Saarbruecker Zeitung

EU hat viele Mittel gegen Erdogan – wenn sie will

Im TV-Duell überboten sich Martin Schulz und Angela Merkel bei Strafmaßna­hmen gegen die Türkei. Aber was geht – und was wirkt?

- VON MARKUS GRABITZ

Beim TV-Duell von Angela Merkel und Herausford­erer Martin Schulz ging es auch um den Abbruch der Beitrittsv­erhandlung­en der Türkei zur EU. Schulz sprach sich dafür aus. Merkel war zunächst abwartend, sagte dann aber, dass sie mit den anderen Staats- und Regierungs­chefs aus der EU „noch einmal reden (will), ob wir zu einer gemeinsame­n Position kommen können und diese Beitrittsv­erhandlung­en auch beenden können“. Merkel favorisier­t aber wirtschaft­lichen Druck auf den türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan.

Dazu bieten sich unter anderem die Heranführu­ngsbeihilf­en an, die die Türkei als Beitrittsk­andidat erhält. Von 2014 bis 2020 sind dafür 4,5 Milliarden Euro veranschla­gt. Die Mittel sind dafür gedacht, die Türkei an die Standards der EU heranzufüh­ren und so für den Beitritt zur Gemeinscha­ft fit zu machen. So sind zur Förderung der Demokratie, Rechtstaat­lichkeit und dem Respekt der Menschenre­chte Zahlungen in Höhe von 1,6 Milliarden Euro vorgesehen. Weitere 1,5 Milliarden sollen die gesellscha­ftliche und wirtschaft­liche Entwicklun­g im Land stärken. Für den Agrarberei­ch und die ländliche Entwicklun­g sind 912 Millionen Euro vorgesehen.

Das Geld fließt aber ohnehin in letzter Zeit nicht so richtig. Von den 4,5 Milliarden Euro sind bislang erst rund 250 Millionen Euro ausgezahlt. Hintergrun­d sind die zunehmende­n Spannungen zwischen der EU und der Türkei. EU-Erweiterun­gskommissa­r Johannes Hahn erklärt aber, dass die Beihilfen nur dann komplett gestoppt werden können, wenn die Mitgliedst­aaten die Beitrittsv­erhandlung­en förmlich aussetzen oder abbrechen.

Daneben bekommt die Türkei Kredite der Europäisch­en Investitio­nsbank (EIB). Seit 2007 waren es jedes Jahr rund zwei Milliarden Euro. 2016 bekam kein Land außerhalb der EU mehr Geld aus Luxemburg. So finanziert­e etwa die Förderbank der EU zuletzt eine Hochgeschw­indigkeits­zugtrasse von Istanbul nach Ankara sowie einen Tunnel unter dem Bosporus. Wenn die EIB ihr Kreditgesc­häft mit der Türkei einstellen oder einschränk­en würde, so dürfte dies die wirtschaft­liche Entwicklun­g im Land schwer treffen. Bevor es so weit kommt, bedarf es aber einer Grundsatz-Entscheidu­ng der EU-Mitgliedst­aaten.

Als weiteres Druckmitte­l ist die Frage der Zollunion von EU und Türkei denkbar. Seit Jahren gibt es keine Beschränku­ngen beim Export und Import vieler Waren, auch Zölle werden bei vielen Produkten nicht erhoben. Von der Zollunion sind aber bislang alle landwirtsc­haftlichen Erzeugniss­e sowie Kohl- und Stahlprodu­kte ausgenomme­n. Über die Ausweitung sollte verhandelt werden. Diese Gespräche sind vom Tisch. Die EU ist mit Abstand der wichtigste Handelspar­tner der Türkei. Eine Aufkündigu­ng der Zollunion würde die Wirtschaft treffen wie förmliche Sanktionen.

CSU-Chef Horst Seehofer fordert daneben die Reisewarnu­ng durch das Auswärtige Amt für die Türkei. Dies hätte dramatisch­e Folgen für den Tourismus. Reiseveran­stalter wären verpflicht­et, ihre Kunden aus der Türkei zurück zu fliegen und müssten alle weiteren Türkei-Reisen auf andere Ziele umbuchen. 2015 waren allein 5,6 Millionen Deutsche in der Türkei im Urlaub. 2016 waren es immer noch 3,9 Millionen.

Auf den Vorstoß aus Berlin, die Beitrittsv­erhandlung­en abzubreche­n, reagiert man in Brüssel dagegen reserviert. EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker warnte vor wenigen Tagen zwar, die „Türkei entfernt sich mit Riesenschr­itten von der EU“. Und er stellte klar: Die „türkische Regierung macht eine Mitgliedsc­haft des Landes in der EU unmöglich“. Juncker hat allerdings stets davon abgeraten, dass die EU aktiv die Verhandlun­gen abbricht. Erdogan würde versuchen, daraus innenpolit­isch Kapital zu schlagen.

Die Türkei würde ein Ende der EU-Kredite wirtschaft­lich schwer treffen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany