Spaniens Justiz befeuert Kataloniens Separatisten
Kataloniens Ex-Regierungschef Puigdemont hat sich in Belgien gestellt. Doch das spanische Vorgehen gegen ihn gibt seiner Bewegung eher Aufwind.
(dpa) Carmen Lamela ist beileibe keine Sympathisantin der Unabhängigkeitsbewegung der Region Katalonien. Mit ihrer Entscheidung, zahlreiche Politiker der entmachteten separatistischen Regionalregierung hinter Gitter zu bringen, hat die Richterin am Staatsgericht in Madrid aber nach Meinung vieler unabhängiger Kommentatoren den Sezessionisten neue Flügel verliehen. „Lamela hat Zehntausende, nein, Hunderttausende neue Separatisten produziert“, meinte der Schriftsteller Carlos Quílez – ein energischer Antiseparatist.
In die gleiche Kerbe schlagen dieser Tage in Spanien viele. Wie Antonio García, politischer Starmoderator des TV-Senders „La Sexta“. Dass acht Regionalpolitiker – darunter der abgesetzte Vizeregierungschef Oriol Junqueras – seit Donnerstag in U-Haft sitzen, habe in Katalonien auch unter Nicht-Separatisten „große Empörung ausgelöst“. García spricht von einem „sozialen Erdbeben“.
Dabei war Ex-Regionalpräsident Carles Puigdemont, als García diese Worte aussprach, noch auf freiem Fuß. Mit vier Ex-Ministern hatte sich der 54-Jährige rechtzeitig nach Brüssel abgesetzt. Anders als Junqueras & Co. leisteten sie einer Vorladung der Richterin nicht Folge. Da Lamela daraufhin aber einen Europäischen Haftbefehl erließ, stellten sich die fünf Politiker gestern der belgischen Polizei.
Das Bild einer kompletten, vom Volk gewählten Regierung hinter Gittern könnte nun noch mehr Wasser auf die Mühlen der Unabhängigkeitsbewegung sein – vor allem mit Blick auf die von Madrid für den 21. Dezember einberufenen Neuwahlen.
Die Zeitung „El Periódico“bezeichnete die Beschlüsse von Lamela als „eine Aktion, die ebenso blöd wie demütigend (für die Katalanen) ist“. In der Tat: Als Ministerpräsident Die „El Periódico“zu den Haftbefehlen gegen die Separatisten
Mariano Rajoy die Regierung Puigdemots vor einer Woche absetzte und Katalonien unter Zwangsverwaltung stellte, blieben die erwarteten Proteste aus. Die Separatisten schienen bezwungen und am Boden zerstört.
Doch nach der U-Haft-Anordnung mehren sich die spontanen Ablehnungsdemonstrationen. Menschen gehen zu Tausenden auf die Straßen, schlagen nachts auf Balkonen und von Fenstern aus auf leere Töpfe. Der ganz große Protest soll am nächsten Samstag stattfinden. Unter dem Motto „Freiheit für die politischen Häftlinge“riefen die Bürgerinitiative ANC, der Kulturverein Òmnium Cultural und andere Gruppen zu einer Großkundgebung auf.
Seine vorerst letzten Stunden als freier Mann nutzte Puigdemont unterdessen aus. Am Wochenende rief er auf Twitter zur Einheit „aller Demokraten auf“. Er präsentierte auch eine Internetpetition zur Bildung einer Einheitsliste der Unabhängigkeitsbefürworter zur Wahl – und nicht nur dieser. „Es ist die Zeit der Vereinigung aller Demokraten“, postete er. Nach nur einem Tag waren fast 100 000 Menschen dem Aufruf zur Unterzeichnung gefolgt.
Und nicht nur das: Podem, der regionale Ableger der linken Partei Podemos – der drittstärksten Kraft im Madrider Parlament –, der sich bisher gegen eine Trennung Kataloniens von Spanien ausgesprochen hatte, stellte nun eine Unterstützung der Separatisten bei den Dezember-Wahlen in Aussicht. Begründet wird das mit den Inhaftierungen. Auch die linke Partei ERC und die Linksradikalen der CUP schlossen am Wochenende bei Parteiversammlungen die Teilnahme an einer Einheitsliste nicht aus.
Nicht nur Experten sagen ein Wiedererstarken der Separatisten voraus – auch eine große Mehrheit der Bewohner Kataloniens. In neuen Erhebung des Meinungsforschungsinstituts GAD3 äußerten knapp 70 Prozent der Befragten die Ansicht, dass die U-Haft den sezessionistischen Parteien bei der Wahl neuen Zulauf bescheren werde.
„Eine Aktion, die ebenso blöd wie demütigend ist“.