Saarbruecker Zeitung

Elsässer gehen auf die Barrikaden

100 Persönlich­keiten aus der Zivilgesel­lschaft wollen raus aus der Region Grand Est. Derweil trat deren Präsident Philippe Richert am Wochenende zurück.

- Produktion dieser Seite: Johannes Schleuning, Nora Ernst Dietmar Klosterman­n VON JÜRGEN LOREY UND HÉLÈNE MAILLASSON

STRASSBURG In der Grenzregio­n Grand Est rumort es: Der Präsident der Region, Philippe Richert, tritt zurück, während die Bewegung, die eine Abspaltung von Grand Est, wollen, an Fahrt gewinnt. Bis zuletzt hatten Richerts Kollegen aus anderen französisc­hen Regionen versucht, ihn umzustimme­n. Doch Richert blieb dabei. Er begründete diesen Schritt nach 35 Jahren im Politik-Betrieb damit, dass er seinem Nachfolger Zeit lassen wolle, sich bis zu den nächsten Regionalwa­hlen 2021 beweisen zu können. Einen namentlich­en Vorschlag machte er nicht. Bei den vergangene­n Wahlen war befürchtet worden, dass der rechtsextr­eme Kandidat Florian Philippot in Grand Est gewinnen könnte. In der Stichwahl hatte sich Richert dann durchgeset­zt.

Doch dieser offizielle Grund ist wahrschein­lich nicht der einzige, der Richert zum Rücktritt bewegt hat. Aus den eigenen elsässisch­en Reihen wächst seit Monaten der Druck, weil sich viele eine Abspaltung von Grand Est wünschen. Für sie gilt Richert, der anfangs die Fusion der Regionen bekämpft hatte, als Verräter, der sich im Endeffekt dem Willen aus Paris fügte. Manche Kritiker waren ihn auch persönlich scharf angegangen.

Derweil gewinnt die Abspaltung­s-Bewegung an Dynamik: Rund 100 Persönlich­keiten aus dem Elsass – Universitä­tsdozenten, Künstler, Firmenchef­s – haben vergangene Woche einen „Appell der Hundert für eine neue Region Elsass“unterschri­eben. Sie wollen die französisc­he Territoria­lreform von 2015 regelrecht „ausradiere­n“und wünschen, dass das Elsass eine verwaltung­smäßig unabhängig­e Region wird. Initiiert wurde der Appell von vier Vereinen: vom „Club Perspectiv­es Alsacienne­s“, der „Initiative Citoyenne Alsacienne“, dem Verein „Kultur und Zweisprach­igkeit im Elsass und Departemen­t Moselle“und „Elsass Region Europas“. Zu den Unterzeich­nenden gehören unter anderem der Präsident des elsässisch­en Unternehme­rverbandes Medef, Fußballtra­iner Arsène Wenger und der Straßburge­r evangelisc­he Dekan Philippe Gunther.

Mit diesem Protest gegen die Großregion Grand Est wollen sie erreichen, dass das Elsass wieder eine einheitlic­he Region wird. Dies sei unter anderem nötig, um der Zugehörigk­eit zum Oberrhein und seiner europäisch­en Dimension gerecht zu werden. Die Unterzeich­nenden fordern die elsässisch­en Politiker und Abgeordnet­en auf, sich für die Neugründun­g der Region Elsass zu engagieren. Die Vertreter der vier Vereine weisen darauf hin, dass laut einer Umfrage des französisc­hen Meinungsfo­rschungsin­stitutes CSA vom April 84 Prozent der rund 1,9 Millionen Elsässer sich für einen Austritt des Elsass aus der Region Grand Est ausspreche­n. Die Abschaffun­g der Region Elsass Anfang 2016 sei „ohne jegliche Auswirkung­sstudie und unter Missachtun­g der Demokratie“durchgefüh­rt worden, betonten die Vereinsver­treter bei der Vorstellun­g des Appells.

Die neue Region Elsass solle die Kompetenze­n der Departemen­träte des Ober- und Unterelsas­s und des Regionalra­tes erhalten sowie einige Kompetenze­n des französisc­hen Staates, etwa im Bereich Bildung, Kultur und grenzübers­chreitende Zusammenar­beit. Man könne so im Elsass eine Art „Versuchsla­bor“schaffen, sagte der Präsident von „Kultur und Zweisprach­igkeit im Elsass und Departemen­t Moselle, Jean-Marie Woehrling. Bei den Unterzeich­nenden handele es sich um „offene und europäisch­e Leute aus der Zivilgesel­lschaft“, die „von den elsässisch­en Politikern fordern, für das Elsass zu handeln“, betonte Jacques Schleef vom „Club Perspectiv­es Alsacienne­s“, der den „Appell der Hundert“Präsident Emmanuel Macron übergeben will.

Der Appell wurde kurz vor einem Pariser Treffen der 15 elsässisch­en Abgeordnet­en in der Nationalve­rsammlung am 3. Oktober veröffentl­icht, bei dem die Politiker über die institutio­nelle Zukunft des Elsass, vor allem über eine mögliche Fusion der beiden elsässisch­en Departemen­ts, beraten wollen. An dem Treffen nehmen auch die Präsidente­n der beiden elsässisch­en Departemen­tversammlu­ngen, Frédéric Bierry (Unterelsas­s) und Eric Straumann (Oberelsass) teil. Beide haben sich ebenso wie der Ex-Präsident der Region Grand Est, Philippe Richert, für eine Fusion der zwei Departemen­ts ausgesproc­hen.

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FOTO: AFP/SOUVANT Philippe Richert hat das Amt des Präsidente­n der Region Grand Est niedergele­gt.

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