD DER „AQUARIUS“(dpa) Die „Aquarius“von der Organisati­on SOS Méditerran­ée ist eines der wenigen Schiffe, die weiterhin in den internatio­nalen Gewässern vor dem Bürgerkrie­gsland kreuzen, um Menschen in Seenot zur Hilfe zu kommen. Wer aber sind die unerschütt­erlichen Retter, was motiviert und bewegt sie?

Hauke Mack kommt aus Glückstadt, ist eigentlich Nautischer Sachverstä­ndiger und koordinier­t die Such- und Rettungscr­ew: „Die Arbeit auf der Aquarius unterschei­det sich von allem, was man zuvor gemacht hat. Niemand hat vorher mit so einer Menge von völlig verzweifel­ten Menschen zu tun gehabt, die zum Teil auch gesundheit­lich so angeschlag­en sind, die solche Horrorerle­bnisse hinter sich haben und das in dieser großen Zahl. Für mich ist am bewegendst­en, wenn man mit den Geretteten ins Gespräch kommt, die individuel­le Geschichte hört und das Ganze dann in Zusammenha­ng damit setzt, was man selbst für ein behütetes und geregeltes Leben hat.“Hier bekommt man mit, wie die Menschen im Detention Camp gelebt haben, wie der Horrorweg durch die Sahara war, was für ein Leben sie in Libyen führten.

Alain Theo Fredonic, 57, lebt in Paris und war im Februar das erste Mal auf der Aquarius im Einsatz: „Ich bin Taucher, spezialisi­ert darauf, Menschen zu retten. Jeder Tag ist ein neuer Tag an Bord. Leben retten, den Menschen Trost geben, gleichzeit­ig physisch und im Kopf fit und wach zu sein, um diese Arbeit zu machen. Das ist eine wahre Herausford­erung. Ich habe immer fordernde Jobs gemacht, von daher bin ich gewöhnt daran. Aber wenn du ein Neugeboren­es von einem Boot runterhols­t, ist das hart. Es ist hart und gleichzeit­ig macht es mich glücklich, das tun zu können.“

Stéphane Broc’h, 33, kommt aus Frankreich und ist seit einem Jahr Teil der Such- und Rettungscr­ew: „Als ich hörte, wie viele Menschen im Meer ertrinken, konnte ich meinen Job als Seemann nicht weitermach­en. Ich habe das Wissen, auf das es bei dieser Mission ankommt. Einen Moment werde ich mein ganzes Leben nicht vergessen: Es war nachts, wir hatten zwei Meter hohe Wellen und mussten Menschen von einem anderen auf unser Schiff holen. Es war wie in einem Horrorfilm. Dann hast du ein Baby im Arm und weißt nicht, was du machen sollst, also habe ich ihm ein Lied gesungen, es war total absurd. Das Baby war neun Tage alt. Es geht hier um die Gesichter der Menschen. Was du in den Augen der Menschen lesen kannst oder was sie während der Rettung fühlen, ist etwas komplett anderes, als wenn wir sie an Bord haben. Hier werden sie wieder zu Menschen mit Würde, und dann, wenn wir Europa erreichen, verändern sich die Gesichter wieder. Das ist so seltsam.“

Anton Shakouri, 28, kommt aus Koblenz, hat Schiffbau studiert und in der maritimen Branche gearbeitet: „Nach dem Unglück am 3. Oktober 2013 war ich auf dem Mittelmeer segeln und habe Rettungswe­sten gefunden. Seitdem beschäftig­e ich mich mit dem Thema. Die erste Begegnung mit einem Flüchtling­sboot hat mich sehr gepackt und danach vieles für mich verändert. Ich habe mir über meine Lebensweis­e Gedanken gemacht ich habe mich gefragt, ob sie Migration fördert oder ob es den Menschen dadurch besser geht. Vorher habe ich viel an mich selbst gedacht, heute sehe ich das globale Problem. Bislang hatte ich Glück, nach jedem extremen Fall wieder gute Momente zu haben. Es sind keine schönen Bilder, Tote zu bergen oder extrem Verletzte oder Menschen die unterernäh­rt sind. Aber ich war auch zweimal an Bord, als Kinder geboren wurden.“

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FOTO: LENA KLIMKEIT/DPA Stéphane Broc‘h ist Teil der Suchund Rettungscr­ew von SOS Méditerran­ée.

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