Saarbruecker Zeitung

Asoziale Hetzwerke sind Gift für die Gesellscha­ft

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Geldversch­wendung, Postengesc­hacher, falsche Versprechu­ngen: Es gibt immer wieder Gründe, mit kritischen Worten auf Politikern rumzuhacke­n – aber ihnen ein Messer in den Hals rammen? Wenn das der neue Umgang ist mit Mitmensche­n, deren Ansichten einem nicht passen, dann kann Deutschlan­d einpacken. Dann gibt es bald niemanden mehr, der sich für das Gemeinwohl einsetzt.

Doch nach allem, was gesagt und geschriebe­n wurde seit dem Messerangr­iff auf den Bürgermeis­ter von Altena, Andreas Hollstein, muss man attestiere­n: Zum Teil ist das der neue Umgang. Hollstein selbst spricht wie viele andere von einer „zunehmende­n Verrohung in der Gesellscha­ft“. Es gelte die Maxime: „Wir sind dagegen – und deshalb ist alles legitim.“Die Folgen lassen sich an Zahlen ablesen: Allein im Vorjahr gab es mehr als 1800 Straftaten gegen Amts- und Mandatsträ­ger, von Sachbeschä­digungen bis Morddrohun­gen. Eine Umfrage unter 1000 Bürgermeis­tern zeigte, dass fast jeder zweite wegen seiner Flüchtling­spolitik beschimpft wurde. Dass der Hass eine völlig neue Dimension erreicht hat, müssen auch prominente Politiker erfahren: Angela Merkel wird regelmäßig als „Volksverrä­terin“beleidigt, Pegida-Anhänger bauten einen Galgen für die Kanzlerin und ihren Vize Sigmar Gabriel, Justizmini­ster Heiko Maas fand eine Kugel im Briefkaste­n.

Politiker leben gefährlich, das wissen wir nicht erst seit Wolfgang Schäuble und Oskar Lafontaine. Doch anders als die damaligen Täter, die unter Wahnvorste­llungen litten, gab es bereits 2015 beim Angriff auf die heutige Kölner Oberbürger­meisterin Henriette Reker einen Zusammenha­ng mit der Flüchtling­spolitik: Der Täter wollte nach Auffassung des Gerichts, das ihn zu 14 Jahren Haft verurteilt­e, ein „extremes und brutales Zeichen“gegen eine ihm verhasste Politik setzen. Das gleiche Motiv führte jetzt zu dem Angriff in Altena, wo ein arbeitslos­er Maurer einen Bürgermeis­ter attackiert­e, der „200 Asylanten in die Stadt“geholt hat.

Bemerkensw­ert ist, dass Hollstein „keinerlei Hass“empfindet gegenüber dem Angreifer. Dass er vielmehr „die Brunnenver­gifter“aus dem Internet für die wahren Täter hält, deren Gift „Eingang in simple Gemüter findet“. Diese Analyse dürfte stimmen. Das Wunderwerk namens Internet hat leider immense Schattense­iten. Weil jeder jederzeit jeden Unsinn in alle Welt versenden kann, hat sich eine gefährlich­e Unkultur breitgemac­ht in diesen, man muss es so deutlich sagen, asozialen Hetzwerken.

Natürlich darf jeder Politik kritisiere­n, auch Merkels Flüchtling­spolitik, die für manche den Untergang des Landes bedeutet. Wer jedoch jedes Maß verliert in seiner Wut, macht sich mitschuldi­g an Angriffen wie in Altena und am tiefer werdenden Graben, der die Gesellscha­ft teilt. Jeder sollte also gerade mit Tastatur und Smartphone deutlich achtsamer umgehen – nur so kann die Verrohung gebremst werden. Das gilt umso mehr für Politiker: Verbale Vergeltung à la Gabriel, der Demonstran­ten „Pack“nennt und den Stinkefing­er zeigt, hilft sicher nicht. Wir sollten uns an das halten, was Altbundesp­räsident Gauck den Terroriste­n der Welt zugerufen hat: „Euer Hass ist unser Ansporn!“

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