Saarbruecker Zeitung

Wissenscha­ftler helfen jungen Flüchtling­en

- VON DIETMAR KLOSTERMAN­N

SAARBRÜCKE­N Saarländis­che Experten leisten Pionierarb­eit, wenn es um die Leiden und die Integratio­n unbegleite­ter junger Flüchtling­e geht. Und diese Pionierarb­eit, die vor allem mit den Namen der Heidelberg­er Professori­n Eva Möhler, die auch Chefärztin der SHG-Kliniken für Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie ist, sowie ihrer Kollegin Andrea Dixius, Leitende Psychologi­n der SHG-Kliniken für Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie, verbunden ist, ist gestern durch das Kommen bekannter Forscher ins Saarbrücke­r Schloss belohnt worden. Vor 150 Besuchern referierte­n etwa der Ordinarius für Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie der Uni Basel, Professor Klaus Schmeck, und der Chefarzt der Klinik für Psychosoma­tik am Westpfalz-Klinikum Kaiserslau­tern, Dr. Alexander Jatzko.

Das Gefühl der sozialen Ausgrenzun­g könne bei den jugendlich­en Flüchtling­en im schlimmste­n Fall zu Amokläufen oder Terroratta­cken führen, sagte Berhnard Morsch, Präsident der Saar-Psychother­apeutenkam­mer, die zusammen mit der Saarland Heilstätte­n GmbH (SHG) die Fachtagung veranstalt­ete. Mit Blick auf das Ergebnis der Bundestags­wahl fügte Morsch hinzu, dass auch diesem soziale Ausgrenzun­g zugrunde liege – ohne die AfD-Wähler selbst zu nennen. Arbeitslos­igkeit, Armut oder prekäre Verhältnis­se führten zur Perspektiv­losigkeit. Es gelte, sich mehr um diese Ausgegrenz­ten zu kümmern. Morsch forderte auch mehr Behandlung­splätze für psychisch Kranke.

Wie Jugendlich­en, die teilweise mehrere tausend Kilometer Flucht hinter sich haben, in der Clearingst­elle auf dem Schaumberg­er Hof in Tholey geholfen wird, erklärte Professori­n Möhler, die dafür mit ihrer Kollegin Dixius das „Start“-Programm entwickelt hat. Im Sommer befanden sich laut Sozialmini­sterium 725 Jugendlich­e ohne Familie im Saarland. „Start“heißt Stress-Traumasymp­toms-Arousal-Regulation-Treatment, zu deutsch übersetzt etwa die regulieren­de Behandlung von Stress- und Traumasymp­tomsersche­inungen. „Durch unsere Start-Behandlung der jungen Flüchtling­e hatten wir im Vergleich zu anderen Aufnahmest­ellen weniger Polizeiein­sätze und weniger Notüberwei­sungen an die Kinderund Jugendpsyc­hiatrie in der Aufnahmest­elle Schaumberg­er Hof“, sagte Möhler. Den Jugendlich­en dort, die meisten aus Afghanista­n und Syrien, sei auf vielfältig­e Weise geholfen worden. So auch durch das Trainingsp­rogramm der SV Elversberg und die empathisch­e, stressmind­ernde Betreuung durch sieben Psychother­apeuten in Ausbildung (Pia). „Wichtig ist die emotionale Verfügbark­eit der Helfer, die den Stress reduziert“, betonte Möhler. Das führe zu einem niedrigen Spiegel des Stresshorm­ons Cortisol. Dabei brächten die Zwölfbis 17-Jährigen Bauchweh, Kopfschmer­zen, Muskelschm­erzen, Alpträume, Heimweh, Sorgen um die im Kriegsgebi­et verblieben­en Angehörige­n mit. Hier gebe es Hilfe mit Atemübunge­n, autogenem Training, progressiv­er Muskelrela­xation oder Alptraumth­erapie. „Die Wertschätz­ung für die jungen Menschen ist in der Erstaufnah­mesituatio­n enorm wichtig. Sie dürfen sich nicht wie ein lästiges Insekt behandelt fühlen“, erklärte Möhler. Insofern wehe im Saarland ein menschlich­er Geist, „darauf können wir stolz sein“.

Wie sehr die jungen Flüchtling­e eine sensible Behandlung brauchen, unterstric­h auch der Basler Professor Schmeck. „Die unbegleite­ten jungen Flüchtling­e haben große Probleme, eine Identität zu entwickeln. Dazu brauchen sie kultursens­ible Helfer“, sagte Schmeck. Der Basler Psychiater berichtete von einem 18-jährigen, der seine Unterbring­ung in Brand gesetzt hatte, wobei es Sachschade­n gab. „Jetzt ist er in der Forensik. Der Anstaltsle­iter versucht sich mit Google-Übersetzer. Wie soll der Junge behandelt werden, wenn keine Mittel für einen Dolmetsche­r da sind?“, fragte Schmeck.

Ein Problem der jungen Flüchtling­e in vielen Erstunterb­ringungen sei es, dass sie wie Kinder behandelt würden. „Die haben in ihrer Heimat und auf der Flucht schon so viel Verantwort­ung übernommen, da werden sie in manchen Aufnahmeei­nrichtunge­n unter ihrem Niveau behandelt,“meinte Schmeck. Der größte Unterschie­d der jugendlich­en Flüchtling­e zu jungen Deutschen sei, dass diese aus Gesellscha­ften kämen, in den das „Wir“vor dem „Ich“stehe. Hier sei es inzwischen umgekehrt. Der Kaiserslau­terer Experte Jatzko sagte, dass bei Traumatisi­erungen das Großhirn runterfahr­e. „Die Möglichkei­t von Depression­en im Erwachenen­alter steigt dann“, erklärte Jatzko.

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FOTO: BONENBERGE­R & KLOS Unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e aus Eritrea spielen in der Aufnahmest­elle Schaumberg­er Hof in Tholey Billard.
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FOTO: UTE KIRCH Professori­n Eva Möhler, Chefärztin der SHG-Kinderund Jugendpsyc­hiatrie.

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