Oma freute sich immer über Besuch
Wie ist das, von einem geliebten Menschen Abschied nehmen zu müssen? Die SZ spricht mit Angehörigen und Freunden und stellt in einer Serie Lebenswege Verstorbener vor. Heute: Erna Schnur.
ST. INGBERT „Ich bin sehr dankbar, dass ich so lange eine Oma haben durfte“, erklärt Nicole Kessel, und doch mischt sich neben der tiefen Dankbarkeit auch Trauer in ihre Stimme. „Meine Oma hat die letzten Jahre immer gesagt, dass sie doch eigentlich schon viel zu alt wäre“, erinnert sich die Enkelin. Auf den Tod der Großmutter, die im März im Kreise ihrer Kinder, Enkel, Urenkel und sogar einem Ururenkel den 92. Geburtstag gefeiert hat, war Kessel durchaus vorbereitet – und doch kam der Moment sehr überraschend, wie sie betont. „Auch jetzt noch, einige Wochen nach ihrem Tod, denke ich auf der Heimfahrt von der Arbeit immer wieder, ich könnte gerade noch bei ihr vorbeifahren“, erzählt sie.
Ihren letzten Lebensabschnitt, wenn man von den Tagen im Krankenhaus einmal absieht, hat Erna Schnur im Seniorenheim der Awo in Elversberg verbracht, war, wie Kessel sagt, sehr beliebt und hat die Angebote der Einrichtung gerne wahrgenommen. „Sie hat am Kochkurs teilgenommen, hat gesungen und sogar eigene Gedichte vorgetragen, war also im Kopf vollkommen klar“, erinnert sich Enkeltochter Nicole, Jahrgang 1970. Doch ihre Probleme mit den Beinen, die Erna Schnur nicht mehr tragen wollten, brachten die Seniorin schließlich ins Heim. Zuvor, erzählt Nicole Kessel, hatte sie einige Zeit in einer kleinen Wohnung in Elversberg gelebt und war auch dort rundum zufrieden.
Einige Jahre nach dem Tod ihres Mannes Helmut 2006 hat sie sich vom Haus in Bildstock, ihrem Elternhaus getrennt, und sich für eine kleine Wohnung in der Nähe ihrer Tochter Marianne entschieden. Geboren wurde Erna Schneider, so ihr Mädchenname, am 17. März 1925 in Bildstock. Nach der Schule, erzählt die Enkelin, hat ihre Oma sehr gerne als Briefträgerin gearbeitet. Schließlich heiratetet sie 1947 ihren Mann Helmut, der aus Hühnerfeld stammte. „Meine Großeltern sind zu den Eltern meiner Oma ins Haus gezogen und haben quasi ihre gesamte Ehe dort zusammen verlebt“, erzählt Kessel. Den ersten, schweren Schicksalsschlag musste Erna Schnur bereits ein Jahr nach der Hochzeit verkraften. Die erstgeborene Tochter Renate starb im Alter von vier Monaten. „Wenn ich meine Oma darauf angesprochen habe, hat sie schon davon erzählt. Vor allem aber hat sie darunter gelitten, dass es nach einigen Jahren keine Grabstätte mehr für das Kind gab.“Zum Glück stellte sich weiterer Nachwuchs ein, im Jahr 1949 kam Nicole Kessels Mama Margit, drei Jahre später ihre Tante Marianne auf die Welt. „Für meine Oma war es das Größte, den Haushalt zu schmeißen. Sie hat für ihr Leben gerne geputzt“, erinnert sie sich. Blitzsauber war es im Haus, doch standen Kirmes oder Feiertage an, hat Oma Erna Extraschichten eingelegt, damit alles glänzte. „Dafür hat mein Opa, als er nach vielen Jahren als Polsterer in
Nicole Kessel über ihre Oma Erna Schnur den Ruhestand kam, sie dann bekocht, ist auch einkaufen gegangen“, erzählt Nicole. Vor allem in jungen Jahren, sagt sie, hatte sie eine sehr intensive Beziehung zur Oma. „Sie konnte so gut zuhören und vor allem auch mal etwas für sich behalten.“Viele Erinnerungen hat sie aber auch an die zahlreichen Ausflüge, die sie mit ihren Geschwistern und den Großeltern unternommen hat. Nach kurzer, schwerer Krankheit ist ihr Opa dann im Mai 2006 verstorben. „Meine Oma hat sich äußerlich nichts anmerken lassen, doch es hat sie schon sehr getroffen“, sagt die Enkelin. Um ihr den Alltag zu erleichtern, richteten ihr Tochter und Enkelin eine Wohnung in Elversberg ein. „Ich erinnere mich noch gut, wir haben das komplette Wohnzimmer in der neuen Wohnung wieder so aufgebaut, wie es zuvor im Haus in Bildstock war“, sagt Kessel. Gute zwei Jahre hat sie dort gewohnt und immer gerne Besuch bekommen. „Und wir wurden immer mehr, nach den Enkeln kamen die Urenkel, und meine Tochter hat auch schon Nachwuchs“, sagt Nicole Kessel.
Ihrer Oma, betont sie, wurde das nie zu viel, ganz im Gegenteil, sie freute sich immer über den Besuch der Familie. Nur eins, verrät Kessel, konnte sie nicht verstehen. „Während sie mit Opa fast 60 Jahre eine glückliche Ehe führte, hatten wir alle nicht so viel Glück. Sie hat aber nur gemeint ,ihr mit eurem Durcheinander’, aber hat doch unsere Lebensweise akzeptiert“, sagt Nicole Kessel.
Ein Stückchen, bekennt sie, ist ihre Oma auch ein Vorbild in Sachen gelingendes Eheleben. Denn, das hat sie ihrer Enkelin mal erzählt: „Auch wir hatten ab und zu mal Streit, doch wäre deshalb keiner von uns weggelaufen.“Zur Goldenen Hochzeit, erzählt Kessel, hatten sie sogar eine Kutsche organisiert. „Bis zum Schluss hat meine Oma immer davon erzählt, dass sie sich an diesem Tag gefühlt hat wie die Queen.“
2012 wurde das Leben in der eigenen Wohnung zu beschwerlich, ein Heimplatz in Elversberg wurde gefunden. „Irgendwann musste meine Oma in den Rollstuhl, aber auch das hat sie weggesteckt, auch hier noch viel Freude an den Kindern gehabt.“Bis zu jenem Tag im September – „Wasser in der Lunge“lautete die Diagnose. „Wir haben sie alle noch mal besucht, dann ist sie einfach friedlich eingeschlafen, so wie sie es sich gewünscht hat“, sagt Kessel. ............................................. Auf der Seite „Momente" stellt die Saarbrücker Zeitung im Wechsel Kirchen in der Region und Lebenswege Verstorbener vor. Im Internet: saarbruecker-zeitung.de/lebenswege
„Sie konnte so gut zuhören.“
Michaela Heinze Oliver Schwambach