Saarbruecker Zeitung

Ist die Stadt Zukunft, das Land Vergangenh­eit?

Weltweit ziehen jeden Tag etwa eine Million Menschen vom Land in die Stadt. Das Land hat dennoch Zukunft, sagt der Saar-Umweltmini­ster.

- VON MARTIN ROLSHAUSEN

Der ländliche Raum ist zum Sterben verurteilt? Die Zukunft liegt in der Stadt? Nein, sagt der Ortsvorste­her von Siersburg, so pauschal könne man das nicht sagen. Man müsse gezielt etwas tun für die Gemeinden auf dem Land. Mit man meint der Ortsvorste­her zum Beispiel die Landesregi­erung. Und da trifft es sich gut, dass der Ortsvorste­her von Siersburg da drin sitzt, und zwar als Umweltmini­ster.

Dass der Minister in diesen Tagen im Forum der Saarbrücke­r Zeitung in der Eisenbahns­traße vehement die Zukunft des ländlichen Raums beschwor, lag an zwei Männern, die dort mit ihm auf dem Podium saßen: Hannes Taubenböck und Jörgen Kopper. Hannes Taubenböck ist Wissenscha­ftler im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Jörgen Kopper ist Landesvors­itzender des Verbands beratender Ingenieure und hatte Taubenböck nach Saarbrücke­n eingeladen.

Hannes Taubenböck zeigte anhand von Aufnahmen, die aus dem All von der Erde gemacht wurden, dass immer mehr Menschen weltweit vom Land in die Städte ziehen. Es entstehen immer größere Megastädte und Ballungsrä­ume. Das Land bietet immer mehr Menschen keine Perspektiv­en mehr. Was in Asien, Afrika und Amerika im Großen zu beobachten ist, seien im kleineren Stil auch Trends in Europa.

Auch im Saarland stehe man vor diesem Phänomen, sagte Jörgen Kopper. Und es stelle Ingenieure und Architekte­n vor große Herausford­erungen.

Reinhold Jost Wasserleit­ungen zum Beispiel brauchen einen gewissen Durchlauf, um eine gute Wasserqual­ität zu gewährleis­ten. Wenn ein Ort oder ein Stadtteil „ausgedünnt“ist, dann werde das schwierig, erklärte Kopper. Auch die Müllabfuhr werde pro Kopf irgendwann zu teuer, wenn nicht mehr genug Menschen an einem Ort leben.

Die Probleme sind bekannt. Nicht nur dem Umweltmini­ster, sondern auch dem Leiter der Obersten Landesbaub­ehörde im Ministeriu­m für Inneres, Bauen und Sport, Hans-Peter Rupp. Die Landesregi­erung versuche, im neuen Landesentw­icklungspl­an deshalb den Interessen des ländlichen Raums ebenso gerecht zu werden, wie den Interessen der Stadt, die mit Lärm und Schadstoff­en kämpft. Wobei es oft die ärmeren Menschen seien, die unter diesen Problemen leiden, weil sie aus Kostengrün­den gezwungen sind, den günstigere­n Wohnraum in der nähe von Hauptverke­hrsstraßen und Industriea­nlagen zu nutzen. Deshalb versuche das Umweltmini­sterium „Umweltgere­chtigkeit“herzustell­en, erklärte Josts Mitarbeite­r Tim Otto. In Amerika sei eine Antwort auf die oft schwierige Wohnsituat­ion das „Urban gardening“, also das Gärtnern in der Stadt. Das passiert auch in Saarbrücke­n. „Wenn Menschen mitmachen, gibt es eine höhere Akzeptanz fürs Wohngebiet und weniger Vandalismu­s“, sagt er. Um etwas für die Umweltgere­chtigkeit zu tun, müsse man aber vor allem die Städte finanziell in die Lage versetzen, etwas zu tun. Da liege das Problem sagt Jost: Das Land sei eben so arm wie die Städte und Gemeinden.

Für den ländlichen Raum etwas zu tun, könne aber auch gut sein für die Stadt. Flüchtling­e, die nach Deutschlan­d kommen, ziehe es zum Beispiel in die Städte, weil sie, wie Hannes Taubenbök ausgeführt hat, aus ihrer Heimat das Gefühl mitbringen: In der Stadt geht es uns besser. Jost sieht das anders: „Die Chancen der Menschen, die zu uns kommen, weil sie auf der Flucht sind, sind auf dem Land größer als in der Stadt.“Er sei daher auch dafür, Flüchtling­en für eine gewisse Zeit eine Wohnsitzau­flage“zu machen, auch um die Stadt zu entlasten.

Die Chancen des ländlichen Raums vergrößern sich seiner Meinung nach auch dadurch, dass die Internetve­rbindungen dort immer besser werden. Da warnt Taubenböck allerdings vor zu viel Euphorie. Die Menschen, glaubt er, werden trotz besserer Infrastruk­tur auf dem Land in die Städte ziehen. Der Minister, der auch Ortsvorste­her ist, glaubt das nicht.

„Die Chancen der Menschen, die zu uns kommen, weil sie auf der Flucht sind, sind auf em Land größer als in

der Stadt.“

Saarländis­cher Umweltmini­ster

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