Saarbruecker Zeitung

In Brüssel denkt keiner an Ausgrenzun­g Wiens

Den Wahlsieg von Sebastian Kurz sehen viele in der EU kritisch. Doch eine Rechts-Regierung in Österreich weckt weniger Sorgen als die starke AfD in Deutschlan­d.

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Brüssel/Wien. Am Tag nach der Wahl in Österreich blieb das offizielle Brüssel erstaunlic­h wortkarg. Vor allem Kommission­schef Jean-Claude Juncker mahnte den designiert­en neuen österreich­ischen Bundeskanz­ler Sebastian Kurz in einem Glückwunsc­hschreiben: „Ich wünsche Ihnen viel Glück bei der Bildung einer proeuropäi­schen Regierung.“Schließlic­h übernehme Wien am 1. Januar 2018 für sechs Monate den halbjährli­ch wechselnde­n Vorsitz der Gemeinscha­ft.

Wer trotzdem nach Antworten auf die Frage sucht, ob die absehbare Inthronisi­erung des jungen Christdemo­kraten Sebastian Kurz als kommender Regierungs­chef eine gute oder schlechte Nachricht ist, bekommt von seinen Gesprächsp­artnern Erinnerung­en vorgehalte­n: die fast schon radikale Schließung der Balkan-Route für Flüchtling­e und die Zurückweis­ung von Flüchtling­en nach Griechenla­nd. Oder das Auffahren der Panzer am Brenner-Pass, um mit neuen Kontrollst­ationen eine eventuelle Migranten-Welle aus Italien zu stoppen. „Da baut sich eine stramm rechtslast­ige Koalition in Wien auf, die für die EU nichts Gutes verheißt“, sagt ein hochrangig­es Mitglied der EU-Kommission.

Aus den Reihen der österreich­ischen Diplomaten und Funktionär­e wurde dagegen gestern Entwarnung gegeben: Kurz gehöre mit seinen 31 Jahren einer Generation an, die Europa nur mit der EU kenne. Der designiert­e neue Herr im Kanzleramt wolle die Union zwar reformiere­n, aber nicht zurückbaue­n. Schnittmen­gen zu den Reformplän­en des französisc­hen Staatspräs­identen Emmanuel Macron werden betont, Gemeinsamk­eiten aber auch mit der deutschen Bundeskanz­lerin. Als er vor dem Urnengang in der Alpenrepub­lik gefragt wurde, ob er Angst vor Angela Merkel habe, antwortete Kurz: „Bis jetzt noch nicht.“Und

Jean-Claude Juncker weiter: „Mal schauen, was da auf mich zukommt.“Eine Wiederholu­ng der Ausgrenzun­g Österreich­s wie 1999, als die FPÖ damals noch unter Jörg Haider auf den Regierungs­bänken Platz nahm, gilt als undenkbar. Damals bestand die EU aus 14 Mitglieder­n. Heute sind es 28 und rechtnatio­nale Töne haben längst in der Union Einzug gehalten. Vor allem aus den Regierungs­hauptstädt­en Budapest, Warschau, Bratislava und Prag. Selbst Luxemburgs Außenminis­ter Jean Asselborn, der sonst keine Gelegenhei­t auslässt, Parolen von rechts entgegenzu­treten, meinte: „Die FPÖ war in diesem Wahlkampf so zahm wie noch nie. Ich hoffe, dass sich das auch auf die Regierungs­arbeit überträgt.“

Zumindest in der Flüchtling­sfrage rechnet Brüssel jedoch mit deutlich schärferen Tönen, über die die vier Visegrád-Staaten erfreut sein dürften. Kurz will nach dem Vorbild der Balkan-Route nun auch den Weg über das Mittelmeer schließen: Zuwanderer sollen auf hoher See abgefangen und zurückgesc­hickt oder auf Inseln interniert werden. Besonders hart trat der bisherige Außenminis­ter Kurz gegenüber der Türkei auf, als er sich unmissvers­tändlich für einen Abbruch der Beitrittsv­erhandlung­en aussprach. Beim Umbau der EU plädierte er bisher für eine spürbare Verschlank­ung. Die Gemeinscha­ft soll auf ihre Kernaufgab­en beschränkt werden, so dass mehr Spielraum für die einzelnen Länder entsteht. Zumindest in dieser Frage liegt der 31-Jährige ganz auf der Linie Berlins.

Die Unaufgereg­theit, mit der Brüssel auf das Ergebnis aus Wien reagiert, hat andere Gründe: Österreich steht mit dem Populismus nicht mehr alleine da: In den Niederland­en avancierte Geert Wilders im März dieses Jahres zur zweitstärk­sten Kraft. In Frankreich schaffte es die Front-National-Chefin Marine Le Pen sogar in die Stichwahl um das Präsidente­namt. Das starke Ergebnis der AfD in der Bundesrepu­blik hat Brüssel deutlich mehr aufgeregt.

„Ich wünsche Ihnen viel Glück bei der Bildung einer proeuropäi­schen

Regierung“

EU-Kommission­spräsident

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