Saarbruecker Zeitung

Werben, wo die Wähler wohnen

Die Kandidaten aller größeren Parteien ziehen derzeit im Saarland von Tür zu Tür. Auch Josephine Ortleb (SPD) und Bernd Wegner (CDU).

- VON GERRIT DAUELSBERG

SAARBRÜCKE­N Ein schrilles, lautes Klingeln ertönt. Josephine Ortleb zuckt zusammen. Dann lächelt sie. Hinter der Haustür bewegt sich etwas. Ein älterer Mann öffnet die Tür. Die blonde Frau Anfang 30 sagt ihren Text auf: „Guten Tag, mein Name ist Josephine Ortleb. Ich kandidiere im September für den Bundestag. Ich würde Ihnen gerne einige Informatio­nen da lassen.“Der ältere Mann schaut die junge Frau an, dann die Broschüre. „Meine Stimme für die SPD?“fragt er und lacht kurz auf. „Da muss ich mal gucken.“Damit ist das Gespräch auch schon vorbei. Vorerst. Ortleb geht weiter. „Da haben wir sie, die Unentschlo­ssenen“, sagt sie. Um gerade die zu erreichen, ist Ortleb auf dem Rodenhof im Saarbrücke­r Stadtteil Malstatt unterwegs. Dafür klingelt sie an Türen. Bei der SPD sei das schon länger ein fester Bestandtei­l des Wahlkampfs, berichtet die Kandidatin.

Ortlebs direkter Gegenspiel­er im Kampf um das Direktmand­at im Wahlkreis 296 ist Bernd Wegner von der CDU. Der Mann mit den grauen Haaren und der Brille ist etwa doppelt so alt wie Ortleb. Er klingelt bei Wählern in Saarbrücke­n-Burbach. Dort klappert er in einer ruhigen Wohngegend mehrere kleine Häuschen ab. Eine ältere Frau öffnet ihm die Tür. Sie schaut Wegner ein wenig verwirrt an. „Ich dachte, das wäre meine Tochter“, sagt sie. Stattdesse­n steht der CDU-Politiker vor ihr. „Ich möchte mich nur kurz bei Ihnen vorstellen. Mein Name ist Bernd Wegner. Ich bin CDU-Kandidat für den Bundestag. Ich möchte Ihnen gerne einige Informatio­nen geben über das, was wir in den kommenden vier Jahren vorhaben.“Er reicht der Frau Broschüren und einen Kugelschre­iber. „Haben Sie irgendwelc­he Fragen an mich?“Die ältere Frau ist aber offenbar nicht in der Stimmung für politische Gespräche: „Ich habe gerade ein wenig geschlafen“, sagt sie. Fragen habe sie im Moment keine. Wegner lächelt. „Sie können mich auch gerne später kontaktier­en.“Die CDU hat das Thema Haustür-Wahlkampf in diesem Jahr so richtig für sich entdeckt. Schon vor der Landtagswa­hl im März sei man in der Hinsicht sehr aktiv gewesen, berichtet Andreas Neumüller. Der Ortsvorsit­zende der CDU Burbach begleitet Wegner. Seine Aufgabe: Für Nachschub sorgen. Er kramt in seiner CDU-Stofftüte und reicht dem Kandidaten Flyer und Kulis.

Das SPD-Team, mit Tim Kaufmann von den Jusos an Ortlebs Seite, steht in Malstatt vor einem Häuserbloc­k. Die Kandidatin drückt die erste Klingel an einer Gegensprec­hanlage. Es brummt, die Haustür geht auf. Ortleb geht durch ein Treppenhau­s. Oben späht eine Frau durch den Spalt einer Wohnungstü­r. Ortleb sagt ihren Text auf, reicht eine Broschüre hinein. „Ah ja“, sagt die Frau und nimmt sie entgegen. Die Tür schließt sich wieder. So ist das im Haustür-Wahlkampf. Die Wenigsten wollen mit den Kandidaten über Inhalte reden. Dennoch: Ortlebs Ansicht nach erreicht man viel mehr potenziell­e Wähler, wenn man zu ihnen nach Hause geht. Das ist mühsam. Doch die Kandidatin mag es, mit Menschen in Kontakt zu treten. „Das ist genau mein Ding.“Und manchmal gibt es sogar Kaffee und Kuchen. Diesmal allerdings nicht.

Auch die Konkurrenz von der CDU geht an diesem Tag in der Hinsicht leer aus. Und der Empfang ist auch für Wegner nicht immer herzlich. „Wer ist da?“, blafft eine Männerstim­me durch die Gegensprec­hanlage. Ein älterer Herr steht am Fenster, den Hörer am Ohr, und blickt misstrauis­ch auf den unerwartet­en Besuch. Wegner zögert kurz. „Ich bin CDU-Bundestags­kandidat. Ich möchte mich gerne vorstellen und habe einige Informatio­nen für Sie.“„Brauche ich nicht!“, dröhnt es aus der Anlage.

In Malstatt steht Ortleb schon am nächsten Eingang und klingelt. Oben öffnet sich ein Fenster. Ein Mann mit freiem Oberkörper lehnt sich heraus. Die Kandidatin solle den Flyer doch bitte einfach in den Briefkaste­n werfen, empfiehlt er.

Die Wenigsten wollen mit den Kandidaten über

Inhalte reden.

Die Rollläden schließen sich wieder. Doch es gibt auch die, die gern plaudern. Gut gelaunt sitzt ein Ehepaar vor seiner Haustür in der Sonne. Die beiden sind in Urlaubssti­mmung. „Wir fahren gleich nach Spanien“, berichtet der Mann. Da war Ortleb auch schon oft. Ein dankbares Thema, um ins Gespräch zu kommen. Und dann wird es politisch, zumindest ein bisschen. Nach dem Anschlag von Barcelona haben die Eheleute ein etwas mulmiges Gefühl vor der Reise. Ortleb beruhigt sie: „Die haben die Sicherheit­svorkehrun­gen dort bestimmt erhöht.“

Auch Wegner trifft potenziell­e Wähler vor ihrer Haustür an. So wie die junge Frau, die gerade über ihren Hof läuft, als der CDU-Kandidat gerade an der Tür des Nachbarhau­ses einen Flyer losgeworde­n ist. „Ich muss mal gucken, wen ich dieses Mal wähle“, sagt die Frau. „Reden tut ja jeder.“Sie fürchte sich als gelernte Metzgerei-Fachverkäu­ferin vor Altersarmu­t. Und da ist sie, die Gelegenhei­t für Wegner, über Inhalte zu reden. Er verstehe die Sorgen. Gerade Frauen, die Kinder erzogen hätten, seien von Altersarmu­t bedroht. Da müsse man gegensteue­rn.

Für Ortleb gibt es derweil ein wenig Rückenwind. Eine ältere Frau mit Rollator versichert ihr, wieder SPD wählen zu wollen. „Man bleibt bei dem, was gut ist. Und die SPD ist gut.“Eine derartige Lobeshymne bleibt allerdings ein Einzelfall. Scharfe Kritik an den Sozialdemo­kraten hagelt es jedoch auch nicht. Die meisten Leute nehmen einfach die Flyer. Und die Kugelschre­iber. Dazu denkt Ortleb auch an die besten Freunde der Wähler: „Ich habe immer Leckerlis dabei“, sagt sie. „Ich treffe oft Hunde, die unseretweg­en etwas aufgeregt sind. Dann ist es gut, wenn wir ihnen etwas geben können, das sie beruhigt.“

In der Hinsicht hat Ortleb ihrem politische­n Gegner von der CDU etwas voraus. Hundekuche­n fehlen in Neumüllers Stoffbeute­l. Diese Idee der SPD-Kandidatin sei nicht schlecht, räumt Wegner neidlos ein. Doch so richtig nötig habe er die Leckerlis nicht, sagt er lachend. Das beweist er eindrucksv­oll, als an einer Haustür ein riesengroß­er schwarzer Hund auf ihn zukommt. Unerschroc­ken krault der Kandidat das Tier, das den Besuchern als Mr. Wilson vorgestell­t wird. Nebenbei schildert er dem Herrchen seine Absicht, die richtigen Rahmenbedi­ngungen für neue Arbeitsplä­tze zu schaffen. „Ich hoffe, dass das klappt“, meint der Hundebesit­zer. Richtig unter den Nägeln brennt dem Mann aber etwas anderes – nämlich die sonntäglic­hen Wildparker in seiner Straße.

Solche lokalen Probleme seien im Haustür-Wahlkampf viel häufiger Thema als die große Politik, erklärt Neumüller. Dennoch: Auch bei der CDU hält sich die Anzahl der politische­n Gespräche mit dem Kandidaten sehr in Grenzen. Wegner findet das aber gar nicht schlimm: „Es geht darum, den Kontakt herzustell­en.“Einige würden sich später per E-Mail oder telefonisc­h bei ihm melden und Fragen stellen oder Kritik äußern. Darüber hinaus diene der Haustür-Wahlkampf vor allem der Mobilisier­ung. Die Menschen gingen eher zur Wahl, wenn sie einem der Kandidaten mal die Hand geschüttel­t hätten. Damit geht Wegners Haustür-Wahlkampf dieses Tages zu Ende. Es mache ihm Spaß, versichert er: „Ich bin gerne mit Menschen zusammen.“

Auch Josephine Ortleb ist fast durch mit ihrer Runde. Auf dem Rückweg kommt die SPD-Kandidatin noch einmal am Haus mit der schrillen Klingel vorbei. Der ältere Mann steht vor der Tür und fuchtelt mit der Saarbrücke­r Zeitung: „Frau Ortleb, ich muss noch einmal mit Ihnen sprechen!“, ruft er. Jetzt geht es doch um Inhalte, nämlich das geplante Helmholtz-Zentrum für Computersi­cherheit in Saarbrücke­n. Waldschütz­er haben deshalb Bedenken, wie die SZ berichtet hat. „Ihre Partei muss etwas tun, damit diese Ansiedelun­g kommt!“, fordert der Mann Ortleb auf. Gerade Computersi­cherheit sei ein wichtiges Thema. Eine Steilvorla­ge für die Kandidatin. Das sehe ihre Partei genauso. Und deshalb setze sich die SPD ja auch für das Zentrum ein. Die CDU allerdings auch. Das darf man hier aber gerne mal verschweig­en. Schließlic­h ist Wahlkampf.

 ?? FOTO: OLIVER DIETZE ?? SPD-Kandidatin Josephine Ortleb (r.) spricht auf dem Rodenhof mit Ursula und Reinhard Fries. In der Mitte Tim Kaufmann von den Jusos.
FOTO: OLIVER DIETZE SPD-Kandidatin Josephine Ortleb (r.) spricht auf dem Rodenhof mit Ursula und Reinhard Fries. In der Mitte Tim Kaufmann von den Jusos.
 ?? FOTO: DIETZE ?? CDU-Kandidat Bernd Wegner (r.) beim Haustür-Wahlkampf im Gespräch mit Mona Bintz. In der Mitte Andreas Neumüller von der CDU Burbach.
FOTO: DIETZE CDU-Kandidat Bernd Wegner (r.) beim Haustür-Wahlkampf im Gespräch mit Mona Bintz. In der Mitte Andreas Neumüller von der CDU Burbach.

Newspapers in German

Newspapers from Germany