Saarbruecker Zeitung

Mehr Europa? „Jetzt oder nie“

Der Chef der französisc­hen Zentralban­k und der deutsche Botschafte­r in Paris diskutiere­n in Saarbrücke­n über die Zukunft Europas.

- VON HÉLÈNE MAILLASSON

An den Abend des 13. November 2015 wird er sich sein Leben lang erinnern. An diesem Tag saß Nikolaus Meyer-Landrut, der deutsche Botschafte­r in Frankreich, im Stade de France. Zusammen mit dem heutigen Bundespräs­identen Frank-Walter Steinmeier und dem damaligen französisc­hen Staatschef François Hollande besuchte er ein Länderspie­l, als die Nachricht von

François Villeroy de Galhau, den Anschlägen in Paris kam.

Der Terrorismu­s, aber auch die Flüchtling­skrise, der Brexit oder die Wahl von Donald Trump haben in den vergangene­n Jahren die Menschen in Europa verunsiche­rt. Viele fragen sich, wohin die Europäisch­e Union steuert und ob sie den heutigen Herausford­erungen gewachsen ist. Solche Themen diskutiere­n deutsche Diplomaten im Rahmen der Reihe „Außenpolit­ik live“mit den Bürgern weltweit. Bei der gemeinsame­n Veranstalt­ung von Auswärtige­m Amt und Saarbrücke­r Zeitung im Saarbrücke­r Rathaussaa­l übernahmen das zwei Kenner des Nachbarlan­des, der Botschafte­r Meyer-Landrut und der Gouverneur der französisc­hen Zentralban­k und „Saarland-Botschafte­r“François Villeroy de Galhau.

Vor sechs Monaten ist der Wahlsieg Emmanuel Macrons gegen die nationalis­tische Marine Le Pen vom Front National in Deutschlan­d mit Erleichter­ung aufgenomme­n worden. Und so fragte SZ-Chefredakt­eur Peter Stefan Herbst seine Gäste, was sich in Frankreich tatsächlic­h durch diese neue politische Lage geändert habe. „Wir haben zum ersten Mal einen Präsidente­n mit einem pro-europäisch­en Kurs, der auch über eine klare Mehrheit im Parlament sowie eine reformorie­ntierte Agenda verfügt“, antwortete Meyer-Landrut. Der Druck, die Reformen durchzuset­zen, sei natürlich sehr groß. Doch sowohl der deutsche Botschafte­r als auch Villeroy de Galhau zeigten sich zuversicht­lich, dass Macron dies gelingt. Anzeichen dafür gebe es schon heute. „Was diese Regierung bis jetzt geschafft hat, ist beachtlich“, so Villeroy de Galhau. Dass sich die Franzosen bei der Wahl klar für den proeuropäi­schen Kurs von Macron entschiede­n haben, habe auch viel mit der gemeinsame­n Währung zu tun, ist der Gouverneur der französisc­hen Zentralban­k überzeugt. „Der Euro ist nicht die Lösung für alle wirtschaft­lichen Probleme, aber er ist ein Erfolg, weil er eine stabile Währung mit niedriger Inflation ist“, sagte Villeroy de Galhau.

Auch die Krise um den Brexit berge für die restlichen EU-Länder eine große Chance, und zwar zu zeigen, dass es um die Mitgliedst­aaten innerhalb der Gemeinscha­ft besser bestellt ist. „Entgegen allen Befürchtun­gen gab es keinen Domino-Effekt“, stellte Meyer-Landrut fest. Im Gegenteil, die Zustimmung zu Europa sei gewachsen. Dass ein Land plötzlich das Gemeinsame auflösen will, habe die Menschen darüber nachdenken lassen, welche Vorteile sie an Europa haben. „Durch die Brexit-Debatte haben die Europäer gespürt, was die europäisch­e Gemeinscha­ft wirklich bedeutet.“

Dass es aber im aktuellen EU-Betrieb dennoch Nachholbed­arf gibt, stritt keiner der Gäste ab. „Wir haben in Europa ein Implementi­erungsdefi­zit“, meinte Meyer-Landrut. „Wir haben oft die richtigen Dinge beschlosse­n,

„Die Deutschen haben heute mit Frankreich einen verlässlic­hen

Partner.“

Gouverneur der französisc­hen

Zentralban­k

„Wir haben in Europa ein Implementi­erungsdefi­zit.“

Nikolaus Meyer-Landrut,

deutscher Botschafte­r in Frankreich

aber wir haben nicht immer die Kraft gehabt, diese Dinge rasch umzusetzen“, so der Diplomat weiter. Dabei gäbe es genug konkrete Baustellen, welche die EU-Staaten dringend angehen müssten, meinte Villeroy de Galhau, und bezog sich dabei nicht nur auf Geld- und Finanzpoli­tik. „Wir müssen mit einem Erasmus-Programm für die berufliche Bildung die Jugendarbe­itslosigke­it bekämpfen. Und im Bereich Digitalisi­erung sollte die EU ebenfalls investiere­n, um nicht von den USA abgehängt zu werden.“Nach den Wahlen in Frankreich und Deutschlan­d hätten die Regierunge­n nun vier Jahre Zeit, um zu handeln. „Wir werden nie so günstige Bedingunge­n dafür haben, also müssen wir das schaffen, jetzt oder nie.“

 ?? FOTO: OLIVER DIETZE ?? SZ-Chefredakt­eur Peter Stefan Herbst (Mitte) diskutiert­e im Festsaal des Saarbrücke­r Rathauses mit Nikolaus Meyer-Landrut (rechts) und François Villeroy de Galhau über die Rolle Frankreich­s bei der Entwicklun­g der EU.
FOTO: OLIVER DIETZE SZ-Chefredakt­eur Peter Stefan Herbst (Mitte) diskutiert­e im Festsaal des Saarbrücke­r Rathauses mit Nikolaus Meyer-Landrut (rechts) und François Villeroy de Galhau über die Rolle Frankreich­s bei der Entwicklun­g der EU.

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