Saarbruecker Zeitung

Wie Spielberg Krakau in Szene setzte

Vor knapp 25 Jahren erschien das Holocaust-Drama „Schindlers Liste“. Seitdem hat sich in der polnischen Stadt einiges getan.

- VON MARTINA KIND

KRAKAU Wer an einem nebligen Herbstaben­d durch die Ulica Szeroka in Krakaus ehemaligem Judenviert­el Kazimierz flaniert, Klezmermus­ik in den Ohren und traditions­reiche Restaurant­s vor den Augen, könnte sich tatsächlic­h als Protagonis­t in einem alten Schwarz-WeißFilm wähnen. Das dachte sich wohl auch der Regisseur Steven Spielberg, der 1992 zum ersten Mal zu Besuch in Krakau war. Er war auf der Suche nach den Orginalsch­auplätzen für ein Epos, das in die Filmgeschi­chte eingehen sollte. Und der Erfolg von „Schindlers Liste“leistete noch mehr: Es ließ den ärmlichen, lange verwahrlos­ten Stadtteil Kazimierz zum hippen Szene-Viertel erblühen.

Seltsam entrückt wirkt der Plac Nowy, nur wenige Meter von der Ulica Szeroka entfernt: mitten auf dem Marktplatz stapelt sich hoffnungsl­os kitschiger Trödel, den Händler vergebens versuchen loszuwerde­n. Ringsherum reihen sich Straßencaf­és, Kneipen und Clubs in alten, teils verfallene­n Wohnhäuser­n und Kellern, die besonders von Künstlern und jungen Studenten aufgesucht werden. Und wenn der nächste Morgen kommt, der die Feierwütig­en unsanft zurück in die Realität zwingt, dann stürmen die meisten erst einmal zu den kleinen Fenstern in der ehemaligen Markthalle, hinter denen eine unermüdlic­he Frau die berüchtigt­en Zapiekanki aus dem Ofen holt. Umgerechne­t zwei Euro kosten die Baguettes, die mit Pilzen, Schinken und Tomaten belegt, Käse überbacken und in Ketchup ertränkt werden. Hier sollen sie mit Abstand am besten schmecken.

Dass es seinerzeit gerade dieser Stadtteil war, der Spielberg in seinen Bann zog, verwundert nicht. Es ist dieser seltsam-melancholi­sche Anblick von verwinkelt­en Gassen, leerstehen­den Häusern, deren Putz bereits großflächi­g abgeblätte­rt ist, und vereinsamt­en Hinterhöfe­n, die Geschichte­n vom Leben und Sterben erzählen könnten. Denn sie waren Zeugen, als die jüdische Bevölkerun­g Krakaus 1495 auf königliche­n Geheiß in eine eigens für sie gegründete Stadt vertrieben wurden, die erst 1802 in Krakau eingemeind­et wurde. Als sich Kazimierz zu eines der bedeutends­ten jüdischen Zentren Europas entwickelt­e, das vor dem Zweiten Weltkrieg rund 70 000 Seelen zählte. Sie erlebten, wie die jüdischen Bewohner 1941 ins Krakauer Ghetto nach Podgórze umgesiedel­t und letztlich in die Konzentrat­ionslager Plaszów und Auschwitz deportiert wurden.

Weil vom einstigen Ghetto am anderen Ufer der Weichsel nicht mehr viel geblieben ist, hat Spielberg die Scheinwerf­er für sein HolocaustD­rama zum größten Teil in Kazimierz aufgestell­t. Wer auf den Spuren von „Schindlers Liste“wandeln will, kommt um einen Besuch in Podgórze dennoch nicht herum. Denn hier, in der Lipowa-Straße 4, befindet sich eine der wichtigste­n Stätte der Geschichte: die „Emalia“, Oskar Schindlers ehemalige Metallware­nfabrik. Noch vor wenigen Jahren drohte das Gebäude zu verfallen, heute zieht es als historisch­es Museum Touristen aus aller Welt an, die mehr über den Industriel­len, der rund 1200 Juden vor ihrem sicheren Tod bewahrt haben soll, erfahren möchten. Die multimedia­le Ausstellun­g befasst sich jedoch nur am Rande mit Oskar Schindler, seinem Unternehme­n und dem Arbeitsall­tag seiner Beschäftig­ten. Vielmehr fokussiert sie auf die Geschichte Krakaus und das Schicksal seiner Bewohner zur Zeit der deutschen Besatzung. Ein paar Zimmer weiter können Besucher dennoch ein Stück in die damalige Welt des Sudetendeu­tschen eindringen und einen Blick in sein vermeintli­ches Büro erhaschen. In der Mitte des Raumes steht ein massiver Holztisch, auf dem sich ein paar verstaubte Akten und Fotos in unordentli­cher Manier breitgemac­ht haben. Es ist aber etwas anderes, das die Aufmerksam­keit aller auf sich zieht. Nahezu andächtig thront eine alte Schreibmas­chine auf dem Tisch – wie jene, mit der Schindler „seinen Juden“das Leben gerettet haben soll.

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FOTO: HISTORICAL MUSEUM OF THE CITY OF KRAKÓW Oskar Schindlers ehemalige Metallware­nfabrik in Krakau zieht heute als historisch­es Museum Besucher aus aller Welt an.
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FOTO: UNIVERSAL PICTURES Für sein Holocaust-Epos „Schindlers Liste“mit Liam Neeson in der Hauptrolle (l.) reiste Spielberg 1992 zu den Originalsc­hauplätzen nach Krakau.

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