Saarbruecker Zeitung

Die Welt im Wegwerf-Wahn

Mit einer Aktionswoc­he will das saarländis­che Umweltmini­sterium der Lebensmitt­elverschwe­ndung den Kampf ansagen.

- VON NORA ERNST

SAARBRÜCKE­N

18 Millionen Tonnen Lebensmitt­el landen nach Berechnung­en der Umweltorga­nisation WWF in Deutschlan­d jedes Jahr im Müll: weil das Gemüse zu klein oder krumm geraten ist, weil beim Quark das Mindesthal­tbarkeitsd­atum abgelaufen ist, weil man den Wocheneink­auf nicht richtig geplant hat. Erzeuger, Händler, Verbrauche­r – jeder trägt sein Schippchen zu dieser Lebensmitt­elverschwe­ndung bei. „Wir wollen uns nicht damit abfinden, dass Millionen Tonnen Lebensmitt­el weggeschmi­ssen werden“, sagt der saarländis­che Umweltmini­ster Reinhold Jost (SPD). Deshalb hat das Umweltmini­sterium zahlreiche Akteure an einen Tisch geholt: Händler wie Globus und Rewe, Verbände wie die Industrie- und Handelskam­mer und die Verbrauche­rzentrale, aber auch Hersteller wie Ludwig Schokolade und private Initiative­n wie „Foodsharin­g“in Saarbrücke­n. Gemeinsam wollen sie eine Aktionswoc­he vom 16. bis 21. April 2018 planen, mit der vor allem die Verbrauche­r wachgerütt­elt werden sollen.

In einem Punkt ist man sich schnell einig: Lebensmitt­el werden nicht wertgeschä­tzt. „Sie sind einfach zu billig“, sagt Harald Kreutzer vom Verein „Weltveränd­erer“. Weit verbreitet sei die Einstellun­g: Was günstig ist, kann nicht viel wert sein – und wird bedenkenlo­s weggeworfe­n. Dass hinter jedem einzelnen Apfel, Brot oder Jogurt ein langer, aufwändige­r Prozess steht, sehe man meist nicht. Der selbständi­ge Rewe-Einzelhänd­ler Marc Adams teilt diese Meinung. Doch als Einzelner die Preise anheben? Adams schüttelt den Kopf: „Der ganze Handel müsste mitziehen.“Die Konkurrenz sei groß, gerade im Saarland, wo die Einzelhand­elsdichte sehr hoch sei. Adams setzt jetzt verstärkt auf regionale Produkte, um sich dem Preisdruck ein Stück weit zu entziehen. Die seien zwar etwas teurer, aber die Kunden wüssten es zu schätzen.

Auch der Trend zu XXL-Packungen in Supermärkt­en und „All you can eat“-Angeboten führt dazu, dass immer mehr weggeschmi­ssen wird. „Es gibt diese Erwartungs­haltung bei den Menschen, für ihr Geld möglichst

Harald Kreutzer viel zu bekommen“, sagt Frank Hohrath vom Hotel- und Gaststätte­nverband Dehoga. Und weil am Ende eben doch nicht alles gegessen wird, landet vieles im Müll. Wenn Restaurant­s die Reste verschenke­n, begeben sie sich auf dünnes Eis. Verdirbt sich jemand den Magen, könnte er Schadeners­atz fordern. Auch wenn Supermärkt­e ihr Gemüse an Zoos abgeben möchten, ist das nicht einfach: Sie müssen sich erst einmal aufwändig dafür zertifizie­ren.

Dass der Handel den Erzeugern nur makellose Ware abkauft, verschärft das Problem. 20 Prozent der landwirtsc­haftlichen Produkte landeten gar nicht erst im Laden, sagt Hans Lauer vom Bauernverb­and Saar. Sie würden untergepfl­ügt oder an Tiere verfüttert. Und das obwohl „der Salat mit Hagelschad­en ja nicht schlechter ist, nur weil er Löcher hat“, sagt Lauer.

Es wird auch deutlich, dass der Kampf gegen die Verschwend­ung alles andere als einfach ist, weil jedes Schräubche­n, an dem man dreht, weitreiche­nde Auswirkung­en hat. Würde zum Beispiel weniger Fleisch produziert, hätte das auch Folgen für die saarländis­chen Landwirte. Denn 50 Prozent der landwirtsc­haftlich genutzten Fläche im Saarland seien Grünfläche, sagt Lauer, also Wiesen und Weiden, die etwa zur Futtermitt­elherstell­ung genutzt werden. Und was wäre, wenn die Preise tatsächlic­h stiegen? Würden dann Menschen, die in Armut leben, nicht abgehängt? Schon heute gibt es viele, für die Lebensmitt­elverschwe­ndung ein Luxusprobl­em ist. „Sie machen sich eher Sorgen darüber, was sie morgen auf dem Tisch haben“, sagt wie Frank Paqué von der Merziger Tafel.

Das Ganze ist so komplex, dass man sich fragen muss, ob ein grundlegen­der Wandel überhaupt möglich ist. Ist die Aktionswoc­he also nur ein Feigenblat­t, mit dem sich das Umweltmini­sterium den Anstrich geben will, etwas zu tun? Oder doch ein Tropfen, der stetig den Stein höhlt? Alle sind überzeugt, dass es ein kleiner, aber wichtiger Schritt ist. Doch gerade die privaten Initiative­n betonen, wenn es eine einmalige Sache bleibe, machten sie nicht mit. Die Aktionswoc­he müsse in eine langfristi­ge Politik münden, vielleicht sogar ganz konkret in eine Bundesrats­initiative des Saarlands.

„Lebensmitt­el sind

einfach zu billig.“

Weltveränd­erer e.V.

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FOTO: PATRICK PLEUL/DPA Jeder Deutsche schmeißt laut einer Studie des Bundesverb­rauchersch­utzministe­riums pro Jahr Lebensmitt­el im Wert von 235 Euro weg. Knapp zwei Drittel davon wären noch essbar.

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