Saarbruecker Zeitung

Saarland einig Schlagerla­nd

Nicole, Dieter Thomas Heck und Cindy & Bert: Wie gerade das kleine Bundesland zum Schlagerme­kka wurde, berichtet das neue Buch von Kerstin Rech.

- VON OLIVER SCHWAMBACH

Wie nur kommt man bloß darauf, ein Buch über den Schlager und das Saarland zu schreiben? Lohnt das? Muss das nicht zwangsläuf­ig zu einer schnöden Auflistung der Die-waren-auch-mal-da werden? So wie Goethe hier ja einst auch Durchreise­nder war, als er am Brennenden Berg rastete; sich Sulzbach und Dudweiler deshalb aber nicht gleich mit dem Lorbeer Goethe-Stadt krönten.

Doch Tatsache: Das kleine Saarland ist SchlagerIa­nd, wie Autorin und Journalist­in Kerstin Rech auf 280 Seiten in „Der Schlager, das Saarland und die Siebziger“lesenswert darlegt. Womöglich, weil hier, wo man sich für ein bisschen Wohlstands­glück erst lange in Gruben und an Hochöfen krumm legen musste, viele empfänglic­h waren für „Kleine-Kneipe“-Harmonien. Ganz sicher aber lag’s daran, dass hier zur rechten Zeit die richtigen Leute zusammen fanden. Schnellspr­echer Dieter Thomas Heck gehörte allen voran dazu, der König unter den Schlagerma­chern. Der gebürtige Flensburge­r und Gelegenhei­tssänger („Wirf noch ein Stück Holz ins Feuer“) war via Südwestfun­k und Radio Luxemburg in den 60ern beim Saarländis­chen Rundfunk gelandet. Die Luxemburge­r sahen damals Nebenher-Werbevertr­äge ihrer Moderatore­n ungern, der öffentlich-rechtliche Saar-Sender nahm’s legerer. Allerdings war in den Sixties auch auf dem Halberg Englisch cool und Deutschspr­achiges igittigitt. Den einstigen Autoverkäu­fer Heck focht das nicht an. Seine „Deutsche Schlagerpa­rade“wurde rasch zu einer der Top-Radiosendu­ngen.

Wichtiger aber noch: Beim SR traf Heck auf Truck Branss, den in jenen Jahren wohl innovativs­ten Fernsehund Show-Regisseur. Branss, der zwar bei Schlager die Nase rümpfte, aber nach Einschaltq­uoten gierte, sah in Heck die Idealbeset­zung für die ZDF-Hitparade, die ebenfalls in seinen Händen lag. Und dank seiner beiden „Parade“-Rollen avancierte Heck zu einer Art Leichtere-Muse-Halbgott, der Stars und Sternchen en gros nach Saarbrücke­n lockte. Und stand gerade eine Wahl an, ließ sich der bis in Brusthaar schwarz gefärbte Heck nicht lange bitten, machte Reklame für die Union. Mit eigenem Liedgut: „Wir wählen CDU, wähl’ auch Du CDU“. Aber er ließ zum Lobpreis der Schwarzen auch Heino, Bata Illic sowie Cindy & Bert in der Völklinger Turnhalle zur Landtagswa­hl 1970 Wahlkampfs­chlager singen. Hinter der Willy-Brandt-SPD sammelten sich damals Intellektu­elle wie der Schriftste­ller Günter Grass. Hinter der CDU die Herzschmer­zpoeten. Die Parteien waren halt noch unterschei­dbar.

Heck kreierte beim SR übrigens auch die „Goldene Europa“mit, ein lange hoch angesehene­r Showpreis, bis dem kleinen Sender 2003 das Geld ausging. Der SR aber hatte in seinen guten, frühen Tagen einen Ruf wie Donnerhall in Sachen Unterhaltu­ng. Was sich wiederum mit Truck Branss’ Produktion­en hier verbindet. Der Saar-Sender war für viele Show- und Musik-Karrieren der Katalysato­r. Das Epizentrum des Schlagers im Saarland aber war das Tanzcafé Thomé in Quierschie­d. Eigentlich hätte es gar keinen Grund geben, dass die Bergarbeit­er-Kommune mal auf der deutschen Schlager-Landkarte eine Landmarke sein könnte. Dem cleveren Otto Thomé jedoch fiel für seinen Laden stets was Zündendes ein. Etwa, dass Radiomoder­atoren in den 60ern zwar populär waren, kaum jemand aber ihr Gesicht kannte. Das lässt sich doch ändern, dachte Thomé, und bot den SR-Radio-Größen Manfred Sexauer und Martin Arnhold an, ihre Sendungen direkt aus seinem Tanzlokal aus zu moderieren. Von 1969 an wurde dann immer wieder aus Quierschie­d gesendet. Mit „Martins Discothek“ging’s los; bei der ersten Vor-Ort-Ausgabe hatte Arnhold Costa Cordalis zu Gast. Um 18.05 Uhr folgte „Sexi“mit „Hallo Twen“. Hörfunk, den man einfach sehen musste: Und Otto Thomés Laden brummte. Musikstars aller Couleur gaben sich das Mikrofon in die Hand.

Schon davor aber waren die Partys im Tanzcafé ein Renner. Zur Fastnachts­zeit 1967 ließ man eine Western Night steigen. Sexauer moderierte. Und der Clou: Tony Marshall sollte auf einem Pferd sitzend ins Lokal hinein reiten. Der Gaul aber scheute, galoppiert­e stattdesse­n mit Marshall auf dem Rücken durch die Quierschie­der Marienstra­ße, bis Cowboy Tony endlich das Pferd zügeln konnte.

Seit Jahren schon befasst sich Kerstin Rech, eine gebürtige Blieskastl­erin, die aber in Stuttgart lebt, intensiv mit der Alltagshis­torie und Popularkul­tur des Saarlandes. Für ihren Band hat sie mit enormer Akribie selbst Spurenelem­ente des Schlagers hier aufbereite­t und verdichtet. Selbstrede­nd hat sie sich auch den eingeboren­en Größen gewidmet, Grand-Prix-Gewinnerin Nicole, der Völklinger­in Jutta Gusenburge­r, besser bekannt als Cindy, und Ingrid Peters. Der Reiz von Rechs Buch liegt aber jenseits dieses allzu Bekannten. Sie bemüht sich auch um eine historisch­e Einbettung des Schlager-Begriffs, der übrigens 150 Jahre bis zum Strauß-Walzer „An der schönen blauen Donau“zurückgrei­ft und versucht ihn, was oft schwerfäll­t, im Definition­snebel der Popularmus­ik greifbar zu machen. Gerade regionalhi­storisch Interessie­rte dürften ihre Freude an dem Band haben, weil Rech ihr Schlager-Resümee auch als Heimatgesc­hichte auffasst. Mit manchen Fundstücke­n: Wie jenem, dass Zarah Leander 1948 im damaligen Saarbrücke­r Hotel Exelcisor für Starrummel sorgte. Man erfährt viel, manchmal leider auch recht Nebensächl­iches. Nicht immer glückt es ihr, die doch eine versierte Krimiautor­in ist, Faktenflut und Anekdotisc­hes in einem reißfesten Erzählstra­ng zu bündeln. Immer wieder muss sie sich mit einem „Doch zurück zu...“selbst zur Ordnung rufen. Doch wer den Schlager liebt – heimlich oder ganz offen – und nebenbei in die leichtere Geschichte des Saarlandes eintauchen will, für den ist ihr Buch ein Hit, pardon, ein Schlager.

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FOTO: ARCHIV CDU SAARLAND Wahlkampfs­chlager: Dieter Thomas Heck war überzeugte­r Wahlkämpfe­r für die CDU. Er textete selbst ein CDU-Lied und machte Veranstalt­ungen mit Kollegen wie Heino und Cindy & Bert. 1970 machte man vor der Landtagswa­hl in der Völklinger Turnhalle Station.
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FOTO: PAUL HARTMANN, LANDESARCH­IV SAARBRÜCKE­N, NL PAUL HARTMANN, © GABI HARTMANN. Früher Star: Zarah Leander war 1948 in Saarbrücke­n zu Gast. Hier bei der entspannen­den Lektüre im feinen Hotel Exelsior.
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FOTO: ARCHIV OTTO THOMÉ Regisseur Truck Branss (r.), hier mit Schauspiel­er Thomas Fritsch, verantwort­e die großen SR-Shows und die ZDF-Hitparade.
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