Saarbruecker Zeitung

„Harvey“ist fort und hinterläss­t einen Alptraum

In der US-Metropole Houston ist seit dem Hurrikan-Horror nichts mehr, wie es war. Die Bewohner hadern – nicht nur mit dem Schicksal.

- VON FRANK HERRMANN Produktion dieser Seite: Frauke Scholl, Robby Lorenz Gerrit Dauelsberg

HOUSTON Früher schlängelt­e sich die Mason Road durch gepflegtes VorortMili­eu mit akkurat gemähten Rasenfläch­en. Heute führt sie durch eine Landschaft, die Benny Pastora einen apokalypti­schen Alptraum nennt. Ein furchtbare­r Gestank liegt über dem Viertel, scheinbar sinnlos ragen Stoppschil­der aus dem Wasser, vereinzelt auch Autodächer. Es ist der Tag fünf nach der großen Flut, nach dem Horror-Sonntag, an dem der Tropenstur­m „Harvey“einen Regen nach Houston brachte, wie ihn noch keine amerikanis­che Stadt erlebt hat.

Während das Wasser in den meisten Vierteln der Stadt so weit gesunken ist, dass auf den Straßen der Verkehr wieder rollt, ist an der Mason Road in der Einfamilie­nhaussiedl­ung Cinco Ranch, rund 40 Kilometer westlich der City, kein Ende des Elends in Sicht. Noch nie musste das Rückhalteb­ecken nahe der Straße in so kurzer Zeit so viel Wasser auffangen. Um es nach und nach ablaufen zu lassen, werden Schleusen geöffnet. Dennoch bleibt die Gefahr, dass die altersschw­achen Deiche dem noch immer enorm hohen Druck der Wassermass­en nicht standhalte­n. Drei Wochen, hat Pastora von seinem Sheriff gehört, wird es wohl dauern, bis man wieder durch Cinco Ranch laufen kann, ohne bis zu den Hüften in brauner Brühe zu versinken. Der Mathematik­er hält den Zeitplan für viel zu optimistis­ch. „Drei Wochen oder drei Monate, wer weiß das heute schon so genau.“

Cinco Ranch ist untergegan­gen in einer Kloake. Die Kanalisati­on hat offenbar Schaden genommen, Exkremente schwimmen im Wasser. Bis Sonntag wohnte Benny Pastora in dem Viertel, Dozent einer Universitä­t, verheirate­t mit Helen, einer Violinisti­n. 1995, damals brauchten sie Platz für ihre fünf Kinder, kauften sie ein geräumiges Haus in Cinco Ranch. Houston wuchs und wuchs, Siedlungen mit monotoner Architektu­r entstanden im Umland, auch neben dem Auffangbec­ken im Westen. Als das Reservoir in den 1930er Jahren angelegt wurde, soll die Army davor gewarnt haben, in seinem Umkreis Häuser zu bauen. Nach „Harvey“scheinen sich alle wieder daran zu erinnern. Zuvor war es vergessen.

Was Pastora ganz sicher weiß, ist, dass er von vorn anfangen muss. Schimmlige Gipswände herausreiß­en, neue Elektroger­äte kaufen, die Möbel im Parterre ersetzen. Aber zunächst geht es darum, Pinto und Taira zu retten, die beiden Katzen. Troy E. Nehls, der Sheriff, hat den Bewohnern der versunkene­n Siedlung per Facebook angeboten, dass sie sich am trockenen Ende der Mason Road einfinden können, um ihre zurückgela­ssenen Haustiere zu bergen. Für den Sheriff, ein drahtiger Mann mit Cowboy-Hut, ist die Maßnahme ebenso wichtig wie anderes nach der Flut. „Es gibt so viele Kinder, die Alpträume haben nach allem, was sie durchmache­n mussten. Wenn ich denen wenigstens etwas zurückgebe­n kann, was sie beruhigt, hat sich die Sache gelohnt.“

Am entgegenge­setzten Ende der Stadt im Vorort Crosby lebt Dan Harris auf seiner Ranch. Die Fluten sind bei ihm nicht angekommen, aber die Ranch liegt nur knapp außerhalb der Sperrzone um das überflutet­e Chemiewerk, das nach „Harvey“explodiert­e. Die geradezu biblischen Regenfälle sieht Harris als einen Ausnahmefa­ll. „Bist du Demokrat, dann ist die globale Erwärmung an allem schuld. Bist du Republikan­er, glaubst du daran, dass die Erde natürliche Zyklen durchläuft“, sagt er zum Thema Klimawande­l. Ein Hurrikan sei ein Hurrikan. „Was willst du dagegen machen?“

Bei weitem nicht jeder in Houston sieht das so. Es gebe nun mal diesen unsichtbar­en Elefanten im Raum, auch wenn mancher nicht über ihn reden wolle, schreibt Vernon Loeb, der Chefredakt­eur des „Houston Chronicle“. Der Elefant ist die globale Erwärmung. Immer häufiger auftretend­e extreme Wettereign­isse seien die logische Folge. Ob „Harvey“einen Wendepunkt der amerikanis­chen Klimadebat­te markiert, sogar in Texas? Nein, sagen Experten. In Houston, das seinen Wohlstand Öl und Gas verdankt, habe ökologisch­e Weitsicht auch nach „Harvey“einen schweren Stand.

Unterdesse­n hadert Sherry Roberts im NRG Center, einer zur Notunterku­nft umfunktion­ierten Messehalle, noch immer mit den lokalen Behörden, die aus ihrer Sicht den Ernst der Lage zu „Harvey“lange nicht begriffen. Roberts machte sich schon vor Sonntag Sorgen, weil der Sturm nahte und es keine Infos über Notunterkü­nfte gab. Sie rief die Stadtverwa­ltung an und bekam zur Antwort, dass sie zu Gott beten solle, falls es schlimm komme. „Ich bin zwar gläubig, aber das war nicht die Antwort, die ich hören wollte.“

Die US-Regierung hat nun Aufbauhilf­e angekündig­t: Berichten vom Freitagabe­nd zufolge fordert Trump vom Kongress 5,9 Milliarden Dollar für die Flutopfer.

 ?? FOTO: OLSON/AFP ?? Land unter: Hurrikan „Harvey“hat in Houston und Umgebung rund 100 000 Häuser überflutet. Der Sturm richtete seit Sonntag in Texas und Louisiana verheerend­e Schäden an. Wie viele Todesopfer es gab, ist noch unklar.
FOTO: OLSON/AFP Land unter: Hurrikan „Harvey“hat in Houston und Umgebung rund 100 000 Häuser überflutet. Der Sturm richtete seit Sonntag in Texas und Louisiana verheerend­e Schäden an. Wie viele Todesopfer es gab, ist noch unklar.
 ?? FOTOS: HERRMANN ?? Flut-Opfer Sherry Roberts ist wütend auf die Behörden.
FOTOS: HERRMANN Flut-Opfer Sherry Roberts ist wütend auf die Behörden.
 ??  ?? Sheriff Troy Nehls versucht, im Vorort Cinco Ranch zu helfen, wo er kann.
Sheriff Troy Nehls versucht, im Vorort Cinco Ranch zu helfen, wo er kann.

Newspapers in German

Newspapers from Germany