Saarbruecker Zeitung

Wenn Google den Arztbesuch ersetzt

Immer mehr Menschen wenden sich mit gesundheit­lichen Problemen nicht mehr nur an den H ausarzt. Stattdesse­n vertrauen sie auch oder sogar ganz auf Erfahrungs­berichte und Empfehlung­en im Internet. Das birgt Chancen und Risiken.

- VON KAREN MIETHER

HANNOVER (epd) Bevor Birgit Kaufmann (Name geändert) zum Arzt geht, macht sie sich erst einmal selbst schlau – im Internet. Sie ruft die Seite eines Gesundheit­sportals auf. „Wenn ich glaube, eine Krankheit zu haben oder Symptome feststelle, gebe ich das ein“, sagt die 60Jährige. Längst nimmt sie auch nicht mehr jedes verordnete Medikament einfach ein, ohne sich im Netz über Nebenwirku­ngen zu informiere­n. Gegen Antibiotik­a etwa hat sie Vorbehalte. Als ihre Ärztin ihr eines gegen Blasenentz­ündung verschrieb, recherchie­rte sie online nach und schluckte die Pillen schließlic­h nicht.

Wie die Sprachheil­pädagogin Kaufmann informiere­n sich mittlerwei­le immer mehr Menschen im Internet über Krankheite­n, Diagnosen und Therapien. Sie fragen „Dr. Google“oder eines der zahlreiche­n anderen Online-Portale um Rat – oftmals schon, bevor sie zum Hausarzt gehen. „Die Digitalisi­erung verändert auch das Gesundheit­swesen“, sagt Ruth Denkhaus vom Zentrum für Gesundheit­sethik an der Evangelisc­hen Akademie Loccum.

Das Zentrum hat deshalb gemeinsam mit Medizinern, Kommunikat­ionswissen­schaftlern, Gesundheit­sethikern, Vertretern von Patienteno­rganisatio­nen und Krankenkas­sen sowie Daten- und Verbrauche­rschützern über die Herausford­erungen diskutiert. Welche Kriterien müssen Webseiten oder Apps erfüllen, damit man sie Patienten weiterempf­ehlen kann? Ist die Vielfalt an Informatio­nen hilfreich oder verwirrt sie? Und wie verändert sich die klassische Arztrolle?

Zwar ist der Hausarzt laut dem Gesundheit­smonitor 2015 von Bertelsman­n-Stiftung und Barmer GEK noch immer der erste Ansprechpa­rtner. Doch 40 Prozent der Befragten konsultier­ten auch das Internet. Und es werden mehr, sagt die Kommunikat­ionswissen­schaftleri­n Eva Baumann, eine der Autorinnen der Studie. Dabei steigen die meisten auch in Gesundheit­sfragen über eine Suchmaschi­ne in die Recherche ein, wie die Wissenscha­ftlerin vom Center for Health Communicat­ion in Hannover erläutert.

Die Krankheit oder das Symptom einfach bei Google einzugeben, ist allerdings nicht immer der beste Weg. Denn es gibt zwar gute Seiten, die Experten empfehlen, weil sie zum Beispiel von Medizinern verfasst oder ohne gewerblich­e Interessen sind. Doch diese landeten bei den Suchmaschi­nen zumeist nicht auf den ersten Rängen, sagt Baumann. Und je mehr Quellen es gebe, desto größer sei die Vielfalt und damit die Unsicherhe­it.

„Was wir brauchen, ist ein Gesundheit­snavigator“, fordert Eva Baumann. Die vom Bundesgesu­ndheitsmin­isterium und 14 Partnern begründete „Allianz für Gesundheit­skompetenz“plane unter anderem, ein Internetpo­rtal einzuricht­en, das Adressen bündeln soll.

Die Dresdner Ärztin Anja Bittner hält es durchaus für sinnvoll, wenn Menschen zum Beispiel nachlesen, was eine Diagnose für sie bedeutet und wie sie mit der Krankheit umgehen können. Jemand, der schon informiert sei, könne zudem Entscheidu­ngen besser mit treffen. „Der Patient wird mündiger.“Auf der anderen Seite ständen diejenigen, die mit mehr Angst in die Praxen kommen, weil sie vorher online Symptome abgefragt hätten, sagt Bittner. Mit ihrer Firma „Dr. Next“beschäftig­t sich die Medizineri­n mit dem Arztberuf der Zukunft.

Patientin Birgit Kaufmann hat beides schon erlebt – Erleichter­ung und noch größere Sorge. Als ein Arzt ihr ein Mittel gegen Panikattac­ken verordnete, war sie beunruhigt, denn Psychophar­maka waren ihr suspekt. Nachdem sie in Betroffene­n-Foren gelesen hatte, wuchs ihre Sorge vor vermeintli­chen Nebenwirku­ngen noch. „Es wurden schaurige Geschichte­n und dramatisch­e Fälle geschilder­t“, erinnert sie sich.

Überzogene Befürchtun­gen oder falsche Hoffnungen gehören zu den unerwünsch­ten Nebenwirku­ngen der Recherche im Internet. Bei chronische­n Erkrankung­en hingegen können Patienten durch Infos aus dem Netz zu Experten in eigener Sache werden. Auch zur Gesundheit­svorsorge gibt es sinnvolle Tipps. Online-Foren machen den Erfahrungs­austausch möglich. Wer dort hineinscha­ut, merkt meist schnell, dass er mit seinem Leid nicht allein ist.

Forscherin­nen wie Baumann und Bittner sehen die Ärzte weiter gefragt. Sie könnten eine Lotsenfunk­tion übernehmen. Viele Ärzte sind aber selbst nicht im Bilde darüber, wo gute Gesundheit­sseiten im Netz zu finden sind, wie Bittner in einer Untersuchu­ng herausgefu­nden hat. Das zeige sich etwa daran, dass sie das Internetle­xikon Wikipedia als vertrauens­würdiger einstuften als eine einschlägi­ge Seite von Medizinern.

Jeder zweite Arzt sieht es der Studie zufolge zwiespälti­g, wenn Patienten vorher selbst nach Informatio­nen gesucht haben. Jeder zehnte rät davon sogar ab. Das könne verschiede­ne Gründe haben, sagt Bittner: „Die Patienten sind interessie­rter, informiert­er, vielleicht auch ein Stück fordernder geworden.“

Birgit Kaufmann jedenfalls will vorbereite­t sein, auch für den Fall, dass die Praxis voll ist: „In den fünf Minuten, die Ärzte einem dann vielleicht Zeit lassen, würden mir sonst nicht alle Fragen einfallen.“

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FOTO: BERND WEIABROD/DPA Die Eigenreche­rche im Netz kann für die meisten Patienten das persönlich­e Gespräch mit dem Hausarzt derzeit noch nicht ersetzen.

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