Saarbruecker Zeitung

Den Geistersch­iffen gehört die Zukunft

Geht es nach norwegisch­en Forschern, werden automatisi­erte Schiffe bald die Besatzunge­n überflüssi­g machen.

- VON SIGRID HARMS

TRONDHEIM (dpa) Der Himmel über dem Hafen von Trondheim ist wolkenverh­angen, es nieselt und ist kalt. Auf dem Wasser fährt ein fünf Meter langes schwarz-rotes Boot stundenlan­g festgelegt­e Bahnen ab. Es vermisst den Grund des Hafenbecke­ns, damit genauere Karten angefertig­t werden können. Eine eintönige Arbeit für den Kapitän eines solchen Bootes. Nur dass dieses Fahrzeug der Firma Maritime Robotics keine Mannschaft hat. Es wird ferngesteu­ert, und der „Kapitän“sitzt im warmen Büro vor dem Bildschirm.

Computerge­steuerte Schiffe sind die Zukunft, zumindest laut den Trondheime­r Forschern. Deshalb hat man den Fjord als Testgeländ­e für führerlose Boote freigegebe­n. Forschungs­einrichtun­gen, Behörden, Hafendirek­tion, die Universitä­t und private Firmen arbeiten eng zusammen, um die Ersten auf diesem lukrativen Markt zu sein. Denn mit der autonomen Schifffahr­t ist viel Geld zu machen. „In Norwegen laufen 40 Prozent des Warentrans­ports über die See“, sagt Ørnulf Jan Rødseth vom Marinetech­nischen Forschungs­institut Sintef Ocean. „Global gesehen werden 90 Prozent des Welthandel­s übers Meer abgewickel­t. Das ist ein Riesengesc­häft.“Rødseth arbeitet seit 2012 mit unbemannte­n Fahrzeugen. Er glaubt, dass schon in fünf Jahren das erste ferngesteu­erte Schiff in den kommerziel­len Betrieb gehen könnte. „Wir müssen nur jemanden finden, der das Ganze finanziert“, sagt der Forscher.

Momentan konzentrie­rt man sich bei Sintef Ocean vor allem auf zwei Bereiche: Passagierf­ähren auf festgelegt­en Routen und Frachtverk­ehr auf kurzen und mittellang­en Distanzen. Bei großen Containers­chiffen, die auf interkonti­nentalen Strecken unterwegs sind, lohne es sich hingegen bisher nicht, die Mannschaft zu reduzieren, meint Rødseth.

„Der Vorteil mit kleineren Schiffen ist, dass wir sie mit dieselelek­trischem Antrieb bauen können. Sie brauchen keine Unterkünft­e für die Mannschaft, es reichen relativ einfache Last- und Schließsys­teme.“Außerdem funktionie­re im Hafen bei kleinen Schiffen alles automatisc­h, und damit müsse an Bord recht wenig instand gehalten werden. Gesteuert würden diese Boote von einem Kontrollze­ntrum aus. Ein Raum, der einer Schiffbrüc­ke ähneln könnte, und von dem aus mehrere Fahrzeuge gleichzeit­ig überwacht würden.

Die Frachtschi­ffe, die dem Trondheime­r Forscher vorschwebe­n, würden festgelegt­e Routen an der Küste zurücklege­n. Im Falle einer Havarie oder technische­r Probleme wäre der nächste Hafen nicht weit. Auch auf deutschen Binnenrout­en wie der Elbe sei der Einsatz solcher Fahrzeuge denkbar, meint Rødseth. Seine Hoffnung ist, dass damit Lastverkeh­r von der Straße geholt werden kann. „Schiffe sind wesentlich energieeff­izienter als Lastwagen, sie belasten die Umwelt weniger, es gibt keine Emissionen aufgrund von Abnutzung, und die Straßen werden nicht verstopft“, meint er. Wer die Emissionen im Transports­ektor senken wolle, komme an der Schifffahr­t nicht vorbei. Damit die führerlose­n Boote auch sicher ihren Bestimmung­sort erreichen, ist einiges an Technik notwendig: Anti-Kollisions­systeme, Satelliten­navigation, Radar, Infrarot-Sensoren und optische Systeme wie Kameras. Es sei wichtig, dass man die Situation genau beobachten könne und dass man Kontrollsy­steme habe, die die Steuerungs­elemente überwachte­n, sagt Gard Ueland vom Schiffbrüc­ken-Hersteller Kongsberg Seatex. So könne verhindert werden, dass ein Computerfe­hler ein Unglück auslöse. Auch gegen mögliche Cyberattac­ken müsse die Software gerüstet sein.

Ueland erwartet, dass die Automatisi­erung der Schifffahr­t in Stufen realisiert werden wird. „Das geht damit los, dass ein normales Schiff mit mehr und mehr Hilfsmitte­ln ausgestatt­et wird. Dann wird man zur Fernsteuer­ung übergehen, und im letzten Schritt wird das Schiff autonom fahren“, so Ueland. Das bedeute aber nicht, dass das Schiff komplett unbemannt sein müsse, nur die Steuerung solle vom Computer übernommen werden.

Die deutsch-norwegisch­e Klassifizi­erungsgese­llschaft DNV GL, die Gutachten für die Schifffahr­t erstellt, beobachtet die Forschung genau. Sie muss am Ende die Betriebser­laubnis geben. „Wir haben mehrere Forschungs­projekte mit der Industrie und hoffen in ein oder zwei Jahren auf erste Ergebnisse“, sagt Nicolai Husteli. Bis daraus Vorschrift­en entstehen, werde es aber noch ein paar Jahre dauern. „Wir gehen nicht davon aus, dass solche Schiffe in den nächsten zehn Jahren in großem Stil in den kommerziel­len Einsatz kommen.“

Die Studenten Kjetil Muggerud und Henrik Alfheim finden das Thema spannend. Sie experiment­ieren im Trondheime­r Hafen mit einem circa drei Meter langen Modellboot, das die DNV GL der Universitä­t für Wissenscha­ft und Technik zur Verfügung gestellt hat. „Mit unserem Modell simulieren wir den Personentr­ansport von einer Seite eines Kanals in Trondheim auf die andere“, erklärt Muggerud. „Es wäre sehr viel günstiger, solch kurze Strecken von einem Computer steuern zu lassen, als einen Kapitän zu beschäftig­en.“Mit der Fernbedien­ung in der Hand manövriert Muggerud das Boot durchs Wasser. „Ich kann mir heute noch nicht vorstellen, wie das ist, auf einem solchen Schiff zu fahren“, räumt der Student ein.

„Wir simulieren den Personentr­ansport von einer Seite des Kanals in Trondheim auf

die andere.“Kjetil Muggerud, Uni Trondheim

 ?? FOTO: HARMS/DPA ?? Noch werden Forschungs­schiffe wie dieses von Menschen ferngesteu­ert. Sie dienen aber der Entwicklun­g völlig autonomer Schiffe, bei denen Computer die Kontrolle übernehmen.
FOTO: HARMS/DPA Noch werden Forschungs­schiffe wie dieses von Menschen ferngesteu­ert. Sie dienen aber der Entwicklun­g völlig autonomer Schiffe, bei denen Computer die Kontrolle übernehmen.
 ?? HARMS/DPA ?? Der Student Kjetil Muggerud lässt ein ferngesteu­ertes Modell zu Wasser. So will er mehr über die Tücken von Kontrollsy­stemen erfahren. Foto:
HARMS/DPA Der Student Kjetil Muggerud lässt ein ferngesteu­ertes Modell zu Wasser. So will er mehr über die Tücken von Kontrollsy­stemen erfahren. Foto:

Newspapers in German

Newspapers from Germany