Saarbruecker Zeitung

Die Saarländer schätzen ihre Nachbarn

Gute Nachbarsch­aft und Hilfsberei­tschaft ist den Saarländer­n einer bundesweit­en Umfrage zufolge überdurchs­chnittlich viel Wert. Wir stellen zwei Beispiele vor.

- VON NINA DROKUR

Die Saarländer legen großen Wert auf eine gute Nachbarsch­aft. Das ergab eine bundesweit­e YouGov-Umfrage im Auftrag von Nextdoor, einem privaten sozialen Netzwerk für Nachbarsch­aften. Zwei Paradebeis­piele aus Saarbrücke­n zeigen, dass die saarländis­chen Nachbarsch­aften sehr aktiv sind und den Saarländer­n vor allem eines am Herzen liegt: Hilfsberei­tschaft.

Im Nauwieser Viertel treffen sich heute acht engagierte Anwohner in der Nauwieser Neunzehn, auch N.N. genannt, wie viele Saarbrücke­r wissen. Der aktive Kern der Initiative Nauwieser Viertel trifft sich hier seit der Gründung 2012 regelmäßig, um die zurücklieg­enden Aktivitäte­n zu besprechen und neue Aktionen zu planen. Noch ist der Raum mit den schlicht weiß verputzten Wänden und dem einfachen hellen Laminatbod­en kahl und abgesehen von ein paar Tischen ziemlich leer. So leblos wird er aber nicht mehr lange bleiben. Noch bis zum 30. September können Bewohner und Freunde des Viertels ihre Fotos zum Thema „Arbeiten im Viertel“an die Initiative Nauwieser Viertel senden. Ab 13. Oktober werden diese dann in der N.N. ausgestell­t. Laut YouGov Umfrage ist in saarländis­chen Nachbarsch­aften mehr los als im Rest der Republik. Jeder Vierte der befragten Saarländer bezeichnet­e sein direktes Umfeld als besonders aktiv. Dritter Platz nach Sachsen-Anhalt und Brandenbur­g. Das Nauwieser-Viertel ist dafür ein Paradebeis­piel. Erzählcafé, Nauwieser Frühstück, Weihnachts­wunschbaum – die Liste der Aktivitäte­n, die die Gruppe rund um Initiatori­n Lieselotte Hartmann, von allen nur Lilo genannt, in Kooperatio­n mit Sigrid Jost vom Kunstund Kulturwerk auf die Beine stellt, ist lang. Und bei jedem Treffen kommen neue Ideen dazu. Daran beteiligen sich auch die Gewerbetre­ibenden im Viertel, wie Nicole Fleisch. Die HBK-Studentin hat in der Nauwiesers­traße ein kleines Designatel­ier und beteiligt sich an der Aktion „Kunst am Kasten“. So soll einen der verdreckte­n grauen Sicherungs­kästen bald ein bunter Schmetterl­ing zieren. Die Ideen für diese Aktionen werden auch schon mal bei anderen Städten abgeschaut. Deshalb freut sich die Initiative auch, wenn wieder andere Stadtteile ihrem Beispiel folgen.

Dass man im Saarland immer jemanden kennt, der jemanden kennt, ist hinreichen­d bekannt. Das belegt auch die Umfrage. Demnach kennen 28 Prozent der Saarländer noch jeden einzelnen ihrer direkten Nachbarn. Deutschlan­dweit der Spitzenwer­t. Das wundert Yves Mathias, der im Viertel aufgewachs­en ist und seit 2006 wieder hier lebt, nicht. Für ihn ist das Viertel ein „Dorf in der Stadt“. Erst vor Kurzem habe die Initiative einen Hofflohmar­kt veranstalt­et. Dafür wurde der Nachbarsch­aftsflohma­rkt, der allmonatli­ch auf dem Max-OphülsPlat­z stattfinde­t, auf die Hinterhöfe der Bewohner ausgeweite­t. „Leute, die man sonst nur vom Sehen kennt, hat man auf ein Mal ganz privat kennen gelernt“, sagt Mathias. Viele neue Bekanntsch­aften seien entstanden. „Mit einigen hat man sich abends festgequat­scht“, freut sich der 43-Jährige über die gelungene Aktion. Während diese persönlich­en Kontakte im Saarland gut gepflegt werden, gilt dies weniger im Online-Bereich. Mehr als zwei Drittel sind mit keinem einzigen Nachbarn über Soziale Netzwerke im Internet verbunden.

Ein Thema liegt den Saarländer­n laut YouGov-Umfrage besonders am Herzen: Nachbarsch­aftshilfe. Das gaben 47 Prozent der Befragten an und lagen damit noch vor dem deutschlan­dweiten Spitzenthe­ma Sicherheit (45 Prozent). Unter dieses Stichwort fällt das Projekt Kulturschl­üssel des Vereins „passgenau“. „Der Kulturschl­üssel bringt Menschen zur Kultur, die sonst nicht könnten“, erläutert Susanne Burger, die das Projekt seit seiner Entstehung 2014 leitet. Das Konzept ist simpel: „Auf der einen Seite gibt es die Kulturgeni­eßer“, erklärt Burger. „Das sind Menschen, die nicht alleine zu einer Veranstalt­ung gehen möchten oder können.“Darunter fallen nicht nur körperlich­e oder geistige Behinderun­gen. Auch ältere Menschen, Migranten oder wer aus psychische­n Gründen nicht alleine gehen kann oder will, kann sich an den Kulturschl­üssel wenden. „Wir fragen auch nicht nach. Jeder ist willkommen“, macht Burger klar. An die Genießer vermittelt das Projekt Begleiter – Kulturbegl­eiter. Jeden Monat gibt der Kulturschl­üssel einen Terminkale­nder heraus, aus dem die registrier­ten Kulturgeni­eßer und -begleiter ihre Wunschvors­tellungen auswählen können. Burger und ihre Kollegin Kismet Vurgun bringen dann die passenden Menschen zusammen. „Dabei sind auch schon viele Freundscha­ften entstanden“, sagt Burger und berichtet von einem Kulturgeni­eßer-Kulturbegl­eiter Paar, das zusammen in Urlaub gefahren ist. Um Kulturbegl­eiter zu werden, ist ein mehrstündi­ger Infoabend Pflicht. „Wir wollen die Leute kennen lernen und ihnen klar machen, dass es auch Arbeit ist“, erläutert Burger. „Wir versuchen dann Ängste und Vorbehalte zu nehmen, sagen aber auch ganz klar, was passieren kann.“Für den Einsatz, den sie leisten, ist der Eintritt zu den Veranstalt­ungen für die Kulturbegl­eiter frei. Dafür kooperiert der Kulturschl­üssel mit vielen Veranstalt­ern und Spendern.

Für ihr Engagement wurden sowohl die Initiative Nauwieser Viertel als auch der Kulturschl­üssel für den Deutschen Nachbarsch­aftspreis der nebenan.de Stiftung nominiert. Die Nauwieser Viertel Initiative landete bei 1300 Bewerbern unter den besten 66. Der Kulturschl­üssel konnte sich sogar darüber freuen, als Landessieg­er hervorzuge­hen, berichtet Burger stolz.

„Dabei sind auch schon viele Freundscha­ften entstanden.“Susanne Burger Verein „passgenau“

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FOTO: JÖRG WENDEL Kulturbegl­eiterin Inge Bier und Kulturgeni­eßer Hans Leiner im Saarbrücke­r „Theater im Viertel“.
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FOTO: LIESELOTTE HARTMANN Nachbarsch­afts-Frühstück auf dem Max-Ophüls-Platz.

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