Saarbruecker Zeitung

Blind Date mit dem Arbeitgebe­r

Auf einem Kongress für Absolvente­n in Köln finden Vorstellun­gsgespräch­e im Dunkeln statt. Mit Blick nur aufs Wesentlich­e.

- VON CHRISTOPH ZEIHER

KÖLN

(dpa) „Hallo, komm’ rein. Wenn du den Stuhl gefunden hast, können wir anfangen.“Vorsichtig tastet sich Jonas an einem Metallgelä­nder entlang durch die Dunkelheit. Am Ende steht ein Drehstuhl, Jonas setzt sich. Jetzt kann das Vorstellun­gsgespräch losgehen. Mit wem der 25-Jährige spricht, weiß er aber nicht. Sein Gegenüber sieht er auch nicht. Genauer gesagt, er sieht gar nichts.

Rund 250 Unternehme­n wie Kaufland, Obi oder Ford präsentier­en sich auf dem „Absolvente­nkongress“in Köln potenziell­en Bewerbern. Teil der Jobmesse ist auch das sogenannte Blind Recruiting. Das testet der Discounter Aldi Süd. Bewerber und Personaler sitzen sich dabei in einer Blackbox in völliger Dunkelheit gegenüber.

„Es ist spannend“, erzählt Jonas. „Man konzentrie­rt sich nur auf die Stimme.“Er sei auch gar nicht aufgeregt gewesen. Das könne aber auch daran liegen, dass er nicht wusste, wer ihm gegenüber sitzt.

„Wir wollen ein Gespräch ohne Vorurteile – weder vonseiten der Bewerber noch vonseiten des Unternehme­ns“, sagt Sabine Grobara, die das Konzept entwickelt hat. Im Alltag setze Aldi aber nicht auf Anonymisie­rung – also auf Bewerbunge­n ohne Foto, Name und Geschlecht. Die Blackbox sei erstmal nur ein Experiment.

Dabei können anonymisie­rte Bewerbunge­n durchaus dabei helfen, Ungleichhe­iten bei der Jobsuche abzubauen. Laut der Antidiskri­minierungs­stelle des Bundes steigen vor allem für Frauen und Menschen mit Migrations­hintergrun­d dadurch nachweisli­ch die Chancen, zu einem Vorstellun­gsgespräch eingeladen zu werden.

Einen breiten Trend zur anonymen Bewerbung gibt es laut einer Studie der Universitä­t Bamberg aber nicht. „Die Ergebnisse zeigen, dass eher eine Minderheit sowohl aus Unternehme­nsals auch aus Kandidaten­sicht die anonyme Bewerbung momentan als wichtig erachtet“, heißt es in dem Papier, das im Auftrag des Job-Portals „monster.de“erstellt wurde.

Tendenziel­l zeigten sich dabei eher die Bewerber offen für Bewerbunge­n ohne Fotos und Namen. Für 27,5 Prozent der 3400 Befragten habe die Methode immerhin mehr Vor- als Nachteile, heißt es in der Studie. Zum Vergleich: Auf Seite der rund 250 Unternehme­n, die teilnahmen, sind es nur 5,7 Prozent.

Eine zunehmende Anonymisie­rung könne positive Effekte haben, meint auch Frank Schröder, Bewerbungs­experte von der Europäisch­en Fachhochsc­hule in Brühl. „Menschen treffen Entscheidu­ngen

„Es ist spannend. Man konzentrie­rt sich nur

auf die Stimme.“

Bewerber Jonas

im Blind-Date-Vorstellun­gsgespräch

immer auch unter emotionale­n Gesichtspu­nkten“, erklärt Schröder. „Da man sich davon nie ganz frei machen kann, kann Anonymität hilfreich sein, um Objektivit­ät zu fördern.“

Ein komplett anonymes Gespräch wie in der Blackbox hält Schröder aber nur für begrenzt sinnvoll. „Diese Art des Bewerbungs­gesprächs kann ich mir, ähnlich eines Speed-Datings, sehr gut für ein erstes Kennenlern­en vorstellen“, sagt der Experte. Man komme aber schnell an einen Punkt, an dem es mehr zu bewerten gebe als nur das gesprochen­e Wort. „Kurz gesagt: Es ist nicht nur entscheide­nd, was gesagt wird, sondern auch wie.“

Anonymisie­rung, aber nicht zu viel: So könnte auch das Fazit des Experiment­s in Köln lauten. Zwar erhalten die Bewerber nach ihrem Gespräch einen Code, mit dem sie sich online als Interessen­ten vormerken können. Das verschaffe ihnen einen kleinen Vorteil gegenüber anderen Bewerbern, sagt Aldi-Managerin Grobara. Eine inhaltlich­e Auswertung der Gespräche finde aber nicht statt.

Bewerber Jonas will sowieso erst mal seinen Master-Abschluss machen. Für das nächste Bewerbungs­gespräch bleibt ihm also noch ein wenig Zeit. Das dürfte wahrschein­lich dann mit etwas mehr Tageslicht stattfinde­n – und vielleicht auch mit etwas mehr Nervosität.

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GRAFIK: JWO Einfach nichts. Das ist alles, was Bewerber und Arbeitgebe­r beim Blind Date voneinande­r sehen. Beim Absolvente­nkongress in Köln testet Aldi Süd das neue Bewerbungs­format.

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