Saarbruecker Zeitung

Vergiss nicht die Beruhigung­spillen, wenn du Glück suchst

Thomas Köcks „Jenseits von Fukuyama“gerät in der Saarbrücke­r Sparte 4 zu einer ebenso zynischen wie kurzweilig­en Abrechnung mit unserer Zeit.

- VON CHRISTOPH SCHREINER Produktion dieser Seite: Tobias Keßler Oliver Schwambach

„Jenseits von Fukuyama“ist eine zynische Abrechnung mit dem Neoliberal­ismus der 90er, taugt aber auch als desillusio­nierendes Zustandsbi­ld unseres Hier und Jetzt. Ein Paradestüc­k also für ein linkes Milieu, aber auch Nachhilfes­tunde für die weiter Fortschrit­tsoptimism­us predigende­n Kreise. Sein Autor Thomas Köck (31) hat es allen „enttäuscht­en Erwartunge­n, gebrochene­n Verspreche­n und vernichtet­en Hoffnungen der Geschichte“gewidmet. Was Luca Pauer und Thorsten Köhler, die neuen Leiter der Sparte 4, in ihrer ersten Duo-Regiearbei­t aus Köcks überborden­der dramatisch­er Vorlage machen, ist den Besuch dort allemal wert.

Köcks theatralis­che Vermissten­anzeige gesellscha­ftlichen wie privaten Glücks wird in der Sparte zu einer ziemlich kurzweilig­en Verhandlun­g elementare­r Fragen: Wie finden wir nicht-käufliches Glück? Wo haben wir den Lebenssinn nochmal versteckt? Und wieviel Vertröstun­gen und Selbstverl­eugnungen wollen wir uns noch zumuten? Köcks überladene­n, zu viele Fährten auslegende­n Dramentext gießen Pauer/Köhler in eine bemerkensw­ert bühnentaug­liche Form. Verdienter­maßen gab es dafür am Samstag ausgiebige­n Premierena­pplaus.

„Jenseits von Fukuyama“betreibt eine Dekonstruk­tion der 1992 unter dem Titel „Das Ende der Geschichte“erschienen­en, einflussre­ich gewordenen Geschichts­philosophi­e des US-Politikwis­senschaftl­ers Francis Fukuyma, die – verkürzt gesagt – den Siegeszug des westlichen Kapitalism­us unterstell­te und eine weltweite Wohlstands­verheißung postuliert­e. Fukuymas Beruhigung­spille kursiert in anderer Form heute noch, will uns Köck sagen: Und sei es, dass Angst geschürt wird, damit wir es schon als Glück empfinden, wenn es uns nicht an den Kragen geht. Wo’s mit dem Paradies nun doch nichts geworden ist, muss eben Bedürfnisr­egulierung nach unten weiter für Systemerha­lt sorgen.

Genau das dekliniert Köcks Stück durch: Drei aufstiegsw­illige Dreißiger buhlen im Hamsterrad eines privaten Glücksfors­chungsinst­ituts um die besten Karrierepl­ätze. Das ergibt eine speichelle­ckerische Dreiecksan­ordnung, in der nur einer die Assistente­nstelle von Dr. Phekta – einer versierten Ausbeuteri­n bestehende­r Abhängigke­itsverhält­nisse, der Martina Struppek die nötige Mischung aus Heimtücke und Selbstgefä­lligkeit verleiht – ergattern kann und also die Konkurrent­en ausstechen muss. Während Peer (Raimund Widra) vom Dauerspaga­t zwischen Aufrichtig­keit und Anpassung schier zerrissen wird, paart Julia (Lisa Schwindlin­g) servile Strebsamke­it mit kalkuliert­er Denunziato­n, derweil der alleinerzi­ehende Finn (Ali Berber) ein rückgratlo­ser Einschmeic­hler ist, der sich mit Antidepres­siva über Wasser hält. So nuanciert und austariert, wie dieses systemkonf­orme Trio (im bewährten Durchhalte­jargon „Bin echt durch gerade. Aber hey, es macht echt Spaß“) verkörpert wird von Widra (sein komödianti­sches Talent und Ausdrucksr­epertoire ist enorm), Schwindlin­g (der alles Aufgesetzt­e fremd ist) und Berber (ein Meister verhaltend­en Spiels), ist das schon die halbe Abendmiete. Umso mehr, weil die Regie die Räume geschickt ausnutzt (Bühnenbild: Justus Saretz), vor und hinterm Vorhang spielen lässt und mittels Videoproje­ktionen (Dominik Cermann/Leonard Koch) einen sechsstimm­igen „Chor der kaputten Erwartunge­n“aus Laiendarst­ellern einspielt, der seine Sache gut und deutlich macht, dass mit der „kritischen Masse“heute auch kein Staat mehr zu machen ist.

Damit aber wären wir bei den kompositor­ischen Schwächen des Stücks, an denen auch die Inszenieru­ng nicht vorbeikomm­t. Dass das Glücksinst­itut zugleich ein Überwachun­gssystem darstellt, das im Stil von Ex-Kanzler Schröders herbeiziti­ertem „Fordern und Fördern“systemregu­lierend wirken soll, mag als Zuspitzung noch angehen. Genauso wie der Plot-Katalysato­r, dass Institutsd­aten von einem der drei „Assistenzt­rottel“geleakt wurden, was Intrigen wie Verdächtig­ungen begünstigt. Dass zuletzt aber „die Märkte kollabiere­n“, ein wütender Mob in die hermetisch­e Institutsw­elt eindringt und die Karten des Trios neu gemischt werden, ist des Guten dann doch zu viel. Nicht zu reden von dem finalen, großen Entschuldi­gungs-Chor, der die im Dienst von Fukuymas Geschichts­klitterung ausgesperr­te Realität („die Kollateral­schäden der freien Marktwirts­chaft“) durch die Hintertür wieder hereinläss­t. Was der Abrundung dienen soll, mündet da eher in Beliebigke­it.

Nächste Termine: 8., 10., 16. und 30. 11.

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FOTO: MARTIN KAUFHOLD Szene mit Martina Struppek, Ali Berber, Raimund Widra.

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