Vergiss nicht die Beruhigungspillen, wenn du Glück suchst
Thomas Köcks „Jenseits von Fukuyama“gerät in der Saarbrücker Sparte 4 zu einer ebenso zynischen wie kurzweiligen Abrechnung mit unserer Zeit.
„Jenseits von Fukuyama“ist eine zynische Abrechnung mit dem Neoliberalismus der 90er, taugt aber auch als desillusionierendes Zustandsbild unseres Hier und Jetzt. Ein Paradestück also für ein linkes Milieu, aber auch Nachhilfestunde für die weiter Fortschrittsoptimismus predigenden Kreise. Sein Autor Thomas Köck (31) hat es allen „enttäuschten Erwartungen, gebrochenen Versprechen und vernichteten Hoffnungen der Geschichte“gewidmet. Was Luca Pauer und Thorsten Köhler, die neuen Leiter der Sparte 4, in ihrer ersten Duo-Regiearbeit aus Köcks überbordender dramatischer Vorlage machen, ist den Besuch dort allemal wert.
Köcks theatralische Vermisstenanzeige gesellschaftlichen wie privaten Glücks wird in der Sparte zu einer ziemlich kurzweiligen Verhandlung elementarer Fragen: Wie finden wir nicht-käufliches Glück? Wo haben wir den Lebenssinn nochmal versteckt? Und wieviel Vertröstungen und Selbstverleugnungen wollen wir uns noch zumuten? Köcks überladenen, zu viele Fährten auslegenden Dramentext gießen Pauer/Köhler in eine bemerkenswert bühnentaugliche Form. Verdientermaßen gab es dafür am Samstag ausgiebigen Premierenapplaus.
„Jenseits von Fukuyama“betreibt eine Dekonstruktion der 1992 unter dem Titel „Das Ende der Geschichte“erschienenen, einflussreich gewordenen Geschichtsphilosophie des US-Politikwissenschaftlers Francis Fukuyma, die – verkürzt gesagt – den Siegeszug des westlichen Kapitalismus unterstellte und eine weltweite Wohlstandsverheißung postulierte. Fukuymas Beruhigungspille kursiert in anderer Form heute noch, will uns Köck sagen: Und sei es, dass Angst geschürt wird, damit wir es schon als Glück empfinden, wenn es uns nicht an den Kragen geht. Wo’s mit dem Paradies nun doch nichts geworden ist, muss eben Bedürfnisregulierung nach unten weiter für Systemerhalt sorgen.
Genau das dekliniert Köcks Stück durch: Drei aufstiegswillige Dreißiger buhlen im Hamsterrad eines privaten Glücksforschungsinstituts um die besten Karriereplätze. Das ergibt eine speichelleckerische Dreiecksanordnung, in der nur einer die Assistentenstelle von Dr. Phekta – einer versierten Ausbeuterin bestehender Abhängigkeitsverhältnisse, der Martina Struppek die nötige Mischung aus Heimtücke und Selbstgefälligkeit verleiht – ergattern kann und also die Konkurrenten ausstechen muss. Während Peer (Raimund Widra) vom Dauerspagat zwischen Aufrichtigkeit und Anpassung schier zerrissen wird, paart Julia (Lisa Schwindling) servile Strebsamkeit mit kalkulierter Denunziaton, derweil der alleinerziehende Finn (Ali Berber) ein rückgratloser Einschmeichler ist, der sich mit Antidepressiva über Wasser hält. So nuanciert und austariert, wie dieses systemkonforme Trio (im bewährten Durchhaltejargon „Bin echt durch gerade. Aber hey, es macht echt Spaß“) verkörpert wird von Widra (sein komödiantisches Talent und Ausdrucksrepertoire ist enorm), Schwindling (der alles Aufgesetzte fremd ist) und Berber (ein Meister verhaltenden Spiels), ist das schon die halbe Abendmiete. Umso mehr, weil die Regie die Räume geschickt ausnutzt (Bühnenbild: Justus Saretz), vor und hinterm Vorhang spielen lässt und mittels Videoprojektionen (Dominik Cermann/Leonard Koch) einen sechsstimmigen „Chor der kaputten Erwartungen“aus Laiendarstellern einspielt, der seine Sache gut und deutlich macht, dass mit der „kritischen Masse“heute auch kein Staat mehr zu machen ist.
Damit aber wären wir bei den kompositorischen Schwächen des Stücks, an denen auch die Inszenierung nicht vorbeikommt. Dass das Glücksinstitut zugleich ein Überwachungssystem darstellt, das im Stil von Ex-Kanzler Schröders herbeizitiertem „Fordern und Fördern“systemregulierend wirken soll, mag als Zuspitzung noch angehen. Genauso wie der Plot-Katalysator, dass Institutsdaten von einem der drei „Assistenztrottel“geleakt wurden, was Intrigen wie Verdächtigungen begünstigt. Dass zuletzt aber „die Märkte kollabieren“, ein wütender Mob in die hermetische Institutswelt eindringt und die Karten des Trios neu gemischt werden, ist des Guten dann doch zu viel. Nicht zu reden von dem finalen, großen Entschuldigungs-Chor, der die im Dienst von Fukuymas Geschichtsklitterung ausgesperrte Realität („die Kollateralschäden der freien Marktwirtschaft“) durch die Hintertür wieder hereinlässt. Was der Abrundung dienen soll, mündet da eher in Beliebigkeit.
Nächste Termine: 8., 10., 16. und 30. 11.