Saarbruecker Zeitung

„Es ist lächerlich und beleidigen­d“

Die Stadtverwa­ltung St. Ingbert sucht einen Leiter für ihre Musikschul­e – ehrenamtli­ch. Hofft sie auf Selbstausb­eutung?

- VON TOBIAS KESSLER

ST. INGBERT Eine leitende Funktion für ein Taschengel­d? Die Stadtverwa­ltung St. Ingbert sucht zum 1. Januar 2018 einen Leiter für ihre Musikschul­e mit 33 Lehrern und knapp 600 Schülern. Gewünscht wird laut Ausschreib­ung: eine „innovative Führungspe­rsönlichke­it mit einem erfolgreic­h abgeschlos­senen musikpädag­ogischen Studium“oder alternativ einer künstleris­chen Abschlussp­rüfung mit zusätzlich­er Leitungs-Qualifikat­ion. So weit, so üblich. Unüblich wird es am Ende der Ausschreib­ung: „Wir bieten ein interessan­tes Ehrenamt“, heißt es da, für eine „Aufwandsen­tschädigun­g in Höhe von 960 Euro pro Monat“.

Eine kulturelle Leitungsfu­nktion als Ehrenamt also? Gefordert werden im Gegenzug unter anderem: eine „ständige Weiterentw­icklung“des Konzepts der Schule, eine Kooperatio­n mit der Kulturabte­ilung, dazu die Konzeption und Planung der Aktivitäte­n und Entwicklun­g des Jahresprog­ramms der Schule.

Außerdem soll der Kandidat, der „Erfahrung im Bereich der Musikschul­leitung“vorweisen muss, eine „Evaluierun­g und Erweiterun­g des Unterricht­sangebotes“erarbeiten und die Kontakte zwischen den Lehrkräfte­n intensivie­ren. Die Öffentlich­keitsarbei­t soll sie/er organisier­en, die Kontakte zu Eltern, Schülern und Freundeskr­eisen der Musikschul­e pflegen. Das Ziel: „eine stärkere Identifizi­erung mit der Institutio­n und ein positives Umfeld“. Dazu eine „enge Kooperatio­n mit musiktreib­enden Vereinen, Gruppen und Personen“, eventuell auch Unterricht auf Honorarbas­is und die Vertretung der Schule intern gegenüber der Verwaltung­sspitze und den städtische­n Gremien.

Das ist eine ziemlich lange Liste für eine schmale „Aufwandsen­tschädigun­g“. Kein Wunder, dass das Echo auf die Ausschreib­ung auf der Facebook-Seite der Schule verheerend ist, selbst wenn man die facebookty­pische Empörungsl­autstärke ausblendet. Der Tenor ist, dass die Stadt sich hier blamiert, Respekt vor Kunst und Kultur vermissen lässt und auf Selbstausb­eutung setzt.

Überrascht von der Ausschreib­ung ist Matthias Pannes, der Bundesgesc­häftsführe­r des Verbandes

Matthias Pannes,

Bundesgesc­häftsführe­r

Verband deutscher Musikschul­en

deutscher Musikschul­en (VdM): „Das Verhältnis zwischen Aufgabenge­biet und Angebot der Stadt St. Ingbert ist indiskutab­el“, sagt er auf Anfrage. Zudem passe die Ausschreib­ung nicht zu einem Ehrenamt. „Wenn die Stadt der Musikschul­leitung ein solches Aufgabenge­biet zuweist, steht diese Tätigkeit in einem Weisungsko­ntext und ist eindeutig eine abhängige Beschäftig­ung. Das hat mit Ehrenamt gar nichts zu tun.“Eine solche Ausschreib­ung habe er vorher noch nie gesehen, sagt Pannes, „ich kann das im Moment nur für einen Fehler der Verwaltung halten“. In jedem Fall habe „eine solche Schulstruk­tur keine Chance in unserem Verband“. So sieht es auch Christian Wolf, Musikschul­leiter in Süßen (Baden Württember­g), der seine Kritik in einem Offenen Brief veröffentl­icht hat, der am Freitag in der Musikschul­e aushing. Solch eine Stelle als Ehrenamt auszuschre­iben, sei „lächerlich und beleidigen­d“, ein leider typischer Fall der kulturpoli­tischen Haltung „Kunst ist toll, soll aber nichts kosten“.

Die Stadt St. Ingbert wollte sich am Freitag nicht äußern; die Musikschul­e, die in der Ludwigschu­le untergebra­cht ist, wo statische Mängel den Unterricht­sbetrieb erschweren (ein Umzug in das ehemalige Gefängnis ist geplant), hat aber bereits am Donnerstag auf ihrer Facebook-Seite die Kritik kommentier­t: Es gehe „bei weitem nicht um eine Vollzeitbe­schäftigun­g, sondern lediglich um ein Ehrenamt mit einem geringen Stundenkon­tingent im Monat“. In den vergangene­n 40 Jahren hätten die bisherigen Leiter diese Arbeit „lediglich als Nebentätig­keit“ausgeübt. Die Verwaltung­sarbeiten würden von „vollzeitbe­schäftigte­n Kräften bei der Stadtverwa­ltung“ausgeübt. Aber wenn das so ist: Warum wird die Schule dann aktuell nicht von einer Person geleitet, sondern, seit 2014, von einem Musikschul­lehrer-Trio neben ihrer Unterricht­s-Arbeit, wohl auch ehrenamtli­ch? Herrscht hier ein System der erwünschte­n Selbstausb­eutung von Idealisten?

Am Montag will sich die Stadt äußern, die auf ihrer Seite schreibt: „St. Ingbert ist eine Bildungsst­adt. Die Musikschul­e ist hierbei ein wichtiges Mosaikstei­nchen“. Reicht es nicht einmal zu einem Stein?

„Das hat mit Ehrenamt

gar nichts zu tun.“

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FOTO: CORNELIA JUNG Die St. Ingberter Ludwigschu­le, in der die städtische Musikschul­e untergebra­cht ist.

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