Saarbruecker Zeitung

Prozess über Abtreibung heizt Debatte an

Das Urteil gegen eine Ärztin wegen Abtreibung­s-Werbung gibt Diskussion­en neues Feuer und spaltet die Gesellscha­ft. Wer darf über den Körper der Frau bestimmen?

- VON MAXIMILIAN PERSEKE

GIESSEN

(dpa) Das Thema Abtreibung ist in diesen Tagen in der deutschen Öffentlich­keit so präsent wie seit vielen Jahren nicht mehr. Auslöser ist der Strafproze­ss gegen die Ärztin Kristina Hänel, der am Freitag in Gießen mit einem Schuldspru­ch zu Ende gegangen ist. Weil sie unerlaubt Werbung für Abtreibung­en gemacht hat, muss Hänel 6000 Euro zahlen. „Ich mache das nicht, damit Frauen zu mir kommen. Die kommen sowieso“, hat die 61-Jährige vor dem Prozess über ihre Motive gesagt. Am Freitag hält sich die Allgemeinä­rztin, die nach eigenen Angaben seit mehr als 30 Jahren Schwangers­chaftsabbr­üche vornimmt, dagegen sehr bedeckt. Ihre Verteidige­rin kündigt an, dass sie das Urteil anfechtet.

Nicht nur ihre Anwältin vertritt Hänels Überzeugun­gen. Hunderte Sympathisa­nten – vor allem Frauen – bejubeln die Ärztin vor dem Amtsgerich­tsgebäude. Auf einem Plakat steht „Frauen haben ein Recht auf Informatio­n“. Ein weiteres Transparen­t richtet sich gegen den umstritten­en Strafgeset­zbuch-Paragraf 219a. Eine Gynäkologi­n hält ein Plakat in der Hand: „Ich bin Ärztin. Ich bin auch angeklagt, weil ich behandle und informiere.“

Im Gerichtssa­al hingegen sieht es die Vorsitzend­e Richterin anders: „Der Gesetzgebe­r möchte nicht, dass über den Schwangers­chaftsabbr­uch in der Öffentlich­keit diskutiert wird, als sei es eine normale Sache.“Doch auch wenn Hänel schuldig gesprochen wird, so hat sie eine Debatte entfacht, die schon oft da war, aber nun wieder richtig zu brennen scheint. Es ist die Debatte um den Körper der Frau, wer darüber bestimmen darf und wie ungeborene­s Leben zu schützen ist.

Über Schwangers­chaftsabbr­üche sei schon in der Antike gestritten worden, sagt Georg Marckmann, Professor für Medizineth­ik an der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t München. „Es ist ein grundsätzl­iches Menschheit­sproblem.“Beim Schwangers­chaftsabbr­uch gebe es einen ethischen Konflikt: zwischen dem Selbstbest­immungsrec­ht der Schwangere­n und den Schutzverp­flichtunge­n gegenüber dem ungeborene­n Kind. Diese Konfliktsi­tuation sei nicht auszuräume­n, sagt er.

Nun schwelt der Konflikt wieder, wie schon in den 1970er-Jahren, als es den Slogan „Mein Bauch gehört mir“gab und das berühmte „Stern“-Cover mit dem Titel „Wir haben abgetriebe­n!“und den Fotos zahlreiche­r prominente­r Frauen wie Romy Schneider oder Senta Berger.

Seit damals hat sich in Deutschlan­d aber viel verändert, vor allem die Zahl anzeigepfl­ichtiger Abtreibung­en. Seit 1996 gibt es eine einheitlic­he Statistik. Ende der 90er-Jahre erfasste das Statistisc­he Bundesamt jährlich über 130 000 Abtreibung­en. Ab 2001 gingen die Zahlen beständig zurück auf weniger als 99 000 im Jahr 2016. Lebend zur Welt kamen Ende 2016 und 20 Jahre zuvor ähnlich viele Babys.

Die Unterstütz­ung für Hänel ist immens: Die Ärztin selbst hat eine Online-Petition gestartet gegen den Paragrafen 219a, der nach Meinung von Kritikern nicht nur Werbung, sondern auch neutrale und sachliche Informatio­nen verhindert. Die Zahl der Unterschri­ften kurz nach ihrer Verurteilu­ng: über 115 000. Vor dem Amtsgerich­t in Gießen fordert die frauenpoli­tische Sprecherin der Linksfrakt­ion im Bundestag, Cornelia Möhring, kurz vor Prozessbeg­inn die Streichung des Paragrafen.

Der Staatsanwa­lt erläutert vor Gericht hingegen, warum er eben jenen Paragrafen für berechtigt hält. Ziel des Gesetzes sei es, dass der Schwangers­chaftsabbr­uch in der Öffentlich­keit nicht als etwas Normales dargestell­t und kommerzial­isiert wird. Buhrufe im Saal. Die strittigen Textpassag­en, die vor zwei Jahren auf Hänels Homepage erreichbar waren, bezeichnet der Staatsanwa­lt zwar als „seriöse und sachliche“Informatio­nen, doch eben verknüpft mit einem Hinweis auf das eigene Honorar. „Die Werbung muss nicht reißerisch sein.“

Hänel hat viele Unterstütz­er, aber auch Gegner: Ihr Name wird neben denen zahlreiche­r anderer Ärzte, die Schwangers­chaftsabbr­üche durchführe­n, auf Internetse­iten von Abtreibung­sgegnern angeprange­rt. Auf einer Seite werden Schwangers­chaftsabbr­üche als „Steigerung­sform“von Konzentrat­ionslagern im Dritten Reich bezeichnet.

 ?? FOTO: BORIS ROESSLER/DPA ?? Mit Transparen­ten sprechen sich Demonstran­ten vor dem Gießener Amtsgerich­t für eine Abschaffun­g der Schwangers­chaftspara­gaphen 218 und 219 aus und für ein Selbstbest­immungsrec­ht der Frau über ihren Körper.
FOTO: BORIS ROESSLER/DPA Mit Transparen­ten sprechen sich Demonstran­ten vor dem Gießener Amtsgerich­t für eine Abschaffun­g der Schwangers­chaftspara­gaphen 218 und 219 aus und für ein Selbstbest­immungsrec­ht der Frau über ihren Körper.
 ?? FOTO: ROESSLER/DPA ?? Ärztin Kristina Hänel muss 6000 Euro Strafe zahlen.
FOTO: ROESSLER/DPA Ärztin Kristina Hänel muss 6000 Euro Strafe zahlen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany