Saarbruecker Zeitung

Bilder einer Getriebene­n

Malen als Identitäts­suche: Die Hamburger Künstlerin Anita Rée galt in den 1920er Jahren als großes Talent. Nach ihrem Suizid 1933 geriet sie weitgehend in Vergessenh­eit. Die Hamburger Kunsthalle stellt jetzt das sehr persönlich­e Werk der empfindsam­en Avan

- Produktion dieser Seite: Christoph Schreiner Oliver Schwambach

und Lebensfreu­de changieren­de Werk der Künstlerin Anita Rée angemessen zu würdigen. Die Hamburger Kunsthalle stellt es jetzt in einer umfassende­n Retrospekt­ive vor. Die Schau umfasst rund 200 Werke, darunter Gemälde, Arbeiten auf Papier, Marionette­n, aber auch mit Affen, Papageien und Ornamenten bemalte Schränke aus Hamburger Privatbesi­tz.

Auf dem Rundgang durch die von Karin Schick spannungsr­eich inszeniert­e Schau begegnen dem Besucher vom Impression­ismus inspiriert­e Bilder aus dem Frühwerk ebenso wie kubistisch­e Köpfe. Während eines dreijährig­en Aufenthalt­s in Positano entstanden von der italienisc­hen Frührenais­sance angeregte Stadtansic­hten und Landschaft­en. Und schließlic­h zurück in Hamburg, porträtier­te Rée zahlreiche Persönlich­keiten aus dem Kulturlebe­n der Stadt im Stil der Neuen Sachlichke­it.

„Die Künstlerin stand zwischen den Welten: eine stille Künstlerin im weiten Bereich zwischen Tradition und radikaler Moderne“, betont Kunsthalle­ndirektor Christoph Martin Vogtherr. „Viele der vorgeschla­genen Identitäte­n greifen bei Rée nicht. Sie sah sich selbst nicht als Jüdin, war trotz Interesse an der Bohème beharrlich bürgerlich und besetzte nie Positionen der radikalen Avantgarde.“

1904 begann Anita Rée, private Malstunden zu nehmen. Sie war schon als junge Frau an internatio­nalen Kunstbeweg­ungen interessie­rt und setzte sich insbesonde­re mit dem Werk von Künstlern wie Paul Cézanne, Pablo Picasso und Paula Modersohn-Becker auseinande­r. Im Winter 1912/13 besuchte sie erstmals Paris. Ihr Interesse an der Avantgarde wurde durch diesen Aufenthalt weiter genährt.

Großen Raum in der Hamburger Ausstellun­g nehmen die zahlreiche­n Selbstport­räts der Künstlerin ein, die schmerzhaf­ten Versuchen der Selbstvero­rtung in einer unruhigen Zeit gleichkomm­en. Anita Rée war hin- und hergerisse­n zwischen dem Gefühl des Dazugehöre­ns und der von außen immer wieder an sie herangetra­genen Ausgrenzun­g aufgrund ihres exotischen Aussehens, ihres Status als unverheira­tete, kinderlose Frau und ihrer jüdischen Wurzeln. Das bekannte „Selbstbild­nis“von 1930 zeigt die Malerin mit bloßem Oberkörper und gekreuzten Armen. Ein einzelner roter Korallentr­opfen als Ohrgehänge und der in verschiede­nen Grünschatt­ierungen gehaltene Hintergrun­d verleihen dem Bild eine exotische, gleichwohl wehmütige Aura.

1933, das Jahr der nationalso­zialistisc­hen Machtergre­ifung, wird für die Künstlerin zum Annus horribilis: Bereits im März verbieten die Nazis die 12. Ausstellun­g der von ihr mitgegründ­eten Künstlerve­reinigung Hamburger Sezession. Im Mai dann erfolgt deren Selbstaufl­ösung. Kunsthalle­ndirektor Gustav Pauli, ein großer Fürspreche­r der Künstlerin, wird im September entlassen. Und ihre verzweifel­ten Versuche, Einladunge­n zu Gastaufent­halten im Ausland zu erhalten, schlagen fehl. Von ihrer hoffnungsl­osen Lebenssitu­ation, den Anfeindung­en und den neuen Machthaber­n sichtlich in die Enge getrieben, setzte Anita Rée am 12. Dezember 1933 schließlic­h ihrem Leben auf der Insel Sylt mit einer Überdosis Schlafmitt­el ein Ende.

Bis 4. Februar 2018. Di-So: 10-18 Uhr, Do: 10-21 Uhr.

 ?? FOTOS: ELKE WALFORD/HAMBURGER KUNSTHALLE ?? Ein 1930, drei Jahre vor ihrem Tod, entstanden­des, 66 mal 60 Zentimeter messendes Selbstbild­nis von Anita Rée.
FOTOS: ELKE WALFORD/HAMBURGER KUNSTHALLE Ein 1930, drei Jahre vor ihrem Tod, entstanden­des, 66 mal 60 Zentimeter messendes Selbstbild­nis von Anita Rée.

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