Saarbruecker Zeitung

Ein kleines Loch mit großen Folgen

Eltern, deren Baby mit Zwerchfell­hernie geboren wird, bangen um das Leben ihres Kindes. Ein neuer Verein hilft nun betroffene­n Familien.

- VON UTE KIRCH

Das kleine Herz schlägt schnell. Bumbum bumbum bumbum. Gut ist es auf dem Monitor zu sehen, während der Frauenarzt mit dem Ultraschal­l über Janas gewölbten Bauch fährt. „Das Herz .... “, beginnt der Arzt und stockt kurz, „...schlägt gut.“Doch Tim bemerkt den veränderte­n Tonfall: „Was ist denn mit dem Herz?“, will der werdende Vater wissen. Es schlägt links. „Das ist ja normal“, denkt sich Jana, damals in der 21. Woche. Nein, zu weit links. Direkt am Rippenboge­n.

Anderthalb Stunden dauert der Feinultras­chall an einer großen Klinik. Eine lange Zeit, in der die Ärztin kein Wort spricht. Bumbum bumbum bumbum. Sonst Stille. „Was hat unser Kind denn nun?“, platzt es aus Jana heraus. „Zwerchfell­hernie“, sagt die Gynäkologi­n und blickt in zwei ratlose Augenpaare. „Zwerchfell-was?“

Hinter dem Fachbegrif­f verbirgt sich ein Loch oder eine Lücke im Zwerchfell, durch das Organe wie Magen, Milz, Leber oder Darm nach oben rutschen können. Durch diese Verschiebu­ng hat die Lunge nicht genug Platz, sich normal zu entwickeln. Im Bauch der Mutter ist das kein Problem – aber bei der Geburt ist dies lebensbedr­ohlich.

„Der Defekt ist korrigierb­ar“, sagt die Ärztin. Aber was heißt das? In diesem Fall seien auch Spätabbrüc­he der Schwangers­chaft erlaubt. Tim weiß, dass die Ärztin das sagen muss, damit die Eltern die Klinik nicht verklagen können. Aber in seinen Ohren klingt es nach einer Empfehlung für die Abtreibung. „In dem Moment ist eine Welt zusammenge­brochen. Ich habe mich gefühlt wie im falschen Film“, sagt Jana. War es bis dahin eine Bilderbuch­schwangers­chaft, ändert sich nun alles schlagarti­g. „Natürlich habe ich mich nicht an den Rat gehalten, die Krankheit nicht zu googlen“, erinnert sie sich. Sie stößt auf Blogs und viele Fotos von toten Babys. „Das kann gar nicht gut gehen“, denkt sie. Auch die Ärzte im Bekanntenk­reis machen wenig Hoffnung: „Sie haben uns auf das Schlimmste, den Tod unseres Babys, oder ein Leben mit einem behinderte­n Kind vorbereite­t.“

Tim und Jana wenden sich an die Mannheimer Uniklinik, die eines der führenden Zentren für Zwerchfell­hernien hat. „Jedes Kind, das es schaffen kann, kriegt hier seine Chance“, macht ihnen der Chefarzt Mut. Im Schnitt liegt die Überlebens­chance bei 60 Prozent. Laut Uniklinik Mannheim kommen in Deutschlan­d jährlich 200 Kinder mit einer Zwerchfell­hernie zur Welt. Demnach tritt die Fehlbildun­g etwa bei einem von 2500 Neugeboren­en auf.

Für das Saarbrücke­r Paar beginnen Wochen voller Ungewisshe­it. Oft kommen bei Hernien-Kindern noch andere Komplikati­onen oder Fehlbildun­gen an Organen hinzu. Ein Gendefekt kann bei Anna durch eine Fruchtwass­eruntersuc­hung ausgeschlo­ssen werden. In der 38. Schwangers­chaftswoch­e holen die Ärzte sie per Kaiserschn­itt auf die Welt. 3600 Gramm Leben. Ein kritischer Moment. Liegt das Neugeboren­e auf dem Zwei Schläuche mit Blut führen in Annas Körper: Um ihr das Atmen zu erleichter­n, pumpt eine Maschine Blut aus dem Körper und reichert es mit Sauerstoff an. Anschließe­nd fließt es wieder zurück. Erstversor­gungstisch, ist es für die Ärzte wie eine Blackbox, von der sie nicht wissen, wie es innen aussieht. Sind Gefäße kaputt? Hat sich neben der Lunge noch mehr im Körper verformt? Bricht der Kreislauf zusammen? Nicht jedes Kind, das vor der Geburt als „leichter Fall“eingestuft wird, ist auch einfach zu behandeln.

Anna ist ein schwerer Fall: Ihre Lunge schafft nur 19,8 Prozent einer gesunden Lunge eines Neugeboren­en. Die Ärzte entschließ­en sich für die intensivme­dizinische Technik Ecmo (Extrakorpo­rale Membranoxy­genierung). Bei dieser Behandlung wird das Blut außerhalb des Körpers mit Sauerstoff angereiche­rt und dann wieder zurück in den Blutkreisl­auf des Kindes gegeben. So kann sich die Lunge unter milder Beatmung entfalten. Doch Annas Werte bleiben konstant schlecht. Ärzte und Pflegepers­onal geben den Eltern zu verstehen, dass Annas Chancen schlecht stehen. „Sie haben versucht, uns auf das Schlimmste vorzuberei­ten. Doch irgendwie haben wir immer daran geglaubt, dass Anna es schafft“, sagt Jana. Dann plötzlich, nach sechs Tagen am Ecmo, werden die Werte besser. 15 Tage nach ihrer Geburt wird Anna operiert: Leber und Darm, die auf die Lunge gedrückt haben, kommen an ihre Position, das Loch im Zwerchfell wird mit einem „Patch“aus Goretex verschloss­en.

Lange Zeit sieht es so aus, als würde Anna zum Atmen immer auf Geräte angewiesen sein. Doch in der Silvestern­acht entfernt sie sich die HighFlow-Brille, durch die ihr ein Gemisch aus Druckluft und Sauerstoff in die Nase gepustet wird und ihr so beim Atmen hilft. Das Team hält die Luft an, als Anna atmet. Doch die Sauerstoff­sättigung bleibt stabil. Dreieinhal­b Monate nach ihrer Geburt kann Anna nach Hause.

Jana und Tim hätten sich Rat und Unterstütz­ung vor der Geburt und in der ersten Zeit zu Hause gewünscht. Heute finden Eltern, die sich in einer ähnlichen Lage finden, Hilfe beim Verein „Zwerchfell­hernie bei Neugeboren­en CDH“, dem ersten Elternvere­in für die seltene Erkrankung. Erste Vorsitzend­e ist Karen Wassner, die selbst eine Tochter mit Zwerchfell­hernie hat. „Wir möchten Eltern vor und nach der Geburt Hilfen bieten, sie über die Krankheit informiere­n und eine Plattform für den Austausch untereinan­der bieten“, sagt die 31-Jährige. Auch vielen negativen Berichten in Internetfo­ren, die Eltern verunsiche­rten, wolle man entgegenwi­rken. Auf der Homepage beantworte­n sie die wichtigste­n Fragen und erklären medizinisc­he Fachbegrif­fe. Zudem gibt es Erfahrungs­berichte anderer Eltern. Ziel des Vereins, der im September 2016 gegründet wurde, ist es, überall in Deutschlan­d ein Netz mit regionalen Ansprechpa­rtnern aufzubauen und die Erforschun­g von Behandlung­smöglichke­iten zu unterstütz­en. Geplant sind zudem regionale Treffen und ein Elternsemi­nar, bei dem Ärzte, Psychologe­n und Pädagogen über Forschung und Frühförder­ung berichten.

Heute ist Anna 21 Monate alt und ein echter Wirbelwind. Lange hat es gedauert, bis sie ohne Magensonde essen und trinken konnte. Schon ein Tropfen Milch auf dem Schnuller hat sie anfangs in Panik versetzt. Logopädie, Ergotherap­ie, Physiother­apie – das war lange ihr Alltag. Noch immer ist Anna sehr dünn und braucht auch nachts regelmäßig Nahrung. „Sonst fehlt ihr nichts mehr“, sagt ihre Mutter. Angesichts ihrer Diagnose ein Wunder.

Familien können sich per Mail an den Verein wenden unter Info@cdh-verein.de.

www.cdh-verein.de

Annas Lunge schafft nur 19,8 Prozent eines gesunden Organs.

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FOTOS: VEREIN CDH Anna (Name geändert) ist mit einer angeborene­n Zwerchfell­hernie zur Welt gekommen. Mit Beatmungsg­erät und Magensonde kämpfen die Ärzte um ihr Leben.
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