Faszinosum an Fäden und Stäben
Puppenspiele sind faszinierend. Die Zuschauer ahnen unbewusst, dass auch sie an Fäden hängen, an Stäben gehen — und hilflos sind, falls das Schicksal, der große Puppenspieler, sie niederreißen will.
In die Gesichter muss man ihnen schauen, der alten Dame, Martin Luther, dem Teufel und dem Tod. Man muss dem Geheimnis ihrer bizarren Schönheit nachspüren, ihre charakteristischen Augen, Münder und Nasen bewundern. Sehen, wie sie urplötzlich zum Leben erwachen, mit einem Fadenzug, einer Fingerbewegung, einem Ruck am Stab.
Waren Sie schon einmal im Puppentheater? Dort hopst nicht bloß der Kasper, die böse Hexe und das prinzessliche Fräulein Unschuld über die Bretter, da wird durchaus was für Große geboten. Eins steht fest, beim Puppenspiel geht es um Alles und Nichts, Sein oder Nichtsein, um Liebe und Lust, um Schuld, Sühne, Gewalt, Versuchung und Tod.
Die großen Dramen der Weltliteratur sind hier zu Hause, „Schuld & Sühne“ist auch Motto des Kleinen Theaters im Saarbrücker Rathaus im Jahr des Reformationsjubiläums. Weshalb natürlich Luther einen Auftritt haben wird, ebenso wie Goethes Faust, Dürrenmatts korrupte Kleinstädter oder die fatalen Liebenden Tristan und Isolde.
Figurentheater ist große Kunst, Spielstättenleiter Thomas Altpeter betont das gerne. Und es stimmt. Wer den Variantenreichtum künstlerischer Ausdrucksformen einmal genossen hat, die prägnanten Puppen einmal bestaunt hat, verfällt diesem Genre schnell. Was überhaupt ist das Berückende an Puppen? Ist es die Tatsache, dass sie wie unser Ebenbild scheinen, obwohl eine Puppe ja alles sein kann, ein Strumpf mit Knopfaugen, ein Schwamm mit Knet-Armen oder eine filigrane Marionette? Oder ist es das Bleibende, Unsterbliche, das ihnen eigen ist, dass sie ewiger wirken lässt, als wir es sind. Gleichzeitig sind sie tot und lebendig, wechseln von einem Zustand zum anderen. Sie tun es ja nicht selbst, funktioniert aber unsere Imagination gut, vergessen wir diese Nebensächlichkeit.
Womöglich besteht der Grund auch darin, dass sie Geschichten erzählen, uns spielerisch an unbekannte Orte bringen. Oder an bekannte, die wir längst vergessen hatten, die jedoch ein Teil von uns sind. So dürfen wir etwas wieder oder neu finden. Und uns erfinden, als Liebende oder Leidende, als Schurken, Harlekine, Frevler und Engel, als Helden, die ihr Schicksal erjagen wollen, im zauberischen Lichte des Puppenspiels. www.kleines-theater-rathaus.de