Saarbruecker Zeitung

Richter nehmen EZB ins Visier

Mit Milliarden-Ankäufen hat die EZB die Wirtschaft im Euroraum beflügelt. Zu Unrecht, vermuten jetzt die deutschen Verfassung­srichter.

- VON FRIEDERIKE MARX UND ANJA SEMMELROCH

(dpa) Die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) ruft mit ihrem Anti-Krisen-Kurs das Bundesverf­assungsger­icht auf den Plan. Die Karlsruher Richter haben ernste Bedenken, dass die Währungshü­ter mit ihren milliarden­schweren Käufen von Staatsanle­ihen womöglich zu weit gehen. Vor ihrem Urteil über mehrere Verfassung­sbeschwerd­en gegen die ultralocke­re Geldpoliti­k der Notenbank unter Präsident Mario Draghi schalten sie deshalb den Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH) ein, wie gestern in Karlsruhe mitgeteilt wurde. (Az. 2 BvR 859/15 u.a.)

Es sprächen „gewichtige Gründe“dafür, dass die dem Anleihenka­ufprogramm zugrundeli­egenden Beschlüsse gegen das Verbot der Staatsfina­nzierung durch die Notenbank verstießen. Sie gingen über das Mandat der EZB für die Währungspo­litik hinaus und griffen damit in die Zuständigk­eit der Mitgliedss­taaten ein, hieß es weiter. Die Wirtschaft­spolitik ist in Europa den nationalen Regierunge­n vorbehalte­n.

Zur Ankurbelun­g von Inflation und Konjunktur kauft die EZB seit März 2015 Staatsanle­ihen und andere Wertpapier­e in großem Stil – derzeit für 60 Milliarden Euro monatlich. Das Geld soll die Zinsen drücken und die Kreditverg­abe anheizen. Verbrauche­r und Unternehme­n geben im Idealfall mehr aus, wenn sie billiger an Geld kommen.

Die Kläger sehen sich durch die Geldpoliti­k der Notenbank als deutsche Wähler und Steuerzahl­er in ihren grundgeset­zlich garantiert­en Mitbestimm­ungsrechte­n verletzt. Die Vorlage in Luxemburg bedeutet, dass die Verfassung­srichter diese Vorwürfe sehr ernst nehmen. Weil es um EU-Recht geht, soll zunächst der EuGH urteilen. Auf dieser Grundlage entscheide­t dann später Karlsruhe.

Im äußersten Fall könnten die Richter die deutsche Beteiligun­g an den Staatsanle­ihekäufen untersagen. Die Bundesbank ist größter Anteilseig­ner der EZB, entspreche­nd viele Papiere kauft sie. Das Programm, dessen Risiken auch die nationalen Notenbanke­n tragen, soll noch bis mindestens Ende 2017 laufen – insgesamt werden sich die Käufe dann auf 2,28 Billionen Euro summieren. Die EZB bewertet ihre Geldpoliti­k als Erfolg. Tatsächlic­h wächst die Wirtschaft im Euroraum nach der Schuldenkr­ise inzwischen wieder robust. Die Zeiten der Mini-Inflation sind vorerst vorbei.

Gegen die EZB-Wertpapier­käufe sind in dem Verfahren gleich vier Verfassung­sbeschwerd­en anhängig. Unter den Klägern sind der frühere CSU-Vize Peter Gauweiler sowie mehrere Europaparl­amentarier der Liberal-Konservati­ven Reformer (LKR) um den einstigen AfD-Mitbegründ­er Bernd Lucke. Luckes Beschwerde wird von mehr als 1700 Mitklägern unterstütz­t.

Die EZB sieht die Käufe von ihrem Mandat gedeckt, wie ein Notenbank-Sprecher sagte. Auch die EU-Kommission hält die Bedenken des Bundesverf­assungsger­ichts für unbegründe­t. „Die Kommission ist überzeugt, dass die EZB beim Ankauf von Staatsanle­ihen (...) auf der Grundlage und in den Grenzen der Verträge handelt (...)“, erklärte eine Sprecherin.

Zentrale Fragen legt der Zweite Senat unter Gerichtspr­äsident Andreas Voßkuhle jetzt dem EuGH zur Vorabentsc­heidung vor, mit der Bitte um ein beschleuni­gtes Verfahren. Erst auf der Grundlage des Luxemburge­r Urteils soll dann in Karlsruhe über die Klagen verhandelt werden.

Diesen Weg hat das Verfassung­sgericht bisher erst einmal gewählt, und auch da ging es um die EZB. Auf dem Höhepunkt der Euro-Schuldenkr­ise im Sommer 2012 hatte Draghi zugesagt, einzelne Krisenstaa­ten unter Bedingunge­n mit unbegrenzt­en Käufen von Staatsanle­ihen im Notfall zu stützen. Dazu kam es nicht, allein die Ankündigun­g wirkte beruhigend.

Gegen dieses Programm – von den Experten OMT („Outright Monetary Transactio­ns“) genannt – hatten die deutschen Verfassung­srichter massive Bedenken. Ehe sie den Daumen senkten, gaben sie allerdings den Richterkol­legen am EuGH die Gelegenhei­t, die EZB-Beschlüsse durch eigene Auslegung mit dem EU-Recht in Einklang zu bringen. In Luxemburg bekamen die Währungshü­ter 2015 dann jedoch weitgehend grünes Licht.

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FOTO: IMAGO EZB-Chef Mario Draghi steht wegen seiner Geldpoliti­k in der Kritik.

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