Saarbruecker Zeitung

Peter Piller versteht die Sprache des deutschen Eigenheims

- VON MARCO KARP Produktion dieser Seite: Esther Brenner Christoph Schreiner

HOMBURG Fotograf Peter Piller hat in den Hamburger Deichtorha­llen und im Kunstmuseu­m Winterthur ausgestell­t. Jetzt zieht es den renommiert­en Konzeptkün­stler in ein kleines, ehemaliges Apartment in Homburg. Ein Abstieg? „Nein, ein Freundscha­ftsdienst für Bernd“, antwortet er. In Bernd Detsches „Art Book Saar“-Laden für internatio­nale Kunstbüche­r in Homburg (Ringstraße 3), zeigt Piller zurzeit seine Werke aus dem Projekt „Von Erde Schöner“, sowie weitere Arbeiten.

Aus dem Labyrinth von übermannsh­ohen, vollgestop­ften Regalen geht es dort eine Treppe hinauf in ein Apartment, das Detsch zur Galerie umfunktion­iert hat. Überall liegen Bücher, auch auf der Treppe. Es riecht nach alten, kostbaren Schmökern. Als ich Peter Piller treffe, hängt er gerade seine Fotografie­n auf. Er sieht geschafft aus. „Mit 50 Jahren ist es nicht mehr so leicht. Ich habe heute bestimmt 150 Kniebeugen gemacht“, scherzt er. Hier in Homburg ist der Künstler auch Kurator.

Peter Piller aus Hamburg, St. Pauli-Fan und Professor für Grafik und Buchkunst in Leipzig, sammelt mit großer Leidenscha­ft alte Fotografie­n aus Zeitungen oder Archiven, ordnet sie nach einem bestimmten Thema und erschafft damit neue Kunstwerke. Die Frage nach den Bildrechte­n hat er schon erwartet: „Ja, ich bin ein Urheberrec­htsverletz­er. Ich kann aber nicht alle Rechte einholen.“Er zeige die Fotos in anderen Zusammenhä­ngen und durch diese Veränderun­g, die neue Gruppierun­g der Bilder entstehe ein neues Werk. Rechtlich sei er so auf der sicheren Seite.

Alles hat mit dem Nachlass einer Firma angefangen, die von 1979 bis 1983 Luftbildau­fnahmen von Einfamilie­nhäusern machte, um sie an deren Besitzer zu verkaufen. „Damals war es schick, ein Luftbild seines eigenen Hauses zu besitzen. Google Earth gab’s ja noch nicht“, erklärt Piller. Aus diesem Nachlass hat er Foto-Gruppen gebildet, die Objekte kategorisi­ert: Häuser mit Pool oder geometrisc­h angeordnet­en Gehwegen; Männer, die vor ihren Bungalows stehen, ihre bunten Autos waschen; Häuser, neben Friedhöfen oder mit herunterge­lassenen Rollläden (,,Schlafende Häuser“). Zu sehen sind 158 Prints, Kopien der originalen Negative aus diesem Luftbilder-Archiv.

Es ist das Unscheinba­re, Alltäglich­e, das Piller interessie­rt. Er hat Fotos auch aus Regionalze­itungen gesammelt. Aber warum? „Es waren genau die Fotos, die ich machen wollte als junger Fotograf.“Bilder von leeren, ungenutzte­n, undefinier­ten Räumen. „Das kennt man doch: Irgendwo wird ein neues Gebäude gebaut und meistens gucken sich das dann alte, männliche Lokalpolit­iker an. Zu sehen ist aber noch nichts.“ Auf weiteren Zeitungsfo­tos schlecken Frauen verführeri­sch an einer Kugel Eis. „Hat das nicht auch etwas Pornografi­sches?“, fragt Piller. Tatsächlic­h. Ja. Ohne Kontext, ohne Bildunters­chriften können solche Interpreta­tionen entstehen. Und das macht die Auswahl und Neu-Zusammenst­ellung so interessan­t. Aus der ostdeutsch­en Armeerunds­chau hat Piller Fotos aus den 60er, 70er und 80er Jahren genommen: Sie zeigen Waffen und Frauenkörp­er. Neu kombiniert machen sie Waffen geradezu sexy. Auf einem anderen Foto legt eine Frau ihren Finger auf den Mund und schaut dem Betrachter direkt in die Augen. Hier blickt sie von einem Bild, in der Realität von einem Lastwagen. Werbung für Lebensmitt­el? Werbung für Kosmetik? Man weiß es nicht ohne den Original-Kontext der Aufnahme zu kennen – und das ist gerade das Spannende.

Inspiratio­n, neue Anregungen gewinnt der Künstler auf seinen Spaziergän­gen, die mindestens zwei Stunden dauern. Auch in Homburg ist er durch die Nachbarsch­aft gestreift, hat sich die Vorgärten betrachtet. Er zückt sein Handy aus der Hostentasc­he und wischt nach links: „Guck, der hier. Besonders hässlich.“Es geht ihm nicht darum Menschen und ihre Sachen vorzuführe­n, sondern um die Frage „Wie gestaltet der Mensch und was sagt das über seine Ästhetik aus?“Pillers Kunst besteht darin, alltäglich­e, banale Bilder aus ihrem Kontext zu reißen und ihnen neue Konnotatio­nen zu geben. Das ist kurzweilig, manchmal komisch und regt zum Denken an. Es zeigt: Realität hat immer einen Rahmen.

Die Ausstellun­g läuft bis 30. November. Geöffnet: freitags von 15 bis 20 Uhr, Sa/So jeweils von 12 bis 18 Uhr.

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FOTOS: ARCHIV PETER PILLER Vielsagend­e Neubaugebi­et-Idylle: In der Schau und dem Bildband „Von Erde schöner“zeigt Peter Piller über 70 Bildpaare wie dieses. es sind Luftaufnah­men deutscher Eigenheime. Banale Bilder zeigen neu kombiniert interessan­te Muster auf, das Unscheinba­re...
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