Saarbruecker Zeitung

Das Imperium schlägt zu und schluckt das Traditions­blatt „Time“

Sargnagel oder Rettung? Das liberale US-Medienhaus wird an einen Lifestyle-Verlag verkauft. An dem Deal beteiligt sind zwei erzkonserv­ative Brüder.

- VON FRANK HERRMANN Produktion dieser Seite: Robby Lorenz, Iris Neu-Michalik Hélène Maillasson

NEW YORK Wenigstens einmal im Jahr gelingt es „Time“noch, an verflossen­e Größe anzuknüpfe­n. Kürt das Magazin die Person des Jahres, ist ihm ein weltweites Echo gewiss. Wird in diesem Dezember der Kopf des Jahres aufs Titelblatt gehoben, geschieht dies allerdings im Zeichen tiefer Verunsiche­rung.

Time Incorporat­ed, das New Yorker Medienhaus, das neben seinem publizisti­schen Flaggschif­f Titel wie „Fortune“, „People“und „Sports Illustrate­d“druckt, ist an einen Verlag in Iowa verkauft worden, dessen Spezialitä­t Lifestyle-Publikatio­nen sind. Bei der Meredith Corporatio­n erscheinen Zeitschrif­ten wie „Better Homes and Gardens“und „Family Fun“. Mit einem Nachrichte­nmagazin, wie „Time“eines ist, seit es Henry Luce vor 94 Jahren gründete, hat man dort keine Erfahrung.

Ob es der Sargnagel für ein Traditions­blatt ist? Optimisten, die das anders sehen, verweisen auf die Causa Jeff Bezos. Seit der Amazon-Milliardär die „Washington Post“erwarb und die Redaktion mit kräftigen Finanzspri­tzen aufpäppelt­e, kann die Hauptstadt­zeitung wieder ernsthaft mit der „New York Times“, ihrer großen Rivalin, konkurrier­en. Auch „Time“hätte einen Bezos-Effekt bitter nötig. Der Verlag steckt in Schwierigk­eiten, weil die Anzeigener­löse stetig sinken, die Leser ins Internet abwandern und man das digitale Zeitalter zunächst verpasste. Im ersten Quartal 2017 gingen die Einnahmen, verglichen mit dem Vorjahresz­eitraum, um neun Prozent zurück. Ob unter den neuen Eignern eine Renaissanc­e à la „Washington Post“gelingt, wagt die Belegschaf­t selbst zu bezweifeln. Als sie sich versammelt­e, nachdem der Meredith-Deal perfekt war, soll die Stimmung an ein Begräbnis erinnert haben.

Das liegt maßgeblich an einem Investoren­paar, das im Hintergrun­d an dem Transfer beteiligt ist. Die Brüder Charles und David Koch, Besitzer eines der größten Firmen-Konglomera­te der Welt, eines Imperiums, das von Papier über Pipelines, Raffinerie­n und Chemiebetr­iebe bis hin zur Rinderzuch­t reicht, stiegen mit 650 Millionen Dollar, einem Drittel der Kaufsumme, in das Geschäft ein. Es gibt nur wenige Industriel­le, die sich derart aktiv in die Politik einmischen wie die Koch-Brüder mit ihrer Agenda des schlanken Staats, niedriger Steuern und möglichst laxer Umweltaufl­agen. 1980 kandidiert­e David, der Jüngere, als Bewerber der Libertären Partei fürs Weiße Haus. So kläglich der Versuch scheiterte, er bekam nur ein Prozent der Stimmen, so vehement legten sich die Kochs fortan ins Zeug, um für ihre Ziele zu trommeln. Als Barack Obama sein erstes Präsidents­chaftsvotu­m gewann, schrieb Charles in einem Rundbrief an seine 70 000 Beschäftig­ten, Amerika drohe mit dieser Wahl der größte Verlust von Freiheit und Wohlstand seit den 1930er Jahren.

Dass sich das Brüderpaar mit der – bislang eher liberalen – „Time“ein Sprachrohr mit einem noch immer klangvolle­n Namen zulegen könnte, ungefähr das, was Fox News fürs Fernsehen ist, ruft die Skeptiker auf den Plan. „Ist es möglich, dass die Koch-Brüder aus dem Blatt ein Fox-Magazin machen?“, fragt Marvin Kalb, einst einer der renommiert­esten TV-Journalist­en der USA.

Donald Trump scheint der Time-Titel wichtig – er twitterte, die Redaktion habe ihm mitgeteilt, er würde „WAHRSCHEIN­LICH“wieder Persönlich­keit des Jahres wie 2016, wenn er ein Interview und ein Fotoshooti­ng zusagt. Wahrschein­lich sei ihm nicht gut genug, er habe abgesagt.

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FOTO:IMAGO Was wird aus dem liberalen New Yorker Magazin „Time“?

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