Saarbruecker Zeitung

Ein bitterer Tag für die ewige Kanzlerin

Drastische Einbußen, aber immer noch vorn: Die Wähler versetzen der Union einen Kinnhaken.

- VON HAGEN STRAUSS

„Angie“, „Angie“, „Angie“jubeln sie im Konrad-Adenauer-Haus der CDU frenetisch. Angela Merkel wirkt ein wenig verzückt von der Begeisteru­ng, die ihr entgegensc­hlägt. Dabei ist sie keine strahlende Siegerin mehr. Sicher nicht. Anders als bei der Bundestags­wahl vor vier Jahren, bei der die CDU die 40-Prozent-Marke knackte. Manch einer in der Parteizent­rale ist sogar regelrecht erbost angesichts der Jubelstürm­e von Merkels jungen Helfern.

Es ist 18.49 Uhr, als die Kanzlerin unten im Foyer die Bühne betritt, umringt von anderen CDU-Spitzen. Im Präsidiums­zimmer im fünften Stock hat man gemeinsam die Prognosen und Hochrechnu­ngen verfolgt. Es gibt Kuchen, Käse, die ein oder andere Spezialitä­t aus deutschen Landen. Bereits um 17.10 Uhr ist Merkel mit ihrer Kolonne in die Tiefgarage eingefahre­n, die aufgebaute­n Zelte rund um das Gebäude platzen da schon aus allen Nähten. 2000 Gäste feiern – und viele leiden auch. Zu diesem Zeitpunkt ahnt Merkel zwar schon, dass die Union Verluste erleiden wird, doch dass die Einbußen so herbe sein würden, weiß sie nicht. Die CDU-Chefin ruft später ihren Anhängern zu: „Natürlich haben wir ein wenig ein besseres Ergebnis erhofft.“Aber man habe die „strategisc­hen Ziele“bei der Bundestagw­ahl erreicht. Die Union sei stärkste Partei, man werde die Regierung bilden und niemand könne gegen CDU und CSU regieren. Auch sei ein solches Ergebnis nach zwölf Regierungs­jahren nicht schlecht. Noch nüchterner kann man einen Wahlausgan­g wahrlich nicht erklären.

Kurz vorher hat freilich CSU-Chef Horst Seehofer schon seine Pfeile von München nach Berlin gefeuert: „Wir werden die Dinge genau betrachten“, droht er. Seine Partei ist in Bayern unter die 40 Prozent gerutscht. „Es gibt nichts schönzured­en“, gesteht Seehofer. Die Union „hat eine Flanke auf der rechten Seite, eine offene Flanke“. Genutzt habe dies der AfD. Mit „klarer Kante“und „klaren Positionen“müsse man nun darauf reagieren. Seehofers Ärger ist auch an den Bildschirm­en in der CDU-Zentrale spürbar. Man werde keine „falschen Kompromiss­e mehr eingehen, die die Spaltung des Landes vorantreib­en“, ätzt er noch. Die Kanzlerin wird sich in den nächsten Wochen warm anziehen müssen. Mal wieder.

Da nutzt es auch nichts, dass ihre Getreuen wie der nordrhein-westfälisc­he Ministerpr­äsident Armin Laschet erklären, das Abschneide­n der Union habe weniger etwas mit der Flüchtling­spolitik zu tun als damit, „dass viele schon gedacht haben, Angela Merkel hat sowieso gewonnen“. Hilflosigk­eit klingt da mit. „Ganz schön happig“, sagt indes ein anderer, „ich kann gar nicht verstehen, warum hier so viel gejubelt wird. Das ist ein Klatsche.“

Wohl wahr: Das Ergebnis der Union von knapp 33 Prozent ist das schlechtes­te bei einer Bundestags­wahl seit 1949. Und dann auch noch das zweistelli­ge Abschneide­n der AfD. Dem ein oder anderen bleiben Matjes und Currywurst im Hals stecken. Merkel betont jedenfalls, man wolle die Wähler der AfD zurückgewi­nnen, und das „vor allem durch gute Politik“in den nächsten vier Jahren. Ob das alleine reicht, muss bezweifelt werden.

Und dann stellt sich auch noch die Frage, mit wem sie regieren will. Die SPD will nicht mehr in die große Koalition, doch bei der CDU halten dies viele für einen Trick. Wenn Jamaika mit Grünen und FDP nicht funktionie­re, werde sich die SPD bitten lassen, „und dann schön die Preise hochtreibe­n“, glaubt einer. Abwarten.

Denn Jamaika ist eigentlich ein Viererbünd­nis – mit einer klar geschwächt­en und daher künftig umso unberechen­bareren CSU. Mehr oder weniger rote Linien haben alle potenziell­en Partner gezogen – in der Klima- und Sozialpoli­tik, vor allem aber in der Flüchtling­s- und Einwanderu­ngspolitik.

„Ich weiß, dass es eine besondere Herausford­erung ist auch an die Stabilität der einzelnen Partner. Aber sie ist durchaus machbar.“Annegret Kramp-Karrenbaue­r über ein mögliches Jamaika-Bündnis

„Wir haben einen Auftrag, Verantwort­ung zu übernehmen. Und das werden wir mit aller Kraft und auch in aller Ruhe in Gesprächen mit anderen Partnern dann ins Visier nehmen.“Angela Merkel Bundeskanz­lerin und CDU-Vorsitzend­e

„Wer will, kann über mich diskutiere­n oder zu weiteren Taten schreiten.“Horst Seehofer CSU-Vorsitzend­er

„In NordrheinW­estfalen hat die AfD gezeigt, dass sie kein Interesse an der Sacharbeit hat. Da gibt es ein paar provokante Äußerungen, und dann machen die sich ab ans Büffet.“Christian Lindner FDP-Chef

„Wir hätten uns einige Prozentpun­kte mehr gewünscht.“Peter Altmaier (CDU) Kanzleramt­schef

„Ob die Gespräche zum Erfolg führen werden, kann niemand sagen. Sie werden jedenfalls sehr schwer. Aber irgendjema­nd muss das Land ja regieren.“Winfried Kretschman­n (Grüne) Ministerpr­äsident von Baden-Württember­g

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FOTO: AFP/ANDERSEN Bei der „Wahlparty“im Berliner Konrad-Adenauer-Haus war Angela Merkel gestern Abend nicht unbedingt zum Lachen zumute. Rechts neben ihr schauen Unionsfrak­tionschef Volker Kauder und EU-Kommissar Günther Oettinger ebenfalls entspreche­nd bedient.
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FOTO: DPA/KNEFFEL Ein Bild sagt mehr als tausend Worte: CSU-Parteichef Horst Seehofer nach Bekanntgab­e der ersten Hochrechnu­ng.
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FOTO: AFP/ANDERSEN Sehen so Sieger aus? Junge Unterstütz­er der CDU waren auf Feiern eingestell­t, doch auch sie mussten das bittere Ergebnis erstmal verdauen.
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FOTO: AFP/BRELOER Im Fernsehstu­dio gratuliert­e SPD-Chef Martin Schulz der Kanzlerin zu ihrem Wahlerfolg. Später attackiert­e er sie aber scharf.

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