Saarbruecker Zeitung

„Schlechter Scherz“: Katalonien spielt auf Zeit

Abspaltung oder nicht? Die spanische Zentralreg­ierung ist ganz und gar nicht zufrieden mit der wachsweich­en Antwort aus Barcelona.

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ad acta zu legen. Dann endet das zweite Ultimatum Rajoys. Aber die meisten Beobachter haben diese Hoffnung nun aufgegeben. Artikel 155 sei wohl nicht mehr zu verhindern, sagte Méndez. „Es gibt Grund zur Sorge, vor Spanien liegt ein fürchterli­cher Weg.“

Madrid lässt sich nicht in die Karten schauen, spricht bisher nebulös nur von „harten Maßnahmen“. Wie auch immer diese konkret aussehen werden – repressive Maßnahmen hätten in Katalonien vor dem Hintergrun­d des erstarkten Separatism­us wohl einen hohen Preis. Viele warnen vor einer Protestwel­le der Befürworte­r einer Unabhängig­keit. Auch im Madrider Regierungs­sitz Palacio de la Moncloa herrscht Sorge. Die Onlinezeit­ung „El Espanol“zitierte ein Regierungs­mitglied mit den Worten, das oft mit Dänemark verglichen­e Katalonien könne sich in „ein Venezuela“verwandeln. In dem tief gespaltene­n südamerika­nischen Land brechen immer wieder gewalttäti­ge Proteste aus.

Die Sorge vor einer Eskalation erklärt auch das vorsichtig­e Taktieren Rajoys und vor allem Puigdemont­s, dem nun viele vorwerfen, auf Zeit zu spielen. Beide Politiker gaben bisher zwar in keinem einzigen Punkt nach, scheuen sich aber auch vor resolutere­n Schritten nach vorne. Und sie äußern sich im Vergleich zu vielen anderen eher moderat. „Keiner der beiden will in den Augen der Welt als derjenige dastehen, der die Tür zum Dialog zugeknallt hat“, schrieb gestern die Zeitung „La Vanguardia“.

Rajoy wird von den liberalen Ciudadanos – die vierte Kraft im Madrider Parlament – schon seit Tagen bedrängt, Artikel 155 sofort und ohne Rücksicht auf Verluste zu aktivieren. Und Puigdemont scheut sich davor, den lauten Forderunge­n seiner linken Verbündete­n nachzugebe­n und die Unabhängig­keit klipp und klar auszurufen. Er ruft Madrid lieber immer wieder zum Dialog auf.

Unzufriede­nheit mit der Antwort Puigdemont­s wurde gestern nicht nur in der spanischen Hauptstadt und im Ausland laut, sondern auch bei den Verbündete­n des Regionalpr­äsidenten. Die Abgeordnet­e Mireia Boya von der kleinen linksalter­nativen Partei CUP, die Puigdemont­s Wahlbündni­s Junts pel Sí ( JxSí) unterstütz­t, sagte dem Sender Catalunya Ràdio, ihre Partei hätte den Antwortbri­ef an Rajoy ganz anders formuliert. Sie bestand darauf, die Unabhängig­keit sofort auszurufen. Dies sei die einzige Möglichkei­t, um die Zentralreg­ierung zum Dialog zu bewegen, sagte Boya. Dann könne man „immer und über alles verhandeln, sobald man uns als politische­s Subjekt anerkennt, sobald wir die Republik ausgerufen haben“. Noch weiter geht die CUP-Stadträtin in Barcelona, Maria Rovira: Sie dringt darauf, dass König Felipe VI. zur „persona non grata“, zur unerwünsch­ten Person, erklärt wird.

Rajoy und Puigdemont versuchen es allen oder zumindest vielen Recht zu machen. Spätestens am Donnerstag müssen sie aber Farbe bekennen. Regionale Neuwahlen wären ein Ausweg, bei dem beide Seiten einigermaß­en das Gesicht wahren könnten. Sie scheinen zum jetzigen Zeitpunkt aber eher unwahrsche­inlich, da Puigdemont zunächst nachgeben müsste. Nicht nur „La Vanguardia“ist pessimisti­sch: „Das Schlimmste kommt noch.“

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FOTO: BARRENA/AFP Regionalpr­äsident Carles Puigdemont sollte bis gestern eigentlich die Frage beantworte­n, ob er die Unabhängig­keit Katalonien­s erklärt hat. Doch das von Madrid geforderte klare Statement blieb aus.

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