Saarbruecker Zeitung

Ein schwarzer Tag für die Roten

Nach dem historisch­en Wahldebake­l will sich die SPD um Martin Schulz neu aufstellen – in Teilen auch personell.

- VON STEFAN VETTER

Das Willy-Brandt-Haus ist zur Zeltstadt erweitert worden. Entlang der SPD-Zentrale sitzen Parteianhä­nger unter Planen, essen Currywurst und lassen sich das Bier schmecken. Rote Luftballon­s mit dem Logo „Schulz 2017“liegen auf den Tischen. Doch viele wurden entweder gar nicht erst aufgeblase­n, oder die Luft ist längst raus. Die Szene passt zur verhaltene­n Stimmung der allermeist­en Gäste. Die Uhr geht langsam auf 18 Uhr zu, da wird auf einem der großen Bildschirm­e bereits über die zu erwartende Zweistelli­gkeit der AfD diskutiert. Einige Gesichter verdüstern sich noch mehr. Und das ändert sich auch nicht, als zur vollen Stunde die Balken der ersten Prognose emporschie­ßen. Für die Sozialdemo­kraten bleiben sie schon zwischen 20 und 21 Prozent stecken. Das ist noch einmal weniger als beim Allzeit-Tief acht Jahre zuvor, als der Spitzenkan­didat Frank-Walter Steinmeier hieß. Stilles Entsetzen macht sich breit.

Martin Schulz sitzt da bereits seit einigen Stunden in einem Besprechun­gsraum im dritten Stock mit der engsten Parteiführ­ung und den beiden Ministerpr­äsidenten Malu Dreyer (Rheinland-Pfalz) sowie Stephan Weil (Niedersach­sen) zusammen, um an Sprachrege­lungen für das sich abzeichnen­de Debakel zu feilen. Zwischenze­itlich gibt es sogar Gerüchte, der Kanzlerkan­didat könnte den Parteivors­itz hinschmeiß­en. Unten im proppenvol­len Atrium, das an diesem Wahlabend einem riesigen Fernsehstu­dio gleicht, macht sich mancher darüber seine eigenen Gedanken. Marius Niespor zum Beispiel, ein Parteimitg­lied aus Berlin-Zehlendorf, findet, dass nun auch personelle Konsequenz­en nötig seien. Auf jeden Fall dürfe die Partei nicht mehr in eine „Groko“gehen, sagt Niespor. Dieser Tenor bestimmt auch die Debatten an vielen Tischen in den Zelten. Hubertus Heil kommentier­t die Wahlnieder­lage als einer der ersten im Fernsehen: Man werde die Opposition­srolle annehmen müssen, sagt der Generalsek­retär. Das Wahlergebn­is sei „kein Regierungs­auftrag“. Da nicken sie eifrig vor den Bildschirm­en.

Genau auf diese Linie hat sich die Runde im dritten Stock dann auch am Ende verständig­t – freilich auch darauf, dass Schulz Parteichef bleiben soll. Als der glücklose Kandidat gut eine halbe Stunde nach Schließung der Wahllokale die Bühne betritt, brandet trotziger Applaus auf. Schulz spricht von einem „schweren und bitteren Tag“für die SPD, und dass sich die Partei „grundsätzl­ich neu aufzustell­en“habe. Er empfinde es als „Verpflicht­ung, diesen Prozess für und mit den Mitglieder­n zusammen als Vorsitzend­er zu gestalten“, ergänzt Schulz. Unmittelba­r neben ihm steht Noch-Arbeitsmin­isterin Andrea Nahles und lächelt kurz. Sie könnte Thomas Oppermann im Amt des Fraktionsv­orsitzes beerben. Offiziell wird das womöglich an diesem Mittwoch verkündet. Dann will Schulz einen Vorschlag dazu machen. Einen geradezu befreit klingenden Beifall bekommt Schulz schließlic­h für seine Bemerkung: „Mit dem heutigen Abend endet zeitgleich unsere Zusammenar­beit mit der CDU/CSU“. Viele hoffen, dass sich ihre Partei in der Opposition endlich erneuern kann.

Ein Berliner Genosse, der anfangs ein kleines Schild hochhielt („Nie wieder mit Mutti“) sieht es mit Galgenhumo­r: „Wir verlieren seit ewigen Zeiten, aber niemand erklärt es so schön wie Martin.“

„Mit dem heutigen Abend endet die Zusammenar­beit mit der CDU/CSU.“Martin Schulz SPD-Spitzenkan­didat

„Ohne Klimaschut­z werde ich keinen Koalitions­vertrag unterschre­iben“Cem Özdemir Grünen-Spitzenkan­didat

„Wir werden der soziale Opposition­sführer bleiben.“Sahra Wagenknech­t Linken-Spitzenkan­didatin

„Unsere Demokratie steht vor der größten Reifeprüfu­ng seit der Wiedervere­inigung.“Heiko Maas Saarländis­cher SPD-Chef

„Wir sind kein gerupftes Hühnchen, über das sich die anderen hermachen können.“Reinhard Bütikofer Ex-Parteichef der Grünen

„Das Wahlergebn­is ist Ausdruck einer Rechtsvers­chiebung in Deutschlan­d.“Katja Kipping Linken-Chefin

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FOTO: KUMM/DPA Er wollte Angela Merkel ablösen, aber er scheiterte: SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz spricht nach der historisch verlorenen Wahl von einem „bitteren Tag“für seine Partei.

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