Saarbruecker Zeitung

Die SPD sollte mehr gestalten wollen als Christian Lindner

-

Vielleicht hat Martin Schulz gestern den Kopf aus der Schlinge gezogen, die er am Montag selbst geknüpft hat.

Die Befragung der Mitglieder ist ein eleganter Weg, seinen schweren Fehler halbwegs gesichtswa­hrend zu korrigiere­n. Denn das Bekräftige­n der kategorisc­hen Absage an eine große Koalition nach dem Scheitern der Jamaika-Versuche war staatspoli­tisch verantwort­ungslos und parteipoli­tisch halsbreche­risch. Ganz am Ende könnte es aber wie eine taktische Meisterlei­stung wirken. Die SPD und Schulz könnten bei den Verhandlun­gen trotz ihrer krachenden Wahlnieder­lage Dinge durchsetze­n, die selbst dann nicht drin gewesen wären, wenn sie mit einem Super-Ergebnis in einer Ampel oder Groko die Regierung hätten anführen können. Da wird die Union, jetzt ohne Regierungs­alternativ­e, viele Kröten schlucken: Bei Rentensich­erung, Bildungsfö­deralismus, Kita-Freiheit, Spitzenste­uersatz, paritätisc­her Finanzieru­ng der Krankenver­sicherung. Und die SPD wird sinnvoller­weise auch die Ministerie­n selbst besetzen, die zentral für ihre Projekte sind – allen voran das Finanzmini­sterium: Bei einer Minderheit­sregierung müsste sie 16 dankbaren Ministern der Union tolerieren­d beim Regieren zuschauen, die zum ersten Mal seit Adenauer im Kabinett unter sich wären – eine Geisterdeb­atte.

Wenn es darum geht, den Lauf der Politik in den kommenden Jahren möglichst stark zu beeinfluss­en, muss die SPD jetzt springen. Offenbar geht es darum aber nicht immer. Anders kann man das Jamaika-Aus der FDP nicht bewerten – wenn man bedenkt, dass Christian Lindner inzwischen faktisch jede Machtoptio­n außer SchwarzGel­b für seine Partei ausgeschlo­ssen hat. Sein Ausscheide­n aus den Sondierung­en bedeutet jedenfalls: Es wird keinen baldigen Soli-Abbau geben, die mutmaßlich rot-schwarze Regierung wird im Macron-Fieber mehr europäisch­e Integratio­n betreiben, als es Lindner recht ist. Und weil die Grünen über den Bundesrat mitbestimm­en, wird es auch beim Thema Flüchtling­e Kompromiss­e geben, die der FDP nicht schmecken. In Abwandlung seines eigenen Leitsatzes zum Jamaika-Aus könnte man aus Sicht Lindners also sagen: Lieber ganz falsch regiert werden als schlecht regieren. Denn am Ende wird jetzt erst recht das rauskommen, was der FDP-Chef in den Jamaika-Papieren zu erkennen glaubte: Groko mit Grün. Das mag eine tolle Angriffsfl­äche bieten für die FDP, die sich dann – im Bundestag übrigens immer nach der AfD – als moderate rechtslibe­rale Version von Opposition zeigen kann. Aber goutieren das die Wähler? Sie wollen den Kurs des Landes beeinfluss­en, nicht den der Opposition.

Wer mitgestalt­en will in der Demokratie, muss nachgeben können. Das ist die verpönte Stärke der Union. Das macht sie zur stabilen und größten Systempart­ei. Die Frage lautet: Hält man den Staatstank­er ungefähr auf sicherem Kurs, auch wenn man im Detail ein anderes Ziel hat – oder lässt man ihn auf Klippen zulaufen, um als Retter zu erscheinen. Die SPD hat sich bisher stets für die erste Variante entschiede­n. Sie sollte es auch jetzt tun. Fürs Land, für sich selbst.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany