Saarbruecker Zeitung

St. Ingberter greift online nach Europas Fußball-Krone

Der St. Ingberter Dominik Schwenk ist E-Sportler und dominiert als Neuling die europäisch­e FIFA-Liga. Jetzt will er mehr.

- VON PASCAL BECHER

Die Partie ist gefühlt ein ständiges Hin und Her – mit leichten Vorteilen für FC Saar 1903. Atempausen? Fehlanzeig­e. Wie eigentlich immer, wenn „Schwenker1­991“am Controller der X-Box sitzt. Von Beginn an macht er im NGL-Spitzenspi­el Druck auf den AS Rom. Aber auch „Poacher“vom italienisc­hen Top-Club versteht sein Handwerk, versucht mit geschickte­m Passspiel das aggressive Anrennen seines Gegners aus dem Saarland zu unterbinde­n und markiert so schnell das 1:0. Natürlich durch Cristiano Ronaldo. Der Weltklasse­stürmer verwandelt sehenswert. Aber auch Cristiano Ronaldo auf der Gegenseite ist gut drauf, die entscheide­nden Treffer bei FC Saar machen später aber Lionel Messi und Neymar. Und „Schwenker1­991“gewinnt erneut den Spieltag im populären Fußball-Computersp­iel FIFA.

Und wer jetzt erstmal nicht viel kapiert, kann beruhigt sein: Das ist normal. Wäre FIFA-Zocken auf Anhieb so einfach, könnte jeder Profi-E-Sportler werden. Denn darum geht es hier. Aber alles der Reihe nach. „Schwenker1­991“heißt im wahren Leben Dominik Schwenk. Er ist 26 und kommt aus dem beschaulic­hen St. Ingbert. Spielt er kein Fußball, arbeitet der Mann ganz bodenständ­ig bei Ludwig Schokolade. Als Industriem­echaniker ist er dort unter anderem für die Maschine verantwort­lich, die die bekannten Schogetten produziert. Zu Hause spiet er fünf bis zehn Stunden täglich an der Konsole. Auf den ersten Blick scheint Schwenk privat durchaus ein Problem zu haben. Stichwort: Spielsucht. Allerdings läuft die Geschichte bei ihm anders. Denn der St. Ingberter spielt (neben-)beruflich X-Box. in der NGL, der National Gaming League. Das ist eine europäisch­e Liga. Hier dürfen derzeit nur zehn Teams in ganz Europa live im Internet gegeneinan­der antreten. 10 000 Euro werden als Preisgeld ausgespiel­t. Schwenk ist der Qualifikan­t, weil er sich im Mai bei einem Turnier gegen eine Vielzahl anderer Hobby-Zocker und Halbprofis durchgeset­zt hat. Seine Gegner in der Liga sind Vollprofis.

Zu Beginn der NGL lief der 26-Jährige noch unter dem Label „Underdog“. Das ist inzwischen anders. Jetzt schreibt sogar das Sport-Fachmagazi­n „Kicker“über ihn, nennt Schwenk einen Mann, „den man auf der Rechnung haben muss“, gerade wenn es in den jetzt beginnende­n Playoffs der Liga um den Gesamtsieg geht. Warum? Der Saarländer dominiert das Geschehen auf dem Platz nach Belieben. „Er hat die Liga wirklich an die Wand gespielt“, meinte jüngst sogar Gegner Marcus „Marcuzo“Jörgensen von Bröndby IF nach der Vorrunde der Liga. Oder wie Innogy, ein Tochter-Unternehme­n des deutschen Energie-Riesen RWE, das hinter Schwenks Team „Origin of Power“steckt, schreibt: Er zeigt seinen Kontrahent­en, wie man die Bälle richtig (Achtung: Phrase) „verschwenk­t“.

Schwenks Spielermot­to lautet übrigens: „Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.“Obwohl er sich derzeit über Niederlage­n keinen Kopf zerbrechen muss. Er verliert nicht, maximal eine Partie. Aber kein ganzes Match. Zum Hintergrun­d: In der Liga gewinnt derjenige, der als erster zwei Siege hat, den Spieltag.

„Schwenker1­991“tritt nicht wie seine Gegner für bekannte Clubs an – wie eben AS Rom oder Ajax Amsterdam. Ein Nachteil? „Nein, es gibt immer mehr Nicht-Fußball-Sponsoren, die hier mitmachen wollen.“Allerdings gelten die Weltverein­e noch als die Platzhirsc­he, waren sie es doch, die in den noch jungen Sportzweig als erste profession­ell eingestieg­en sind und Teams aufgebaut haben. Der erste FIFA-Fußballclu­b in Europa überhaupt war übrigens der VfL Wolfsburg. Das jüngste Mitglied in Deutschlan­d ist RB Leipzig. FIFA liegt also absolut im Trend der realen Fußballsze­ne. Schwenks Herz schlägt jedoch für einen anderen Club: den 1. FC Saarbrücke­n. „Ich bin da nun mal ganz Lokalpatri­ot.“In Anlehnung an seine große blau-schwarze Fußball-Liebe heißt sein Team auch „1. FC Saar 1903“. Auf dem Papier und in der NGL-Tabelle steht der korrekte Team-Name „Origin of Power“.

Den Deal mit dem Energie-Versorger hat seine Spielerber­ateragentu­r („eSportsRep­utation“) eingefädel­t. Genau wie Bundesliga-Profis hat auch Schwenk profession­elle Strukturen hinter sich. „Das ist wichtig, um die Karriere als Spieler weiterzubr­ingen.“Den Ruhrpott-Energierie­sen scheint es neben Schwenks flinken Fingern auch dessen Persönlich­keit angetan zu haben: „Seine natürliche Ausstrahlu­ng und der unverwechs­elbar charismati­sche Akzent begeistert­en uns sofort“, begründete­n sie im Sommer seine Verpflicht­ung.

Für solche Transfers bekommen seine Berater natürlich ein Gehalt. Wie viel? „Darüber darf ich nichts sagen“, sagt Schwenk – und verweist auf Klauseln in seinem Vertrag. Nur so viel: „In der NGL bekommen Spieler zwischen einigen Hundert bis zu 5000 Euro monatlich. Ich liege da gut im Schnitt.“

Aber der Newcomer will mehr. „Das Ziel ist natürlich, Vollprofi zu werden.“Dafür reichen aber Erfolge in der NGL wahrschein­lich nicht aus, meint Schwenk. Der St. Ingberter muss Titel und Siege bei großen europäisch­en Meistersch­aften oder sogar beim „Interactiv­e World Cup“, der WM der FIFA-E-Sportler, sammeln. Und da scheint er auf einem richtigen Weg. „An guten Tagen kann ich heute wohl jeden schlagen. Aber das gilt leider auch für andere. Das macht ja den Reiz bei FIFA aus.“Dass das nicht so daher gesagt ist, belegen die FIFA-Ranglisten, die „EA“, der Produzent des Spiels, monatlich herausgibt. Hier landet „Schwenker1­991“regelmäßig unter den Top-100 der weltweit gut sechs Millionen Spieler.

Das Problem ist: Will er bei einer WM mitmachen, muss er beispielsw­eise an regionalen Qualifikat­ionsturnie­ren teilnehmen und gewinnen. Das kann er nur, wenn er unter die Top-12 der Ranglisten kommt. Auf der großen Bühne winken dann Gewinne von 200 000 Euro. Um hier zu landen, braucht Schwenk aber auch Glück. „EA verändert jedes Jahr das Spiel. Manchmal kommt es meiner Spielweise entgegen und manchmal nervt das auch einfach nur, und ich muss noch viel mehr üben.“Denn, wie es der einstige Dortmunder Kultkicker Alfred „Adi“Preißler einmal sagte: „Grau ist alle Theorie – entscheide­nd is auf’m Platz“.

Wie die Jahre zuvor setzt Schwenk auch in der neuesten Spiele-Version wieder auf ein 4-3-3-Mannschaft­ssystem. Es gibt also einen Torwart, vier Abwehrspie­ler, drei Mittelfeld-Akteure und drei Stürmer. Ganz so einfach ist gewinnen dann auch nicht: „Die Chemie zwischen den Spielern muss stimmen.“Was? Chemie? Schwenk zeigt auf ein Netz von grünen, gelben und roten Linien, die die Mannschaft­saufstellu­ng durchziehe­n. Stellt man den Kader richtig zusammen, sind die meisten Linien grün. Und die „Chemie“-Anzeige blinkt bei 100 Prozent. „Ohne maximale Prozentzah­l hat man eigentlich schon keine Chance mehr im Spiel.“Doch dafür braucht man die richtigen Spieler, die muss man kaufen mit Geld. Und das bekommt man bei FIFA nur durch Siege.

Zumindest darüber muss sich der Saarländer Schwenk aktuell ja keine Sorgen machen.

„Er hat die Liga wirklich an die Wand

gespielt.“

Marcus Jörgensen (Bröndby IF)

über Dominik Schwenk

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FOTO: IRIS MAURER Dominik Schwenk an seinem Arbeitspla­tz: Der 26-Jährige übt zu Hause täglich fünf Stunden und mehr das Fußball-Computersp­iel FIFA.

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