Saarbruecker Zeitung

„Die Furcht wirkt wie eine Brechstang­e“

Für den Sicherheit­sexperten von der Universitä­t Kiel haben alle Formen des Terrors die Verbreitun­g von Angst gemeinsam.

- DAS INTERVIEW FÜHRTE IRIS NEU-MICHALIK

SAARBRÜCKE­N In Deutschlan­d war der Terrorismu­s lange mit der RAF verknüpft. Inzwischen hat die Gesellscha­ft Erfahrung mit anderen Formen des Terrors gemacht, etwa mit Al Qaida, dem IS oder dem NSU. Dazu ein Gespräch mit dem Terrorismu­sexperten Jannis Jost vom Institut für Sicherheit­spolitik an der Uni Kiel.

Herr Jost, gibt es Elemente, die allen Formen des Terrors von der RAF bis zum IS gemeinsam sind?

JOST Allen gemeinsam ist die Ausübung von Gewalttäti­gkeit in einem schockiere­nden Ausmaß. Der Terrorismu­s agiert mit der Verbreitun­g von Furcht. Jeder terroristi­sche Akt ist gleichzeit­ig eine Drohung gegen alle, die sich mit den Opfern identifizi­eren. Die Furcht wirkt dabei wie eine Art Brechstang­e mit Hebelwirku­ng. Attraktiv ist diese Hebelwirku­ng vor allem für diejenigen, die selbst schwach sind und ihre Ziele nicht mit anderen Mitteln durchsetze­n können.

Und was sind die markantest­en Unterschie­de dieser „Spielarten“des Terrors?

JOST Das ist vor allem die Auswahl der Ziele. Die RAF hat viele grausame Morde verübt. Aber der Normalbürg­er war relativ geschützt vor der RAF, wenn er keine politisch exponierte Position hatte, wie das etwa bei Hans Martin Schleyer der Fall war. Dieser gehörte als Arbeitgebe­rpräsident zur Zielgruppe der RAF. Das ist beim IS völlig anders: Hier ist die Dimension der Zielgruppe ungleich größer, da zu ihr all diejenigen gehören, die nicht der Kategorie „wahre Muslime“zuzuordnen sind. Und das sind nur sehr wenige, denn auch die allermeist­en Muslime entspreche­n nicht der Muslim-Definition des IS. Insofern ist die ganze deutsche Gesellscha­ft legitimes Ziel des IS. Das hat er auch mehrfach so kommunizie­rt. Die Bedrohung ist damit natürlich unmittelba­rer.

Was verband die RAF mit der palästinen­sischen Befreiungs­organisati­on, mit der sie eng zusammenar­beitete? Beide Terrorgrup­pen hatten doch völlig unterschie­dliche Motive.

JOST Eigentlich verband beide so gut wie nichts. Aber Terroriste­n haben gelernt, dass sich durch Netzwerkst­rukturen neue Möglichkei­ten eröffnen: Zugänge zu neuen Rekruten, zu Geld und zu Waffen. Und Netzwerkst­rukturen lassen sich gut über gemeinsame Feinde und Ideologien herstellen. Meiner Ansicht nach handelte es sich um eine eher funktional­e Beziehung.

Erwarten Sie, dass wir in Zukunft mit noch gewalttäti­geren Formen des Terrors konfrontie­rt werden?

JOST Ich sehe durchaus Ideologien, die noch mehr Zerstörung­spotenzial haben als der Dschihadis­mus – von denen bisher aber nur wenige terroristi­sche Auffälligk­eiten bekannt sind. Dabei denke ich beispielsw­eise an Gruppen des Millennial­ismus, die an die Apokalypse glauben und in der Vergangehe­it versuchten, Massenvern­ichtungswa­ffen einzusetze­n. Oder auch radikale Umweltbewe­gungen, die die ganze Menschheit als Virus sehen, das die Welt ins Verderben stürzt und beseitigt werden muss, damit die Natur weiterlebe­n kann. Die Frage ist aber: Warum sehen wir keinen entspreche­nden Terrorismu­s, obwohl diese Ideologien existieren? Das weißt darauf hin, dass es nicht in erster Linie um die Ideologie an sich geht, sondern um die Gründe, warum Individuen Zuflucht in einer Ideologie suchen – oder eben nicht.

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Jannis Jost.
FOTO: ISPK Terrorismu­sexperte Jannis Jost.

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