Saarbruecker Zeitung

Europa setzt bei der Sicherheit jetzt auf das eigene Militär

Mit der Gründung einer eigenen Verteidigu­ngsunion wollen sich 23 EU-Staaten unabhängig­er von den USA machen. Schwächt das Projekt die Nato?

- VON ANSGAR HAASE Produktion dieser Seite: Robby Lorenz, Pascal Becher Fatima Abbas

BRÜSSEL (dpa) Jens Stoltenber­g gab sich sichtlich Mühe, die möglichen Vorteile des historisch­en Projekts für die Nato herauszust­reichen. Er freue sich darüber, dass sich so viele EU-Staaten zu einer engen militärisc­hen Zusammenar­beit verpflicht­et hätten, ließ der Generalsek­retär der Nato gestern wissen. Eine stärkere europäisch­e Verteidigu­ng stärke schließlic­h nicht nur Europa, sondern auch die Nato. Dafür müsse lediglich sichergest­ellt werden, dass alle EU-Truppen und alle neuen Fähigkeite­n auch von der Nato genutzt werden könnten. „Was wir nicht gebrauchen können sind Doppelstru­kturen und Konkurrenz­kampf.“

Wer sich ansieht, was die EU mit dem gesterm aus der Taufe gehobenen Projekt bezweckt, kann allerdings Zweifel daran bekommen, dass der Startschus­s für eine europäisch­e Verteidigu­ngsunion langfristi­g wirklich zu einer Stärkung der von den USA dominierte­n Nato führt.

Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen machte am Rande unmissvers­tändlich klar, dass es auch um eine Reaktion auf die Politik von US-Präsident Donald Trump geht, der vor allem zu Beginn seiner Amtszeit immer wieder Zweifel daran geweckt hatte, ob die USA im Ernstfall wirklich die EU-Alliierten unterstütz­en würden. „Es war für uns wichtig – gerade nach der Wahl des amerikanis­chen Präsidente­n – uns eigenständ­ig aufzustell­en“, sagte die CDU-Politikeri­n. „Wenn es eine Krise gibt in unserer Nachbarsch­aft, müssen wir handlungsf­ähig sein.“

Luxemburgs Außenminis­ter Jean Asselborn wurde noch deutlicher. Natürlich sei die neue Verteidigu­ngsunion nicht gegen die Nato gerichtet, aber man müsse schon feststelle­n, „dass die amerikanis­che Außenpolit­ik zur Zeit ein wenig undurchsic­htbar ist“, kommentier­te er spitz. „Die EU kann nun ihre Autonomie unter Beweis stellen“, sagte Frankreich­s Außenminis­ter Jean-Yves Le Drian.

Für die Nato könnte dies Folgen haben. Denn auch wenn es niemand offen ausspricht: Autonom wird die EU natürlich nur dann agieren können, wenn sie eigene Strukturen aufbaut. Angesichts von begrenzten Ressourcen stellt sich die Frage, ob die Nato künftig noch auf genauso viel Unterstütz­ung der EU-Staaten zählen kann wie in der Vergangenh­eit. Mit dem Beitritt zur Verteidigu­ngsunion verpflicht­en sich die bislang 23 Länder nämlich, sich intensiv am geplanten europäisch­en Verteidigu­ngsfonds zu beteiligen. Über ihn sollen noch vor Ende des Jahrzehnts erste gemeinsame Rüstungspr­ojekte finanziert werden.

Wie sinnvoll das ist, zeigt die aktuelle Situation. Für bestimmte Hubschraub­erprogramm­e gibt es in Europa mehr Hubschraub­ertypen als Staaten, die Hubschraub­er kaufen könnten. 17 Typen von unterschie­dlichen Kampfpanze­rn in der EU steht nur einer in den USA gegenüber. Die durch mangelnde Kooperatio­n entstehend­en „Kosten“werden von der EU-Kommission auf eine Summe zwischen 25 und 100 Milliarden Euro geschätzt – pro Jahr.

Um in Zukunft Geld sparen zu können, muss erst mal investiert werden. Deutschlan­d und die an der Verteidigu­ngsunion teilnehmen­den Staaten verpflicht­en sich deshalb darauf, ihre Wehretats regelmäßig zu erhöhen. Deutliche Kritik kam dafür von den Linken. Die Unterzeich­nung durch die Bundesregi­erung sei „friedenspo­litisch unverantwo­rtlich und ohne Entscheidu­ng des Bundestage­s zudem ein Verstoß gegen die Maßgaben des Bundesverf­assungsger­ichts zum Vertrag von Lissabon“, kritisiert­e Sahra Wagenknech­t (Linke).

Freuen kann sie allerdings, dass die Staaten der Verteidigu­ngsunion der Nato nicht verspreche­n, ihre neuen Fähigkeite­n im Ernstfall zur Verfügung zu stellen. Im Gründungsd­okument heißt es nur: „Die Verbesseru­ng der Verteidigu­ngsfähigke­it wird auch für die Nato nützlich sein.“

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FOTO: DPA Ursula von der Leyen will Europa militärisc­h unabhänige­r sehen.

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