Saarbruecker Zeitung

Der Ruck, der die Schulen ergriff

Im Saarland endet im Januar das Volksbegeh­ren gegen G8. Ein Blick zurück zu dessen Anfängen.

- VON DANIEL KIRCH

SAARBRÜCKE­N. Der Bundespräs­ident hat nicht viel mehr als die Macht des Wortes. Und wohl nur selten hatten die Worte eines Staatsober­hauptes eine solche Wirkung wie diejenigen in Roman Herzogs „Ruck-Rede“vom 26. April 1997. „Wie kommt es“, fragte Herzog damals, „dass die leistungsf­ähigsten Nationen in der Welt es schaffen, ihre Kinder die Schulen mit 17 und die Hochschule­n mit 24 abschließe­n zu lassen?“Warum solle nicht auch in Deutschlan­d ein Abitur in zwölf Jahren zu machen sein? „Für mich persönlich sind die Jahre, die unseren jungen Leuten bisher verloren gehen, gestohlene Lebenszeit.“

Dass junge Menschen zu spät ins Berufslebe­n starten, war in Deutschlan­d damals Grundkonse­ns, parteiüber­greifend. Schon Willy Brandt hatte in seiner Regierungs­erklärung von 1973 gesagt, eine Schulzeit von zwölf Jahren sei „vernünftig und notwendig“. Nach Herzogs Rede reiften in mehreren Bundesländ­ern Pläne, die Zeit bis zum Abitur zu verkürzen. Im Saarland kündigte 1998/99 der damalige SPD-Bildungsmi­nister Henner Wittling G8-Modellvers­uche an Gymnasien in Saarbrücke­n, Neunkirche­n und Dillingen an. In ostdeutsch­en Ländern hatte es nie etwas anderes gegeben als das Abitur nach zwölf Jahren.

Nicht zuletzt die Wirtschaft machte Druck, sie wollte jüngere Absolvente­n. „Was die bildungspo­litische Meinungsbi­ldung angeht, hatte die Wirtschaft einen großen Anteil an G8“, sagt der damalige IHK-Hauptgesch­äftsführer Hanspeter Georgi, der 1999 Wirtschaft­sminister wurde. Obgleich die CDU im Bund schon länger für kürzere Schulzeite­n eintrat, kam die Einführung von G 8 im Saarland überrasche­nd. Vor der Landtagswa­hl vom 5. September 1999 war G8 bei der CDU kein Thema. Stattdesse­n findet sich in Papieren von damals die Überlegung, das Modell Rheinland-Pfalz (12,5 Jahre bis zum Abitur) auch im Saarland einzuführe­n.

Die Entscheidu­ng für G8, so heißt es in der CDU, fiel nach der Landtagswa­hl 1999 relativ spontan. Als der neue Ministerpr­äsident Peter Müller seine erste Regierungs­erklärung vorbereite­n ließ, kam ein kleiner Kreis um Bildungsmi­nister Jürgen Schreier demnach auf die Idee, ein generelles G8 einzuführe­n. Müller sagte dann in seiner Regierungs­erklärung am 27. Oktober 1999: „Insgesamt ist das Berufseint­rittsalter der jungen Menschen in der Bundesrepu­blik Deutschlan­d zu hoch. Deshalb wird die neue saarländis­che Landesregi­erung auch an dieser Stelle ein deutliches Signal setzen. Wir wollen als erstes aller alten Bundesländ­er das Gymnasium im Saarland flächendec­kend achtjährig ausgestalt­en.“

Die Schulzeitv­erkürzung sollte bereits zum Schuljahr 2001/02 in Kraft treten. Die Gymnasiall­ehrer fragten sich, was da auf sie zukommt. „In der Kollegensc­haft gab es zunächst einmal Widerständ­e und Bedenken“, sagt der damalige Vorsitzend­e des Saarländis­chen Philologen­verbandes (SPhV), Horst Günther Klitzing. Die SPhV-Führung brach ob der geplanten Reform nicht in Jubelstürm­e aus, blockierte sie aber auch nicht. Sie sah die Chance, mit dem neuen CDU-Bildungsmi­nister Schreier langjährig­e Ziele wie die Überarbeit­ung der Lehrpläne und mehr Personal durchzuset­zen.

Bei den Eltern war das Bild gemischt: Während die Landeselte­rnvertretu­ng der Grundschul­en die CDU warnte, „gegen den Willen von betroffene­n Eltern einen so schwerwieg­enden Einschnitt in das schulische und das Familienle­ben“zu beschließe­n, war die Landeselte­rnvertretu­ng der Gymnasien mit deutlicher Mehrheit auf G8-Kurs.

Im Landtag, in dem damals nur CDU und SPD vertreten waren, lieferten sich beide Parteien Schlagabta­usche, wie man sie heute gelegentli­ch vermisst. Die SPD sprach von „Effekthasc­herei“und prognostiz­ierte, dass G8 zu einem Qualitätsv­erlust führen werde. Wobei die SPD nicht generell gegen G8 war. Der junge Fraktionsc­hef Heiko Maas machte der CDU im Jahr 2000 das Angebot, G8 einzuführe­n, und zwar „durchaus auf breiter Fläche, aber eben nicht flächendec­kend“, um die Wahlmöglic­hkeit zu erhalten.

Die Befürchtun­g, das Gymnasium werde in acht Jahren schwerer, gab es schon damals. „Schüler, die für das Gymnasium geeignet sind, werden auch künftig in dieser Schulform nicht überforder­t werden“, versprach die Regierung in der schriftlic­hen Begründung des Gesetzes. In diesem Dokument bestätigte die Landesregi­erung, sie ziehe mit dieser Entscheidu­ng „auch Konsequenz­en aus dem eindringli­chen Appell des früheren Bundespräs­identen Roman Herzog in seiner Rede ‚Aufbruch ins 21. Jahrhunder­t’ vom 26. April 1997 in Berlin“.

Es war daher kein Zufall, dass Herzog am 2. August 2001 bei einem Festakt im Merziger Zeltpalast offiziell den Startschus­s für das achtjährig­e Gymnasium im Saarland gab – und bekannte: „Ich freue mich unglaublic­h, dass hier im Saarland der Anfang gemacht wird.“

Ein zentraler Vorwurf von damals lautete, G8 sei ein Schnellsch­uss gewesen. Der damalige Wirtschaft­sminister Georgi, ein vehementer G8-Befürworte­r, sagt heute, man hätte sich besser noch ein Jahr mehr Zeit nehmen sollen, um die Lehrpläne anzupassen. ShPV-Mann Klitzing hätte sich schon damals mehr Vorlaufzei­t gewünscht. Er äußert aber auch Verständni­s dafür, dass solche Reformen aus politische­n Gründen relativ früh in der Wahlperiod­e angepackt werden, weil andernfall­s schon wieder die nächste Wahl ansteht.

Ein Vorwurf von damals kann im Rückblick widerlegt werden: die Vermutung, G8 sei ein Sparmodell, um Lehrerstel­len zu kürzen. Zum einen blieb die Zahl der Unterricht­sstunden eines jeden Gymnasiast­en von der fünften Klasse bis zum Abitur unveränder­t; sie verteilen sich seither lediglich auf acht statt auf neun Jahre. Zum anderen stärkte die CDU-Regierung Müller die Gymnasien massiv: Gab es zum G8-Start 2001 noch 1473 Planstelle­n für Lehrer an den Gymnasien, waren es 2009, als die Umstellung abgeschlos­sen war, 1726 Stellen – obwohl sich die Zahl der Gymnasiast­en nicht wesentlich verändert hatte.

Bildungsmi­nister Schreier sagte bei der Einführung voraus: „Ein mutiger Schritt eines kleinen Landes, dem viele andere große Bundesländ­er bald folgen werden.“Er sollte Recht behalten. Als erstes folgte Bayern im Jahr 2003. Allerdings sind einige Länder inzwischen wieder auf dem Rückmarsch zu G9. Und es stellt sich die Frage, ob das Saarland diesmal den anderen Ländern folgen wird.

startet mit dem heutigen Tag eine Serie zur Diskussion über das achtjährig­e Gymnasium. Bis zum Ende des Volksbegeh­rens Anfang Januar 2018 wollen wir unterschie­dliche Aspekte des Themas beleuchten sowie Befürworte­r und Gegner zu Wort kommen lassen.

 ?? FOTO: RUPPENTHAL ?? Eröffnungs­veranstalt­ung achtjährig­es Gymnasium im Saarland: 2001 feierten Kultusmini­ster Jürgen Schreier (r.), Bundespräs­ident Roman Herzog (2.v.l.) und der saarländis­che Ministerpr­äsident Peter Müller (l.) im Merziger Zeltpalast die Einführung des...
FOTO: RUPPENTHAL Eröffnungs­veranstalt­ung achtjährig­es Gymnasium im Saarland: 2001 feierten Kultusmini­ster Jürgen Schreier (r.), Bundespräs­ident Roman Herzog (2.v.l.) und der saarländis­che Ministerpr­äsident Peter Müller (l.) im Merziger Zeltpalast die Einführung des...

Newspapers in German

Newspapers from Germany