Neue Moderne Galerie bis Jahresende umsonst
Die Neueröffnung der Saarbrücker Modernen Galerie steht kurz bevor. Wir haben schon mal durchs Schlüsselloch geschaut.
Anlässlich der Wiedereröffnung der Saarbrücker Modernen Galerie am 18. November nach Bau des neuen Pavillons gewährt die Stiftung Kulturbesitz den Bürgern bis 31. Dezember freien Eintritt. Die Sammlung wird gänzlich neu präsentiert.
Die „Lust des Beginnens“, die sich der neue Intendant des Saarbrücker Staatstheaters als Start-Losung ausgesucht hat, sie scheint ansteckend. Auch Bodo Busses Nachbar, Museumschef Roland Mönig, erlebte man nie derart gelöst wie jetzt, kurz vor der Wiedereröffnung der Modernen Galerie am 18. November. Der 2007 als CDU-Prestigeprojekt in Angriff genommene Erweiterungsbau schrieb eine bislang einmalige „Chronique scandaleuse“mit Vorstands-Affären, Bau-Missmanagement, Kostensteigerungen, zwei Untersuchungsausschüssen, Komplett- und Teilschließungen. Seit 2013 ist Mönig im Amt, ohne je Routinebetrieb erlebt zu haben. Stattdessen managte er ein Museum im krisenhaften Wartezustand, eine bleierne Zeit. Doch jetzt sagt Mönig: „Wir sind raus aus der Zwangsjacke“, und meint damit wohl nicht nur das räumliche Wachstum im Ausstellungsbereich um rund 50 Prozent: 1500 Quadratmeter kommen im Anbau (Vierter Pavillon) hinzu. Allein dieser Umstand, dieser quantitative Sprung, revolutioniert das Rundgang-Erlebnis, so der Eindruck bei einem ersten Besuch im fast schon perfekt eingerichteten Haus. Die seit den 70er Jahren gewachsenen Bestände haben jetzt in drei Flügeln und auf insgesamt 5000 Quadratmetern Platz, 370 Kunstwerke wurden untergebracht, von rund 26 000. Nur? Hülle und Fülle ist offensichtlich kein Argument, sondern das Raum-Klima, die Aura.
Immer schon erlebte man den Bestandsbau von Hanns Schönecker (1965-1976), der natürliches Licht und das Umfeld in sich hineinatmete, als großzügig und meditativ. Doch nun wähnt man sich in der „alten“Modernen Galerie wie in einer Freiluft-Atmosphäre. Dies resultiert aus der „bunkerhaften“Attitüde des Kuehn-Malvezzi-Erweiterungstraktes. Statt kontemplativen Gleichklangs bieten dort die unterschiedlich zugeschnittenen acht Räume und auch die Galerieausblicke viel Abwechslung. Im Mittelpunkt: der 14 Meter hohe sogenannte „Kathedralenraum“. Hier befindet sich die eigens für Saarbrücken entwickelte Netz-Installation der Kalifornierin Pae White (geb. 1963): gigantisch groß, gigantisch laut, gigantisch bunt und, ja, auch gigantisch imponierend. Pae Whites Zitaten-Spiel mit der psychedelischen Sprache der Popart entfaltet einen steilen, unwiderstehlichen Sex-Appeal – mehrheitsfähige Kunst, Popart des 21. Jahrhunderts. Das ist nahe an einer veritablen Attraktion und zugleich die verblüffendste Programmentscheidung eines Direktors, dessen Vorliebe für konkrete Kunst und für Konzeptkunst, fürs Leise und Nachdenkliche, man kennt. Mönig hat selbstverständlich auch dafür im Neubau Szenerien geschaffen, zum Beispiel für vier neue großartige Leihgaben von Franz Gertsch oder für die „Fotografie nach 1945“. Hier trifft die regionale Historie – die subjektive Fotografie eines Otto Steinert – auf aktuelle Projekte wie „Mapping the Museum“, bei dem Boris Becker oder Hans-Christian Schink den Saarbrücker Museumsneubau erkundeten. Sprich: Mönig zeigt innerhalb der internationalen Entwicklungen auch das, was hier vor Ort im Saarland passiert ist.
„Wir bieten keinen lückenlosen Gang durch die Kunstgeschichte“, sagt Mönig. Das könnte er auch nicht, denn dafür klaffen zu viele Leerstellen in der Sammlung. Nicht nur Popart und amerikanischer Expressionismus fehlen, auch bei der Video-Kunst ist man so schwach auf der Brust, dass Mönig die wenigen Werke, die er hat, gar nicht erst zeigt. Vielleicht später? Das Team sieht diese erste Gestaltung nämlich keineswegs als „in Stein gemeißelt“an. „Wir möchten das Museum beweglicher halten“, sagt der Direktor. Man werde öfter mal die Hängung wechseln. Pae Whites Installation ist ebenfalls nur temporär gedacht, der „Kathedralenraum“dient als Projektraum für wechselnde Künstler. Umstürzlerisch dürfte es aber auch in Zukunft nicht zugehen, dafür schlägt Mönig jetzt einen zu gediegen-konservativen Ton an. Im Neubau logiert mehrheitlich die zeitgenössische Kunst, im Bestandsbau trifft man die Impressionisten, den Blauen Reiter oder die Kubisten. Diese Bespielung lässt den Schönecker-Bau ganz schön alt aussehen, oder sagen wir: klassisch. Neu ist immerhin ein Sonderausstellungsbereich zur Provenienzforschung in der Studiogalerie – eine hervorragende Bereicherung. Aber insgesamt gibt es keine überraschenden Thesen, keine digitalen Spielereien, die Ikonen der Sammlung – Lovis Corinth, Oskar Schlemmer oder Max Beckmann – wurden weder weggepackt noch mit gänzlich neuen Nachbarn konfrontiert. Statt dessen setzt Mönig auf sanfte Verschiebungen und sensible Neuakzentuierungen. Am schönsten nachvollziehbar ist das im Foyer. Der alte Eingang des Schönecker-Baus ist bekanntlich der neue, und er empfängt uns im ersten Moment so, als wäre die Zeit stehen geblieben. Doch bereits kurz nach dem Betreten spürt man einen ungewohnten Impuls, man möchte sich um die eigene Achse drehen. Denn das Erdgeschoss funktioniert wie ein Scharnier – für den früheren Wechselausstellungspavillon, den Altbau und für den Neubau. Gleich drei Mal tritt man von hier aus in die Gegenwart ein, blickt durch raumhohe Glastüren auf die Zero-Kunst, die Informellen sowie auf den ersten Pae-White-Raum innerhalb ihrer Gesamtgestaltung „Spacemanship“. Es ist dies das vielleicht wichtigste programmatische Signal: Die Zeitgenossen können den Alten das Wasser reichen, die Saarbrücker Sammlung hat längst mehr Hochkarätiges zu bieten als die vertrauten Juwelen. Die Empfangs-Phalanx der Liebermann, Macke oder Nolde, die Publikumsmagneten, sind aus dem Erdgeschoss verschwunden, sind ins Obergeschoss gezogen, und es geht ihnen fabelhaft dort. Und die Moderne Galerie ist nun wahrlich eine moderne Galerie.