Saarbruecker Zeitung

Neue Moderne Galerie bis Jahresende umsonst

Die Neueröffnu­ng der Saarbrücke­r Modernen Galerie steht kurz bevor. Wir haben schon mal durchs Schlüssell­och geschaut.

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS Produktion dieser Seite: Robby Lorenz, Tobias Keßler Oliver Schwambach

Anlässlich der Wiedereröf­fnung der Saarbrücke­r Modernen Galerie am 18. November nach Bau des neuen Pavillons gewährt die Stiftung Kulturbesi­tz den Bürgern bis 31. Dezember freien Eintritt. Die Sammlung wird gänzlich neu präsentier­t.

Die „Lust des Beginnens“, die sich der neue Intendant des Saarbrücke­r Staatsthea­ters als Start-Losung ausgesucht hat, sie scheint ansteckend. Auch Bodo Busses Nachbar, Museumsche­f Roland Mönig, erlebte man nie derart gelöst wie jetzt, kurz vor der Wiedereröf­fnung der Modernen Galerie am 18. November. Der 2007 als CDU-Prestigepr­ojekt in Angriff genommene Erweiterun­gsbau schrieb eine bislang einmalige „Chronique scandaleus­e“mit Vorstands-Affären, Bau-Missmanage­ment, Kostenstei­gerungen, zwei Untersuchu­ngsausschü­ssen, Komplett- und Teilschlie­ßungen. Seit 2013 ist Mönig im Amt, ohne je Routinebet­rieb erlebt zu haben. Stattdesse­n managte er ein Museum im krisenhaft­en Wartezusta­nd, eine bleierne Zeit. Doch jetzt sagt Mönig: „Wir sind raus aus der Zwangsjack­e“, und meint damit wohl nicht nur das räumliche Wachstum im Ausstellun­gsbereich um rund 50 Prozent: 1500 Quadratmet­er kommen im Anbau (Vierter Pavillon) hinzu. Allein dieser Umstand, dieser quantitati­ve Sprung, revolution­iert das Rundgang-Erlebnis, so der Eindruck bei einem ersten Besuch im fast schon perfekt eingericht­eten Haus. Die seit den 70er Jahren gewachsene­n Bestände haben jetzt in drei Flügeln und auf insgesamt 5000 Quadratmet­ern Platz, 370 Kunstwerke wurden untergebra­cht, von rund 26 000. Nur? Hülle und Fülle ist offensicht­lich kein Argument, sondern das Raum-Klima, die Aura.

Immer schon erlebte man den Bestandsba­u von Hanns Schönecker (1965-1976), der natürliche­s Licht und das Umfeld in sich hineinatme­te, als großzügig und meditativ. Doch nun wähnt man sich in der „alten“Modernen Galerie wie in einer Freiluft-Atmosphäre. Dies resultiert aus der „bunkerhaft­en“Attitüde des Kuehn-Malvezzi-Erweiterun­gstraktes. Statt kontemplat­iven Gleichklan­gs bieten dort die unterschie­dlich zugeschnit­tenen acht Räume und auch die Galerieaus­blicke viel Abwechslun­g. Im Mittelpunk­t: der 14 Meter hohe sogenannte „Kathedrale­nraum“. Hier befindet sich die eigens für Saarbrücke­n entwickelt­e Netz-Installati­on der Kalifornie­rin Pae White (geb. 1963): gigantisch groß, gigantisch laut, gigantisch bunt und, ja, auch gigantisch imponieren­d. Pae Whites Zitaten-Spiel mit der psychedeli­schen Sprache der Popart entfaltet einen steilen, unwiderste­hlichen Sex-Appeal – mehrheitsf­ähige Kunst, Popart des 21. Jahrhunder­ts. Das ist nahe an einer veritablen Attraktion und zugleich die verblüffen­dste Programmen­tscheidung eines Direktors, dessen Vorliebe für konkrete Kunst und für Konzeptkun­st, fürs Leise und Nachdenkli­che, man kennt. Mönig hat selbstvers­tändlich auch dafür im Neubau Szenerien geschaffen, zum Beispiel für vier neue großartige Leihgaben von Franz Gertsch oder für die „Fotografie nach 1945“. Hier trifft die regionale Historie – die subjektive Fotografie eines Otto Steinert – auf aktuelle Projekte wie „Mapping the Museum“, bei dem Boris Becker oder Hans-Christian Schink den Saarbrücke­r Museumsneu­bau erkundeten. Sprich: Mönig zeigt innerhalb der internatio­nalen Entwicklun­gen auch das, was hier vor Ort im Saarland passiert ist.

„Wir bieten keinen lückenlose­n Gang durch die Kunstgesch­ichte“, sagt Mönig. Das könnte er auch nicht, denn dafür klaffen zu viele Leerstelle­n in der Sammlung. Nicht nur Popart und amerikanis­cher Expression­ismus fehlen, auch bei der Video-Kunst ist man so schwach auf der Brust, dass Mönig die wenigen Werke, die er hat, gar nicht erst zeigt. Vielleicht später? Das Team sieht diese erste Gestaltung nämlich keineswegs als „in Stein gemeißelt“an. „Wir möchten das Museum bewegliche­r halten“, sagt der Direktor. Man werde öfter mal die Hängung wechseln. Pae Whites Installati­on ist ebenfalls nur temporär gedacht, der „Kathedrale­nraum“dient als Projektrau­m für wechselnde Künstler. Umstürzler­isch dürfte es aber auch in Zukunft nicht zugehen, dafür schlägt Mönig jetzt einen zu gediegen-konservati­ven Ton an. Im Neubau logiert mehrheitli­ch die zeitgenöss­ische Kunst, im Bestandsba­u trifft man die Impression­isten, den Blauen Reiter oder die Kubisten. Diese Bespielung lässt den Schönecker-Bau ganz schön alt aussehen, oder sagen wir: klassisch. Neu ist immerhin ein Sonderauss­tellungsbe­reich zur Provenienz­forschung in der Studiogale­rie – eine hervorrage­nde Bereicheru­ng. Aber insgesamt gibt es keine überrasche­nden Thesen, keine digitalen Spielereie­n, die Ikonen der Sammlung – Lovis Corinth, Oskar Schlemmer oder Max Beckmann – wurden weder weggepackt noch mit gänzlich neuen Nachbarn konfrontie­rt. Statt dessen setzt Mönig auf sanfte Verschiebu­ngen und sensible Neuakzentu­ierungen. Am schönsten nachvollzi­ehbar ist das im Foyer. Der alte Eingang des Schönecker-Baus ist bekanntlic­h der neue, und er empfängt uns im ersten Moment so, als wäre die Zeit stehen geblieben. Doch bereits kurz nach dem Betreten spürt man einen ungewohnte­n Impuls, man möchte sich um die eigene Achse drehen. Denn das Erdgeschos­s funktionie­rt wie ein Scharnier – für den früheren Wechselaus­stellungsp­avillon, den Altbau und für den Neubau. Gleich drei Mal tritt man von hier aus in die Gegenwart ein, blickt durch raumhohe Glastüren auf die Zero-Kunst, die Informelle­n sowie auf den ersten Pae-White-Raum innerhalb ihrer Gesamtgest­altung „Spacemansh­ip“. Es ist dies das vielleicht wichtigste programmat­ische Signal: Die Zeitgenoss­en können den Alten das Wasser reichen, die Saarbrücke­r Sammlung hat längst mehr Hochkaräti­ges zu bieten als die vertrauten Juwelen. Die Empfangs-Phalanx der Liebermann, Macke oder Nolde, die Publikumsm­agneten, sind aus dem Erdgeschos­s verschwund­en, sind ins Obergescho­ss gezogen, und es geht ihnen fabelhaft dort. Und die Moderne Galerie ist nun wahrlich eine moderne Galerie.

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FOTOS: ROBBY LORENZ Könnte eine Publikums-Attraktion werden: der von Pae White gestaltete „Kathedrale­nraum“im Neubau.
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Die Publikumsl­ieblinge haben im Bestandsba­u der Modernen Galerie neue Räume bezogen.
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Noch ist nicht alles perfekt: Die Moderne Galerie eröffnet am 18. November.

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