Das Imperium schlägt zu und schluckt das Traditionsblatt „Time“
Sargnagel oder Rettung? Das liberale US-Medienhaus wird an einen Lifestyle-Verlag verkauft. An dem Deal beteiligt sind zwei erzkonservative Brüder.
NEW YORK Wenigstens einmal im Jahr gelingt es „Time“noch, an verflossene Größe anzuknüpfen. Kürt das Magazin die Person des Jahres, ist ihm ein weltweites Echo gewiss. Wird in diesem Dezember der Kopf des Jahres aufs Titelblatt gehoben, geschieht dies allerdings im Zeichen tiefer Verunsicherung.
Time Incorporated, das New Yorker Medienhaus, das neben seinem publizistischen Flaggschiff Titel wie „Fortune“, „People“und „Sports Illustrated“druckt, ist an einen Verlag in Iowa verkauft worden, dessen Spezialität Lifestyle-Publikationen sind. Bei der Meredith Corporation erscheinen Zeitschriften wie „Better Homes and Gardens“und „Family Fun“. Mit einem Nachrichtenmagazin, wie „Time“eines ist, seit es Henry Luce vor 94 Jahren gründete, hat man dort keine Erfahrung.
Ob es der Sargnagel für ein Traditionsblatt ist? Optimisten, die das anders sehen, verweisen auf die Causa Jeff Bezos. Seit der Amazon-Milliardär die „Washington Post“erwarb und die Redaktion mit kräftigen Finanzspritzen aufpäppelte, kann die Hauptstadtzeitung wieder ernsthaft mit der „New York Times“, ihrer großen Rivalin, konkurrieren. Auch „Time“hätte einen Bezos-Effekt bitter nötig. Der Verlag steckt in Schwierigkeiten, weil die Anzeigenerlöse stetig sinken, die Leser ins Internet abwandern und man das digitale Zeitalter zunächst verpasste. Im ersten Quartal 2017 gingen die Einnahmen, verglichen mit dem Vorjahreszeitraum, um neun Prozent zurück. Ob unter den neuen Eignern eine Renaissance à la „Washington Post“gelingt, wagt die Belegschaft selbst zu bezweifeln. Als sie sich versammelte, nachdem der Meredith-Deal perfekt war, soll die Stimmung an ein Begräbnis erinnert haben.
Das liegt maßgeblich an einem Investorenpaar, das im Hintergrund an dem Transfer beteiligt ist. Die Brüder Charles und David Koch, Besitzer eines der größten Firmen-Konglomerate der Welt, eines Imperiums, das von Papier über Pipelines, Raffinerien und Chemiebetriebe bis hin zur Rinderzucht reicht, stiegen mit 650 Millionen Dollar, einem Drittel der Kaufsumme, in das Geschäft ein. Es gibt nur wenige Industrielle, die sich derart aktiv in die Politik einmischen wie die Koch-Brüder mit ihrer Agenda des schlanken Staats, niedriger Steuern und möglichst laxer Umweltauflagen. 1980 kandidierte David, der Jüngere, als Bewerber der Libertären Partei fürs Weiße Haus. So kläglich der Versuch scheiterte, er bekam nur ein Prozent der Stimmen, so vehement legten sich die Kochs fortan ins Zeug, um für ihre Ziele zu trommeln. Als Barack Obama sein erstes Präsidentschaftsvotum gewann, schrieb Charles in einem Rundbrief an seine 70 000 Beschäftigten, Amerika drohe mit dieser Wahl der größte Verlust von Freiheit und Wohlstand seit den 1930er Jahren.
Dass sich das Brüderpaar mit der – bislang eher liberalen – „Time“ein Sprachrohr mit einem noch immer klangvollen Namen zulegen könnte, ungefähr das, was Fox News fürs Fernsehen ist, ruft die Skeptiker auf den Plan. „Ist es möglich, dass die Koch-Brüder aus dem Blatt ein Fox-Magazin machen?“, fragt Marvin Kalb, einst einer der renommiertesten TV-Journalisten der USA.
Donald Trump scheint der Time-Titel wichtig – er twitterte, die Redaktion habe ihm mitgeteilt, er würde „WAHRSCHEINLICH“wieder Persönlichkeit des Jahres wie 2016, wenn er ein Interview und ein Fotoshooting zusagt. Wahrscheinlich sei ihm nicht gut genug, er habe abgesagt.