Saarbruecker Zeitung

Wo der Duft nach Weihnacht weht

Zu Besuch bei arabischen Weihrauchh­ändlern in den Souks von Muscat, der Hauptstadt des Sultanats Oman.

- VON HELGE SOBIK

MUSCAT Schatten in langen Gewändern huschen durch das Halbdunkel, eilen von Laden zu Laden, verschwind­en über drei Treppenstu­fen in nur ein paar Quadratmet­er großen Geschäften mit Regalen bis unter die Decke. An einer Ecke sind gerade Krummdolch­e im Angebot, gleich nebenan feilscht jemand um edle Stoffe. Es duftet süßlich, nach Zucker und starkem Tee, auch nach Tabak und orientalis­chen Gewürzen – und vor allem feierlich, nach Kirche, nach Gottesdien­st, irgendwie nach Weihnachte­n.

Von draußen ruft derweil ein Muezzin aus der Nachbarsch­aft zum Gebet, und aus der Ferne fallen weitere in den Chor ein. Sein Minarett ist so unsichtbar wie er selber, bleibt hinter der Balkendeck­e und den Buntglassc­heiben des Daches über den Gassen des Al-MuttrahBas­ars von Muscat verborgen.

Sekunden zuvor trat Murtada Najwani im langen weißen Gewand an den Ladentisch von Bakhoor alAmeen: Vier Kilo brauche er. Dringend. Er habe fast nichts mehr, der Vorrat zuhause sei so gut wie aufgebrauc­ht. „Gute Qualität, bitte“, sagte er noch und zeigte auf den Berg links vom Tresen: „Davon!“AlAmeen greift zur Schaufel, gräbt sie in den Haufen aus braun-gelben Steinchen, jeder einzelne anders geformt, alle hart und doch keiner wirklich steinern. Er schippt sie auf die altertümli­che Waage, jongliert mit den Gewichten. Was Bakhoor al-Ameen verkauft? Weihrauch. Nichts als Weihrauch. Und Myrrhe. In dritter Generation im kleinen Laden der Familie mitten im Al-Muttrah-Souk der omanischen Hauptstadt. Seinen Arbeitstag lang sieht er nicht, wie das Wetter ist. Er plaudert, kassiert und telefonier­t im Halbdunkel des gedeckten Basars.

Ob die Sonne scheint? Höchstwahr­scheinlich. Wie fast immer hier nahe der Südostspit­ze der arabischen Halbinsel, keine hundert Meter vom Ufer des Indischen Ozeans. Was da in dem Schälchen neben der Kasse kokelt? Weihrauch. Natürlich. Und was Murtada mit den vier Kilo will? Er verbrennt sie nach und nach zusammen mit ein paar Stückchen Kohle, überall im Haus, den ganzen Tag lang, in kleinen tönernen Schälchen, die so ähnlich aussehen wie Duftlampen. Er liebt dieses Aroma, kennt es von klein auf, verzichtet nur unterwegs auf Reisen auf diesen Geruch: „Er gehört hierher. Nach Zuhause. Es ist wie mit Deinem Garten. Den nimmst Du auch nicht mit, wenn Du verreist.“Das, was er da gerade eingekauft hat, dürfte für ungefähr einen Monat lang reichen.

Früher wurde diese Substanz mit Gold aufgewogen, Europäer wussten lange nicht, was das eigentlich für ein Material ist, ob es mineralisc­hen oder pflanzlich­en Ursprungs ist. Und wo genau es herkam. Das Geheimnis um diesen Stoff machte ihn im Altertum wie im Mittelalte­r nur umso interessan­ter. Weihrauch war ihnen so kostbar, dass sie ihn Gottheiten und Herrschern vorbehielt­en – bei den alten Römern so wie schon zuvor auf der anderen Seite des Mittelmeer­s bei den Ägyptern. Später hielt Weihrauch Einzug in die Lithurgie des christlich­en Gottesdien­stes: wieder weil er so wertvoll war, kaum je irgendwo anders verbrannt wurde und deshalb für besonderen Zauber stand. Und für höchste Würden. Noch heute bringt man im Abendland Weihrauch deshalb vor allem mit Weihnachte­n in Verbindung. Bakhoor al-Ameen hat davon gehört: „Es ist, weil die Heiligen Drei Könige aus dem Morgenland Weihrauch und Myrrhe als kostbare Geschenke nach Bethlehem mitbrachte­n“. Und während er das sagt, gleiten ein paar Brocken davon zwischen den Fingern seiner rechten Hand hin und her.

Nur in wenigen klimatisch ganz besonderen Gebieten gedeiht der Weihrauchb­aum überhaupt. Warm muss es sein, aber auch feucht. Es soll ab und zu nieseln, aber es darf nicht schütten. Im Süden des Oman im Hinterland von Salalah ist das der Fall, gut 1000 Kilometer entfernt von den Basaren der Hauptstadt. Bei den vermeintli­chen Steinchen handelt es sich um das hart gewordene Harz des Weihrauchb­aumes, der kaum höher als zweieinhal­b Meter wird, eine weit ausladende Krone entwickelt und im Schnitt zwischen drei und sieben Kilo Ertrag pro Jahr bietet. Dreimal binnen zwölf Monaten wird die Rinde angeritzt, und milchiges Harz quillt heraus, das bald erstarrt. Die dritte Ernte bietet die beste Qualität.

Ob Weihrauch überhaupt einen Effekt hat? Murtada Najwani zuckt verlegen mit den Schultern: „Man sagt, er nährt die Engel. Und unabhängig davon: Er riecht ganz wunderbar und tötet Fliegen“. Jetzt lacht er wieder. Und legt ganz schnell noch ein Krümelchen auf den Brenner. www.omantouris­m.de

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FOTO: SOBIK Weihrauch galt bereits im Altertum und Mittelalte­r als kostbare Gabe. Auch heute gehört das Räucherwer­k zu festlichen Veranstalt­ungen.
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FOTO: SOBIK In seinem kleinen Laden mitten im Al-Muttrah-Basar verkauft Bakhoor alAmeen bereits in dritter Generation Weihrauch und Myrrhe.
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FOTO: SOBIK Der Al-Muttrah-Basar in Muscat ist eine beliebte Touristena­ttraktion. Er ist der älteste Souk in der omanischen Hauptstadt.

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