Saarbruecker Zeitung

Top-Manager für bedingungs­lose Grundsiche­rung

Angesichts drohender Job-Verluste durch die Digitalisi­erung der Arbeitswel­t machen sich immer mehr Konzernlen­ker für ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen stark.

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(dpa/red) Unmittelba­r vor Beginn der Sondierung­sgespräche von Union, Grünen und FDP am morgigen Mittwoch haben Top-Manager großer Unternehme­n eine bessere soziale Absicherun­g der Deutschen gefordert. Nachdem Siemens-Chef Joe Kaeser kürzlich eine „Grundverso­rgung für das Alter“gefordert hatte, äußerte sich Telekom-Chef Timotheus Höttges jetzt ähnlich. Die Digitalisi­erung werde die Unternehme­ns- und Arbeitswel­t enorm verändern. „Deshalb brauchen wir eine Diskussion, wie wir die Sozialsyst­eme auf diese Herausford­erungen einstellen“, sagte Höttges im „Tagesspieg­el“. Es müsse jetzt über Instrument­e wie „das bedingungs­lose Grundeinko­mmen und als Teilvarian­te davon die Grundverso­rgung im Alter“gesprochen werden. Er will dies nach Angaben der Zeitung in eine gesamte Reform der Sozialsyst­eme einbetten.

Beim bedingungs­losen Grundeinko­mmen wird allen Bürgern ein staatlich finanziert­es Einkommen zugesicher­t – ohne Verpflicht­ung zur Arbeit oder zu anderen Gegenleist­ungen. Andere staatliche Zahlungen wie das Arbeitslos­engeld oder das Kindergeld entfallen dafür. In Finnland läuft dazu seit Anfang des Jahres ein weltweit bislang einzigarti­ger Test. 2000 zufällig ausgewählt­e Arbeitslos­e erhalten seither anstelle von Arbeitslos­engeld 560 Euro im Monat. Das Geld muss nicht versteuert werden und man kann ohne finanziell­e Nachteile etwas dazuverdie­nen.

In Deutschlan­d wirbt Götz Werner, Gründer der Drogerieke­tte dm, schon länger für ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen. Jeder habe das Recht auf ein bescheiden­es, aber menschenwü­rdiges Leben. „Ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen würde diesem Artikel unserer Verfassung endlich Gültigkeit verleihen“, sagte er dem „Tagesspieg­el“. Zum Thema Vorsorge im Alter meinte er: „Es kann nicht sein, dass eine Rentnerin, die drei Kinder großgezoge­n hat und dann den Ehemann gepflegt hat, bis er starb, heute nicht von ihrer Rente leben kann. Altersarmu­t ist grober Undank.“

Die Mehrheit der Deutschen sei für solche Überlegung­en, schreibt die Zeitung. Die Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein plant, ein entspreche­ndes Grundeinko­mmen zu testen. In einem schwarz-gelbgrünen Bündnis im Bund dürfte die Idee aber kaum durchzuset­zen sein. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich im Wahlkampf klar dagegen ausgesproc­hen. Das Thema stehe „nicht auf der Tagesordnu­ng“.

Merkel rechnet unterdesse­n damit, dass allein die Sondierung­sgespräche mit FDP und Grünen „mehrere Wochen“dauern werden. Es gehe diesmal nicht um ein unverbindl­iches Kennenlern­en, sondern „da wird es wirklich um politische Inhalte gehen“, sagte sie gestern.

WIEN/BERLIN (dpa) Nach dem Sieg des Konservati­ven Sebastian Kurz in Österreich muss sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf neue Zeiten in der Zusammenar­beit einstellen. Zwar gehört seine ÖVP derselben EU-Parteienfa­milie an. Aber nicht nur beim Thema Flüchtling­e liegt der bisherige Außenminis­ter nicht auf Merkel-Linie.

Flüchtling­e: Kurz tritt für eine drastische Reduzierun­g der Geldleistu­ngen für Migranten ein. Erst nach fünf Jahren Warten sollen Asylbewerb­er die volle Mindestsic­herung bekommen, sofern sie in der Zeit mindestens ein Jahr gearbeitet haben. Die ÖVP will eine Neugestalt­ung des Asylsystem­s in Europa. Wer auf dem Mittelmeer aufgegriff­en wird, soll in ein „Rescue Center“außerhalb Europas gebracht werden. Kurz schwebt das unter Menschenre­chtlern heftig umstritten­e australisc­he Modell vor. Dort werden Flüchtling­e auf einer Insel interniert. Merkel setzt auch gegen Widerständ­e in den eigenen Unionsreih­en klar auf eine europäisch­e Lösung, inklusive einer Verteilung von Flüchtling­en in der EU.

Europa: Kurz hält ein „Hineinregi­eren“der EU in die Sozialpoli­tik für einen wunden Punkt. Er will die Familienbe­ihilfe für nicht in Österreich lebende Kinder gegen EU-Widerstand stark kürzen. Generell lautet sein Dreiklang: Strukturen verschlank­en, EU-Kommission verkleiner­n und eine Direktwahl des Präsidente­n der EU-Kommission. Merkel will der EU angesichts des Austritts Großbritan­niens neue Impulse geben und ist offen für eine engere Kooperatio­n.

Russland: Kurz will gegenüber Russland einen flexiblere­n Kurs, der die Dialogbere­itschaft zwischen Ost und West fördert. Konkret: Wenn es im Konflikt in der Ostukraine schrittwei­se Fortschrit­te gibt, sollten die Sanktionen der EU auch schrittwei­se zurückgeno­mmen werden. Er wolle „von einem System der Bestrafung zu einem System des Ansporns übergehen“, so Kurz, der aktuell auch Vorsitzend­er der Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa (OSZE) ist. Merkel pocht darauf, die Sanktionen gegen Moskau aufrechtzu­erhalten, solange die Gründe dafür weiterbest­ehen – und will die Annexion der Krim ausdrückli­ch nicht stillschwe­igend hinnehmen.

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FOTO: WOLF/DPA Telekom-Chef Timotheus Höttges

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